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Digital In Arbeit

Berufsberatung in Obesterreich

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Seit Ende des Jahres 1945 wurde die Berufsberatung in Oberösterreich grundsätzlich und methodisch vollkommen neu aufgebaut. Über die Wichtigkeit des Gegenstandes ist heute wohl weniger denn je etwas zu sagen, da wir die Aufgabe haben, die große Unterbrechung der normalen Arbeit und des normalen Berufslebens zu überwinden und unsere Jugend in bestmöglicher Weise der Friedensarbeit zuzuführen. Da fällt der Berufsarbeit eine große, verantwortungsvolle Mission zu. Es sei hier eine sachliche Darstellung der bisher in Oberösterreich angewandten Methoden und ihrer praktischen Wirkung gegeben.

Da nicht mehr die Auslese und Rekrutierung nach kriegswirtschaftlichen und militärischen Gesichtspunkten, sondern das Helfen in die Realitäten des Wirtschaftslebens hinein für die Ratsuchenden die Maxime der Arbeit darstellte, mußte sich fast von selbst auch, die Methodik der Arbeit ändern. Das größte Gewicht wurde auf eine umfassende Berufsaufklärung gelegt.

Der Berufsberater, der in jedem Bezirk als bodenständig mit dem Bezirk an und für sich schon verwurzelt ist, nahm zuerst die Verbindung mit den Leitenden der Pflichtschulen auf und fand dabei das verständnisvolle Entgegenkommen der Schu'l-verwaltung. In Leiterkonferenzen wurden zuerst die Grundlinien der Zusammenarbeit zwischen Schule und Berufsberatung festgelegt, in einem Merkheft für die einzelnen Schulleitungen -ausgebaut, durch die Bezirksschulräte für die einzelnen Schulen Vertrauenslehrer ernannt und die organisatorischen Wege der Zusammenarbeit somit geklärt. Die Lehrerarbeitsgemeinschaften, deren in jedem Bezirk mehrere bestehen, gaben dem Berufsberater Gelegenheit, seine Anliegen in die praktischen Möglichkeiten der Schule einzubauen. In einem örtlich ziemlich eng gezogenen Sprengel wurden die Lehrkräfte auf besonders krasse Modeberufe und besonders wichtige Mangelberufe, auf neue Existenzmöglichkeiten, auf den Wert der Fachschulausbildung und auf die Probleme des Weilerstudiums hingewiesen, örtlich eng gezogen muß der Sprengel deswegen bleiben, weil bei der großen Unterschiedlichkeit unserer Wirtschaft Möglichkeiten, Anforderungen und Aussichten des Berufslebens ziemlich variieren.

Mit Unterstützung durch die Schulleitungen wurde nun im nächsten Stadium' der Berufsaufklärung die Elternschaft über die erzieherischen, wirtschaftlichen und eignungsmäßigen Gesichtspunkte der Berufswahl ihrer vor der Schulentlassung stehenden Kinder aufgeklärt.

Der Schwerpunkt der Aufklärung der Elternschaft lag auf dem wirtschaftlichen Sektor. Im breiten Publikum bestehen die merkwürdigsten Ansichten über Berufsaussichten in einzelnen Wirtschaftszweigen und Berufen, die vielfach von dem A n-schein der Nachkriegskonjunk-t u r in einzelnen Wirtschaftszweigen gefördert werden. Hier auf Grund gewissenhafter Studien über die Nachwuchsbewagung, Konjunkturvergleichen und des tatsächlichen zukünftigen Wirtschaftsbedarfes aufklärend einzugreifen, war ein menschliches und soziales Gebot. Die Elternversammlungen, gut vorbereitet und gut besucht, waren von durchschlagendem Erfolg begleitet. Immer wieder wurde in diesen Versammlungen darauf hingewiesen, daß ein Ratschlag der Berufsberatung vollkommen unverbindlich ist, das Arbeitspflichtgesetz eine Arbeitspflicht vor dem vollendeten 16. Lebensjahr nicht kennt und daß die Berufsberatung keinerlei Wert auf Zwangsmaßnahmen legt.

Die zweite Phase der Aufklärungstätigkeit„ die zeitlich parallel mit der ersten liegt, war die Aufklärung der im kommenden Sommer zur Entlassung kommenden Schulkinder. In jeder Schule wurde in der Entlaßklasse, nach Geschlechtern getrennt, von der weiblichen oder männlichen Fachkraft der Berufsberatung ein Berufskundeunterricht abgehalten, der die Probleme der Berufswahl in kindesgemäßer Art den Kindern selbst nahebrachte. Die Kinder wurden aufgeklärt über Berufslaufbahnen, schulische Vorbedingungen zum Berufseintritt in die verschiedenen Berufe, gleichzeitig auch aufmerksam gemacht auf die engen Verwandtschaften zwischen einzelnen Berufen und Wirtschaftszweigen, ein Argument, das sich besonders nachher bei der Einzelberatung bewährte. Diese Berufskundestunde nahm immer Rücksicht auf die Bedürfnisse der örtlichen Wirtschaft, auf die Eignungslage in der betreffenden Gegend und auf die Klassenmentalität der einzelnen Klasse.

Ebenfalls zeitlich parallel lief die Aufklärung in Innungsversammlungen und Obermeisterbesprechungen. Die zukünftigen Ausbilder unseres Nachwuchses wurden auf die größeren Auslesemöglichkeiten im Wege der Berufsberatung hingewiesen, ausführliche Besprechungen über Nachwuchslage und Bedürfnisse der einzelnen Berufe geführt sowie das persönliche Vertrauen durch persönliche Bekanntschaft angebahnt oder erneuert.

Die Krönung der Arbeit und die eigentliche Berufsberatung erfolgte in der Zeit zwischen S e m e s t e r z eu g n i s und Schulschluß, indem die Fachkräfte der Berufsberatung jeden einzelnen Schulentlassenen des Bezirkes an Ortund Stell in der Schule im Beisein des Lehrers und mindestens eines Elternteiles in einem gewissenhaften und ausführlichen Beratungsgespräeh auf seine endgültige Eignung, immer unter Berücksichtigung seines ursprünglichen Berufs. Wunsches, überprüften und dann eignungsmäßige und wirtschaftliche Ratschläge zur endgültigen Berufswahl gaben. Schwierige Erziehungs- und Eignungsfälle werden, wenn das Einverständnis der Eltern vorliegt, noch vor Schulschluß einer psychologischen Eignungsuntersuchung durch den Fachpsychologen des Landesarbeitsamtes unterzogen. Au den bei der Einzelberatung, beziehungsweise bei der Eignungsuntersuchung gewonnenen Entschlüssen wird die Arbeits- und Lehrstellenvermittlung durchgeführt, in einfachen Fällen bereits im Anschluß an die Erstberatung an Ort und Stelle in der Schule. Erwünschtes, und Gott sei Dank, auch zu erreichendes Ziel ist es, daß das Kind spätestens einige Wochen nach der Schulentlassung den passenden Arbeits- oder Ausbildungsplatz angetreten hat.

Zur Lehrstellengewinnung, beziehungsweise Arbeitsstellengewinnung wurde zwischen Landesarbeitsamt und den einzelnen Fach verbänden ein Übereinkommen abgeschlossen, nach dem die einzelnen Lehrherren bis zum März spätestens die beabsichtigte Einstellung eines Lehrlings dem Arbeitsamt, Abteilung Berufsberatung, melden mußten, worauf dieses .die Begutachtung der Stellen durch den zuständigen Fachverband einholte. Auf diese genehmigten Stellen werden die Jugendlichen vermittelt. Es mag hier eingeschoben werden, daß begründeten persönlichen oder verwandtschaftlichen Beziehungen nie ein Hindernis in den'Weg gelegt wird, daß sich also Lehrlinge und Meister auch auf, durchaus freiem Wege finden können. Um die fachliche Qualität des Nachwuchses, die im Handwerk besonders während des Krieges sehr gelitten hat, zu gewährleisten, haben die Fachverbände Oberösterreichs eine Vereinbarung mit dem Landesarbeitsamt abgeschlossen, wonach Auf-dingungen von Lehrlingen durch die Fachverbände nur mehr auf ein positives E i g-nungsgutachten der Berufsberatung hin durchgeführt werden.

Diese tiefgreifende Arbeit konnte in diesem Maße nur durchgeführt werden, da jetzt für jeden Bezirk des Bundeslandes zumindest eine Fachkraft für die Berufsberatung tätig ist. Weibliche Fachkräfte für die weibliche Berufsberatung sind augenblicklich für jeweils mehrere Bezirke gemeinsam tätig. Das Vertrauen in die Arbeit der Berufsberatung von Seiten der. Wirtschaft ist nun wieder so weit gestiegen, daß einzelne Betriebe, besonders Großbetriebe und Lehrwerkstätten, freiwillig an die Berufsberatung mit dem Ersuchen um Ausleseprüfungen unter der großen Anzahl von Bewerbern herantreten. Um den Wirtschaftsbedürfnissen, der Ortsmeinung und der besonderen Lage jedes einzelnen Falles gerecht zu werden, wurde vor Beginn der Einzelberatung an jede Schule der Orts-bauernobmann zu einer Aussprache beigezogen und nachher dem Bürgermeister des Ortes über die endgültigen Berufsentschlüsse seiner Schulabgänger Bericht erstattet. Grundlage der Einzelbefcatung in jedem Falle ist eine sogenannte Schülerkarte, die die soziale Herkunft des Jugendlichen, seine Personalien, seine besonderen Neigungen und seinen Berufswunsch erfaßt. Im zweiten Teil gibt der Klassenlehrer des Kindes eine ausführliche Beurteilung in begabungsmäßiger, neigungsmäßiger und arbeitsmäßiger Hinsicht, über Schulleistungen, Familienverhältnisse und besondere Schwierigkeiten des Jugendlichen. Im dritten Teil beurteilt der Schularzt die körperlichen Fehler und Vorzüge sowie die einzelnen Berüfs-hindernisse im Kind, wobei die Sorgfalt “bis zu Ausführungen über Farbtüchtigkeit, Linkshändigkeit, Schweißhände und Antrag auf Erholungsfürsorge geht. Diese Schülerkarte, die frühzeitig zum Beginn des letzten Schuljahres von der Schule der Berufsberatung zur Verfügung gestellt wird, gibt die Grundlage für die individuelle Seite der Einzelberatung ab.

Zur Methodik der Berufsberatung gehört auch, daß laufend persönliche und schriftliche Bewährungskontrollen über jeden einzelnen vermittelten Jugendlichen durchgeführt werden, daß die Berufsberatung durchaus bereit ist, aus den Erfahrungen solcher Kontrollen zu ■ lernen und daß sie andererseits über jeden Lehrbetrieb auf karteimäßiger Grundlage genau Buch führt. Diese Arbeit wird nicht mit einem großen Beamtenapparat, sondern für einen ganzen Bezirk mit oft über 1500 Schulentlassenen pro Jahr und weiteren Hunderten von Ratsuchenden älterer Jahrgänge von einer Fachkraft und bestenfalls noch einer Karteikraft besorgt.

Die auf vollkommener Freiheit und Freiwilligkeit und auf ein spontanes Vertrauensverhältnis zwischen Berater und Ratsuchenden abgestimmte Methodik war überraschend erfolgreich. Oberösterreich konnte bereits im Jahre 1946 mit dem in diesem Jahre zugeführten Nachwuchs die Zukunft seiner bereits anscheinend auf dem Aussterbeetat stehenden handwerklichen Mangelberufe in ausreichendem Maße sichern. Über den zahlenmäßigen Erfolg sind Unterlagen in Art einer kurzen Zusammenfassung im Jahresbericht der Berufsberatung für Oberösterreich für das Jahr 1946 erschienen, die jedem Interessenten offen stehen. Eltern und Kinder, die voriges Jahr noch mit einer inneren Abneigung die Beratung in Anspruch nahmen, kamen heuer gerne und freiwillig, vielfach vorzeitig und sehr oft mit der Bitte um unverbindliche wirtschaftliche Auskünfte, da es nicht ausblieb, daß die Arbeitserfolge bekannt wurden. Oberösterreich hatte im Jahre 1946 zum Abschluß der Jahresstatistik der /Berufsberatung keine nennenswerte Jugendarbeitslosigkeit zu verzeichnen. Die jetzt vorkommenden Lösungen von Lehrverhältnissen sind, leider waren sie nicht immer zu vermeiden, auf kurz vor Kriegsende oder nach Kriegsende abgeschlossene eignungsmäßige oder wirtschaftlich unglückliche Lehrverhältnisse zurückzuführen.

Diese aus dem Nichts aufgebaute Arbeit wurde ständig weitergebildet in mehrmals im Jahre stattfindenden seminarartigen Tagungen der Berufsberatung, in denen diese auch in fachlicher Hinsicht weitergebildet wurden.

Die Arbeitsleistung einer einzelnen Fachkraft (bezogen nur auf das Schuljahr 1946/47) war: Geleistet wurden 80 Berufskundestunden an 60 verschiedenen Schulen, 27 Elternversammlungen, 3 Obermeistertagungen, 12 Innungsversammlungen, Einzelberatung von 1100 Jugendlichen (zusätzlich 450 Mädchen, die die weibliche Berufsberaterin beraten hat) an 60 verschiedenen Schulen. Diese Zahlen aus einem einzigen Bezirk.

Diese sachliche Schilderung einer von etlichen 20 Männern und Frauen in einem ganzen Bundesland geleisteten Arbeit ist als Anregung zur Diskussion zwischen den berufenen Stellen gedacht.

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