6565114-1949_37_11.jpg
Digital In Arbeit

Berufsberatung für Maturanten

Werbung
Werbung
Werbung

öfter noch als die Zweckmäßigkeit einer Berufsberatung für die 14jährigen Abgänger der Pflichtschulen wird in der Öffentlichkeit der Wert einer Beratung für die Maturanten der allgemein bildenden Mittelschulen ange- zweifelt. Es werden auch grundsätzliche Einwände erhoben. E eshalb hier einige abwägende Gedanken, welche Gründe für eine Maturantenberatung sprechen.

Der 18 jährige Mittelschulabsolvent hat heute in der Regel noch keinen festen Plan für seine berufliche Zukunft. Eine wiederholte Befragung läßt erkennen, daß heute dieser und wenige Wochen später ein ganz anderer Beruf gmannt wird. Die höhere Allgemeinbildung schließt alle Interessengebiete auf und erschwert dadurch im gewissen Sinne das Sichbeschränken auf ein einzelnes Gebiet, wie es die Berufswahl notwendig machen würde. So mancher Maturant ist in den letzten Schuljahren geneigt, nur an sein nächstes festes Ziel, die Ablegung der Reifeprüfung, zu denken. Der Mangel einer klaren Einstellung führt dann oft dazu, daß zwei Wesensmerkmale jedes echten Berufes fehlen: die Verpflichtung des einzelnen an die Gemeinschaft und das Ziel der Lebenserfüllung. Wer vergißt, daß Beruf vom „berufen-sein“ herkommt, sieht darin entweder nur die Möglichkeit, den lebensunter halt bestreiten oder eine bestimmte gesellschaftliche Stellung erringen zu können. So wird es notwendig, den Maturanten zunächst auf die richtige Berufsgesinnung und auf die Wichtigkeit der persönlichen Eignung und Neigung aufmerksam zu machen sowie ihm zu zeigen, daß die Frage nach den „Aussichten“ erst von sekundärer Bedeutung ist. Der junge Mensch muß vorerst eine richtige Vorstellung vom Wesen des betreffenden Berufes gewinnen. Es darf nicht ein einzelnes, vielleicht recht nebensächliches, aber ihn anziehendes Teilgebiet der Berufstätigkeit allein für seine Berufswahl ausschlaggebend sein, sondern er soll auch Einblick in das konkrete Berufsleben und die Berufsethik gewinnen. Gerade bei den Berufen aber, die dem Maturanten zugänglich werden, kommt es nicht nur auf die Erwerbung eines bestimmten Schatzes von Wissen und Fertigkeiten an, sondern mindestens ebenso auf die Erkenntnis der Aufgaben, die aus der Arbeit am Menschen erwachsen. Ob es sich um den Beruf des Lehrers, Arztes, Juristen, Kaufmannes oder Angestellten handelt, immer wird es dabei notwendig sein, erziehend, führend, helfend, verstehend der Umwelt zu begegnen.

Die weitgehende Differenzierung des modernen Berufslebens läßt den Laien kaum einen Überblick über alle Berufsmöglichkeiten gewinnen. So kommt es, daß immer wieder dieselben Berufswünsche . geäußert werden, obwohl es neben diesen bekannten und daher meist auch überfüllten Berufen eine große Anzahl anderer ähnlicher, aber unbekannter und deshalb weniger überlaufener Berufe gibt. Um einen zuverlässigen Einblick in das sich stets wandelnde Wirtschaftsleben und alle daran beteiligten Berufe zu gewinnen, braucht es freilich mehr als eine gelegentliche Beschäftigung mit diesen Problemen. Es kann nur derjenige einem jungen Menschen bei .seiner Berufswahl beratend zur Seite stehen, der die Entwicklung der Wirtschaft zu verfolgen und durch gründliches Studium der Berufskunde seine Kenntnisse auf dem laufenden zu halten vermag. Da bei einer Raterteilung auch die Kenntnis, der Persönlichkeit des Ratsuchenden unentbehrlich ist, trifft man auf die Meinung, daß einzig und allein der Lehrer als Berufsberater in Betracht komme. Gewiß hat der Lehrer, der das Vertrauen seiner Schüler erworben hat und Welterfahrung besitzt, schon aus der Kenntnis der geistigen und charakterlichen Veranlagung seiner bisherigen Schüler über ihre Berufseignung oft Wichtiges zu sagen. Aber jeder erfahrene Pädagoge kennt auch die ihm sehr häufig gesetzten Grenzen, die in der Berufsweisung durch das Erfordernis besonderer wirtschaftlicher und technologischer Kenntnisse gegeben sind. Hier setzt die Berufskunde ein, welcher der lebendige

Kontakt mit den Berufsträgern und -Organisationen zur Verfügung steht, ein Kontakt, der für die Fachkräfte des Arbeitsamtes eine nicht mehr wegzudenkende Voraussetzung ihrer Tätigkeit darstellt. Erfahrungsgemäß hängt der Erfolg einer Berufsberatung davon ab, ob das Fachwissen des Beraters weit genug ist, beziehungsweise ob er die Fähigkeit besitzt, in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit die Anlagen des einzelnen Schülers in Beziehung zu setzen zu den Eignungsanforderungen aller Berufe, auch derer, die zunächst überhaupt nicht zur Debatte zu stehen scheinen. Wenn die Schule dem Berufsberater ihre Beobachtungen über Anlagen und Fähigkeiten der Schüler mitteilt, kann dieser sie noch durch eigene Feststellungen und nötigenfalls durch die Einholung eines fachpsychologischen Gutachtens ergänzen.

Bereits seit der Zeit vor 1938 arbeiten Schule und Arbeitsverwaltung in dem angedeuteten Sinne zusammen. Am Beispiel der diesjährigen Maturantenberatung in Niederösterreich sei weiteren Kreisen Einblick in die praktische Arbeit der Berufsberatung gegeben:

Schon in den Wintermonaten des vergangenen Schuljahres wurden die Absolventen der Mittelschulen und in manchen Fällen auch deren Eltern in Berufsaufklärungsvorträgen auf die Bedeutung der Berufswahl und der dabei zu berücksichtigenden Gesichtspunkte hingewiesen. Um den Schülern die Berufswahl zu erleichtern, wurde eine psychologische Eignungsuntersuchung in Aussicht gestellt. An den Lehrkörper erging die Bitte, Beobachtungen am einzelnen Schüler, soferne sie für die Berufsauswahl von Wichtigkeit erscheinen, mitzuteilen. Die Teilnahme an der im Frühjahr vom Fachpsydiologen des Landesarbeitsamtes durchgeführten Eignungsuntersuchung war jedem Schüler freigestellt. Obwohl ein Großteil der Maturanten keine rechte Vorstellung mit dem gewollten Zweck verbinden konnte, nahmen dennoch die meisten daran teil. Der Zweck dieser Untersuchung lag darin, durch sie dem Maturantenberater über die Schul- noten und die Schülerbeschreibung hinaus Einblick in die Gesamtpersönlichkeit zu gewähren und so eine differenzierte Beratung zu ermöglichen. Sie beschränkte sich daher nicht nur auf die Untersuchung der verschiedenen Intelligenzfunktionen, sondern versuchte auch Aufschluß über die psychischen Kräfte zu gewinnen. An die Testuntersuchung, die gruppenweise erfolgte, schloß eine Einzelaussprache an, die dem Psychologen und dem Berufsberater die Möglichkeit bot, einerseits die Stellungnahme des Untersuchten zu den Testergebnissen zu erfahren, andererseits Aufschlüsse über die sozialen Verhältnisse, den Entwicklungsgang und die Interessen zu gewinnen. Den Abschluß der Erkundigung bildete die berufliche R a t e r t e i 1 u n g, die unter Berücksichtigung des Testergebnisses, des Lehrergutachtens, des persönlichen Eindruckes und der wirtschaftlichen Momente erfolgte. Darüber hinaus betrachtet es die Studentenberatung des Landesarbeitsamtes Niederösterreich als ihre Aufgabe, an der Verwirklichung des Rates durch Mithilfe bei der Schaffung der materiellen Voraussetzungen oder dem Auffinden geeigneter A u s b i 1 d u n g s-, beziehungsweise Arbeitsstellen mitzuwirken.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung