7133733-1997_38_13.jpg
Digital In Arbeit

High sein, frei sein...

19451960198020002020

Österreichs Süchtige werden immer jünger. Drogen, Energydrinks und „Heroin-Look” prägen eine neue Generation.

19451960198020002020

Österreichs Süchtige werden immer jünger. Drogen, Energydrinks und „Heroin-Look” prägen eine neue Generation.

Werbung
Werbung
Werbung

Blättert man in den internationalen Mode-zeitschriften, so springen einem die hageren, extrem jungen SuperModels ins Auge: Mädchen und Burschen, die nichts mehr an sich haben, was man als schön bezeichnen könnte. Im Gegenteil: Abgelichtet in zerschlissenen Kleidchen vor einer Mülltonne, blicken sie mit schwarzumrahmten Augen und depressivem Ausdruck in die Kameralinse.

Der „Heroin-Look” kennzeichnet den neuen Zynismus in der Mode-und Werbeindustrie und den Umgang der Gesellschaft mit Drogen. Das in den USA von einem heroinabhängigen Modefotografen erfundene Junkie-Styling verdeutlicht das neue Ideal zur Jahrtausendwende: noch dünner, noch ausgezehrter, noch kaputter. Als angefangen mit der Verurteilung durch Präsident Clinton -ein Aufschrei durch Amerika geht, ist es freilich schon zu spät. Für viele Jugendliche ist es längst schick geworden, wie ein Junkie auszusehen ...

Der Wiener Psychologe und Psychotherapeut Karl Bohrn beschäftigt sich täglich mit süchtigen Jugendlichen. Kr erlebt die Wirkung solcher Trends in seiner Praxis, wenn etwa ein ohnedies schon untergewichtiges Mädchen an Magersucht leidet, weil es sich als „zu fett” erlebt. Für ihn ist es eindeutig: das Suchtproblem bei Jugendlichen in Osterreich steigt an. Das beginnt bei der steigenden Zahl von Fernsehsüchtigen und hört auf bei den 17jährigen, die schon seit Jah-ren regelmäßig Heroin spritzen.

Dabei ist die Aufklärungsrate unter Jugendlichen hoch: Heutzutage weiß buchstäblich jedes Kind, wie gefährlich Drogen sind. Und trotzdem greifen immer mehr, immer jüngere Menschen zu Suchtmitteln. „Ein Trend, der nicht nur hier, sondern auch in den meisten Industrieländern zu beobachten ist”, sagt Bohrn.

Beweise für die zunehmende Suchtgefährdung der Jugend gibt es genug. So beschreibt eine Studie des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Suchtgiftforschung aus dem Jahr 1985 den Mißbrauch von Cannabis als ein Erwachsenenphänomen. Eine Wiederholung der Studie zehn Jahre später zeigt, daß bereits 14jährige Erfahrung mit Haschisch haben. Der Jahresbericht über die Suchtgiftkriminalität des Innenministeriums für 1996 erhärtet Böhms These: 12,5 Prozent aller Anzeigen wegen Verstoß gegen das Suchtmittelgesetz gehen auf das Konto von 14- bis 18jährigen. 1995 waren es 8,2 Prozent. Noch erschreckender ist die Statistik in absoluten Zahlen: 1996 haben sich die Anzeigen gegen Jugendliche innerhalb eines Jahres von 1.076 auf 2.018 beinahe verdoppelt.

Ein ganz anderer Eindruck von der Situation wird von zuständigen staatlichen Stellen vermittelt. Hier hat man offensichtlich alles fest im Griff: Die Drogenstatistik sei seit Jahren stabil, meint etwa der neu ernannte Drogenkoordinator im Justizministerium, Gerhard Litzka. Und: Man habe durch Aufklärungsarbeit vieles sogar zum Positiven verändert. Wenn beispielsweise ein Jugendlicher in der Schule im Zusammenhang mit Drogen „auffällig” wird, würde ihm gemäß gesetzlicher Verordnung ein ausgeklügeltes Krisenmanagement, bestehend aus Lehrern, Schularzt, Schulpsychologen und dem Schulleiter zur Seite stehen. Ein Konzept, das in der Praxis schon an der mangelnden Ausbildung der Schulärzte scheitert, weiß hingegen der frühere Schulpsychologe Bohrn.

Redaktionelle Gestaltung: Elfi Thieaaer

Ein anderes vernachlässigtes Thema ist die Beschaffungskriminalität: Ein Süchtiger braucht sehr viel Geld. So kann aus dem Schüler ein Dealer werden, der das Zeug auch schon mal am Schulklo verkauft. Besorgniserregend ist die Situation vor allem an den Berufsschulen, meint Bohrn. In einer von seinem Institut für Sozial-und Gesundheitspsychologie durchgeführten Studie wird dokumentiert, daß Lehrlinge deutlich mehr Erfahrung mit Suchtmitteln haben, als ihre gleichaltrigen Kollegen an AHS oder BHS. So ist der Anteil der Lehrlinge, die täglich mehr als eine Packung Zigaretten rauchen, zehnmal so hoch wie bei den AHS-Oberstufenschülern. Dieses Ergebnis läßt sich laut Bohrn auch beliebig auf alle anderen legalen und illegalen Suchtstoffe umlegen. „Für viele Jugendliche ist der Lehrberuf gleichbedeutend mit sozialem Abstieg”, erklärt Psychologe Bohrn. Mancher Lehrling hat es in AHS oder BHS nicht geschafft und erlebt sich nun schon mit 16 Jahren als Versager. Dazu kommt noch der abrupte Übergang ins Berufsleben, in dem nur noch das Imitieren der Erwachsenen und deren Suchtverhalten Sicherheit und Bestätigung bringt.

Eine andere Gruppe gefährdeter Jugendlicher sind die Wochenend-Konsumenten. Sie schlucken die unter dem Namen „Ecstasy” bekannt gewordenen bunten Pillen, um dann das ganze Wochenende durchzutanzen. Von Montag bis Freitag verwandeln sie sich zurück in unauffällige Schüler oder Lehrlinge. „Diese Leute sehen überhaupt kein Problem bei ihrem Ecstasy-Konsum”, beschreibt Bohrn die hohe Akzeptanz des Pillenschluckens unter den Jugendlichen.

Übersehen wird dabei nicht nur die Gefahr, die dem Konsumenten durch Verunreinigungen der Tabletten mit anderen Substanzen (etwa Kokain) droht, sondern auch das Herabsetzen der Hemmschwelle gegenüber anderen Suchtmitteln: Meist brauchen Ecstasy-Konsumenten nach dem Wochenende starke Beruhigungsmittel, um am Montag wieder „normal einsatzfähig” sein zu können.

Fast in jeder Schule gibt es mittlerweile einen Drogenfall. Einige engagierte Schüler, Lehrer und Eltern haben beschlossen, das Thema an ihrer Schule offensiv anzugehen (siehe Seite 16). Karl Bohrn betreut zur Zeit ein Projekt an einem Wiener Gymnasium. Dort hatten sich nach einem tragischen Vorfall Eltern, Lehrer und Schüler für seine Präventionsarbeit interessiert. Einige Zeit später stand das Projekt, finanziert vom Pädagogischen Institut Wien, Familien- und Unterrichtsministerium, privaten Sponsoren und vom Elternverein. Bohrn setzt auf die Ausbildung von sogenannten Multiplikatoren unter den Schülern. Die Idee dahinter ist einfach und wurde mittlerweile auch mit dem Gesundheitspreis der Stadt Wien ausgezeichnet: Jugendliche genießen bei gleichaltrigen oder etwas jüngeren mehr Glaubwürdigkeit als Erwachsene. So sollen die speziell geschulten Schüler als Meinungsbildner in ihrer Umgebung über Ursachen von Konflikten reden und Drogen ein negatives Image als schnelle Problemloser verpassen.

Neben den Jugendlichen arbeiten der Psychologe und sein Team auch mit Lehrern und Eltern am Gymnasium. „Die ausgebildeten Eltern nehmen zum Beispiel aktiv Kontakt mit Eltern von offensichtlich betroffenen Schülern auf. Letztere nehmen das Verhalten des eigenen Kindes oft erst wahr, wenn alle anderen in ihrer Umgebung schon längst über den Fall Bescheid wissen”, erklärt Bohrn. Natürlich müssen nicht gleich immer und überall Drogen im Spiel sein. Trotzdem: bewußt nachfragen und miteinander über mögliche Probleme (und Lösungen) reden, sollte in jeder Familie zur Selbstverständlichkeit werden, hofft Bohrn.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung