6865985-1978_03_10.jpg
Digital In Arbeit

Privater Schulversuch könnte als Vorbild dienen

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn vor einiger Zeit seitens des Unterrichtsministeriums in einem Rundfunkinterview mit Bedauern festgestellt wurde, daß im vergangenen Jahr kaum 10 Prozent der Schüler der Oberklassen der Oberstufe der Höheren Schulen den Freigegenstand „Politische Bildung“ besuchten und weiters auf Grund einer Meinungsumfrage bekannt wurde, daß nur eine geringe Anzahl junger Menschen zwischen 14 und 24 Jahren für den politischen Teil der Zeitungen Interesse zeigt, dann scheint es angebracht, auf einen „privaten Schulversuch“ hinzuweisen, der seit 13 Jahren im Rahmen des Volksbildungswerkes als „Sozialkundlicher Studenten-Arbeitskreis“ außerhalb der normalen Unterrichtszeit unentgeltlich und freiwillig mit Studenten einer höheren technischen Bundeslehranstalt zur praktischen Einführung in „politische und soziale Bildung“ und damit als Ergänzung zum Geschichts- und Sozialkunde- sowie Staatsbürgerkunde-Unterricht durchgeführt wurde.

Das Bildungsprogramm dieses Arbeitskreises, das jährlich rund 100 bis 140 Schülern der Anstalt - das sind 40 bis 60 Prozent der Schüler je eines Jahrganges - angeboten wird, geht von der Überlegung aus, daß die heutige Industrie- und Konsumgesellschaft mit ihren vielseitigen Anforderungen mehr denn je einer auf ethnisch und moralischer Basis gut vorgebildeten Führungsschicht bedarf und die Ausbildung junger Studierender sich nicht in formaler Kenntnisvermittlung über Rechte und Pflichten der Staatsbürger und staatliche Institutionen erschöpfen darf, sondern als umfassendere soziale Bildung verstanden werden muß.

Zur Verwirklichung dieses Zieles wird im Rahmen einer vielseitigen theoretischen und praktischen Ausbildung die Übung wohl bekannter, jedoch mehr und mehr in Vergessenheit geratener Tugenden wie Wahrhaftigkeit, Weisheit, Mäßigkeit, Tapferkeit, Gerechtigkeit und Vaterlandsliebe empfohlen und gefördert, wobei der Ausbildung des persönlichen Gewissens und der Schaffung einer freien Persönlichkeit mit starker Willenskraft ein besonderes Augenmerk geschenkt wird.

Die Konfrontation mit denEreignis-sen des täglichen Lebens wie auch mit dem historischen Geschehen gibt Gelegenheit, durch geeignete Gesprächsführung unter Berücksichtigung verschiedener Aspekte und Anerkennung des Geistes aktiv am Tagesgeschehen mitzudenken und mitzuwirken, um schließlich durch die Bemühungen am eigenen Ich, in der Familie und anderen Gesellschaftsgruppen zu immer größerer Vollkommenheit und dadurch auch zu einem frohen, gesunden und zufriedenen Leben zu gelangen.

Als Ansporn zu persönlicher Mitarbeit dienen Klassendiskussionen, wobei auf die Einhaltung demokratischer Spielregeln geachtet wird; die Diskussionen werden entweder mit vorgegebener Themenstellung oder im Anschluß an wichtige Ereignisse oder Vorträge abgehalten. Eine intensive Rednerschulung fördert die rhetorische Gewandtheit, während eine auf jeden Klassen-Arbeitskreis abgestimmte geisteswissenschaftliche Bücherei sowie diverse Zeitschriften und Zeitungen und die monatlich kostenlos vom Bildungsinstitut für Sozial-und Wirtschaftskunde ausgegebenen „Seminarbriefe“ einen dauernd fließenden Bildungsstrom bilden.

Film, Hör- und Sehfunk erhalten unter Beiziehung verschiedener Kritiken und Einführungsliteratur die zeitgemäße Betreuung durch Filmstunden, kritische Programmauswahl und Nachbesprechung oder schriftliche Beurteilung. Exkursionen zu kulturellen Veranstaltungen, Wirtschaftsbetrieben, staatspolitischen Einrichtungen (Gemeinde-, Landtags- und Nationalratssitzungen), Gerichtsverhandlungen und verschiedenen Kultureinrichtungen sowie der Besuch von Heilund Strafanstalten ergänzen das Bildungsprogramm. Im Rahmen der Gesundheitspflege erstreckt sich die Arbeit auf gesunde Lebensführung, geeignete Einflußnahme auf die Mitwelt und Ausbildung in Erster Hilfe. Für die älteren Teilnehmer ist - je nach Interesse und Eignung - ein Gemeinschaftsdienst (Rot-Kreuz-Helfer, Lektordienst beim Sonntagsgottesdienst, Senioren-Hilfsdienst) eingerichtet. Zur Handhabung der im Bildungsprogramm verwendeten Apparate und Durchführung von Bandaufnahmen und Meinungsbefragungen werden eigene „Techniker“ ausgebildet; sämtliche Teilnehmer werden mit den im modernen Wirtschafts- und Organisationsleben verwendeten Arbeitsund Werbemethoden vertraut gemacht. Ferienlager, Gruppenwanderungen sowie Presse- und Rundfunkberichte ergänzen das Arbeitsprogramm.

Der große Arbeits umfang und das Bestreben, junge Menschen zu möglichst selbständiger Arbeit anzuleiten, machte auch einen Organisationsplan notwendig. Dieser sieht neben dem Arbeiterkammer-Leiter (mit seinem Arbeitsteam: Lehrer, Arzt, Jurist, Wirtschaftsexperten) für jede Klassenkameradschaft einen demokratisch gewählten Führer und für die verschiedenen Arbeitsgebiete (Bücherei, Zeitschriften, Veranstaltungen, Film, Hör- und Sehfunk, Chronik, Presse, Gemeinschaftsdienste) eigene „Referenten“ vor.

Somit stellt sich die Frage, ob es, angesichts der ausgezeichneten Ergebnisse dieses „Schulversuches“ nicht angezeigt wäre, wenn einerseits die Schulbehörde dieser Arbeit mehr als bisher ihre Aufmerksamkeit zuwenden und anderseits der eine oder andere Kollege einer höheren Lehranstalt durch Eigeninitiative eine ähnliche Arbeit in Angriff nehmen und sich mit anderen „Interessenten“ zu einer Aussprache treffen würde.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung