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Landflucht der Lehrer

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Landwirtschaftsminister H a r t m a n n hat am 17. September in seinem Referat vor dem Österreichischen Cemeindetag in Graz auf einen dörflichen Notstand hingewiesen, der zu ernsten Besorgnissen Anlaß gibt: Es fällt bereits schwer, den Dorfschulen die notwendigen Lehrkräfte zuzuweisen. Ein Zug des Wegstrebens der Lehrkräfte vom Dorf ist unverkennbar. Zur Erkundung der Ursache dieser Erscheinung wurde eine Umfrage bei den Lehrkräften des Schulbezirkes Fürstenfeld gehalten. Das Ergebnis liegt nunmehr vor.

Vielfach wird auf primitive V e r p f 1 e g s-möglichkeiten, schlechtes Gasthausessen hingewiesen. Dazu tritt noch Eintönigkeit in der Verpflegung. In manchen Dörfern gibt es keine Gasthäuser und Lebensmittelhändler, so daß die Beschaffung von Lebensmitteln erhöhte Kosten und Zeitverlust verursacht. Bei zwangsläufig ortsgebuftdenen Besorgungen sind oft höhere Preise in Kauf zu nehmen (Obst und Gemüse.'). Rein kalkulatorisch gesehen, ergibt sich ein Mehraufwand für Lebenshaltung im Vergleich zum Stadtlehrer.

Allgemein wird über die äußerst unzulänglichen Wohnverhältnisse geklagt. Ledige Lehrkräfte hausen oft in gesundheitsschädlichen Wohnungen, ohne jeden Komfort, wozu noch die Primitivität der sanitären Anlagen tritt. Auch Schulleiter haben Wohnungen, die keineswegs standesgemäßen Ansprüchen genügen. Höchst selten sind Wohnungen mit Bad anzutreffen. Dazu sind die Preise für die Wohnungen gar nicht niedrig. Um dem Wohnungselend auszuweichen, lassen sich manche Lehrkräfte in einem größeren Ort nieder und „pendeln“ nun jeden Tag in ihren Schulort.

Wodurch erhofft sich die Lehrerschaft eine Besserung der Verhältnisse?

Die Dienstwohnungen der Schulleiter sollen nach den Grundsätzen moderner Wohnkultur umgestaltet werden. Für die übrigen an der Schule wirkenden Lehrkräfte ist die Beschaffung von standesgemäßen Wohnungen ein dringendes Gebot. Am zweckmäßigsten erwiese sich die Errichtung von eigenen Lehrerhäusern.

Es wird auch darauf hingewiesen, daß die Lehrer bei Vergebung von Gemeindewohnungen mehr Berücksichtigung finden sollten. Zur Seß-haftmachung der Landlehrer würde auch die großzügige Beistellung von Darlehen zur Errichtung eines Eigenheimes oder zur Anzahlung für eine Eigentumswohnung beitragen. Schließlich müßte durch die ortsdefinitive Einweisung dem Dorflehrer Schutz gegen Versetzungen geboten werden.

Der Lehrer, der fernab von den Kulturzentren auf dem Dorf lebt, hat kaum Gelegenheit, ein Theater, ein Konzert, eine Kulturausstellung oder eine andere kulturelle Veranstaltung zu besuchen. Die Möglichkeiten fachlicher Weiterbildung sind beschränkt, oft besteht keine Möglichkeit zur Ausübung eines bestimmten Sportes (Schwimmen, Eislaufen und so weiter). Der Lehrer findet oft keinen gesellschaftlichen Anschluß und muß Möglichkeiten eines Gedankenaustausches mit Menschen seines Niveaus entbehren.

Welche Maßnahmen zur Milderung dieser beklemmenden Situation erwarten die Lehrer?

Sie meinen, es müßte möglich sein, für sie verbilligte bzw. kostenlose Lehrgänge oder Kurse für die fachliche Weiterbildung zu veranstalten, es müßte getrachtet werden, sie mit verbilligten Eintrittskarten für Theater und Konzert zu versorgen, es müßte erwogen werden, ihnen die Einrechnung der Fahrtkosten in die Bildungszulage und eine Ermäßigung des Fahrpreises bei Benützung von Verkehrsmitteln des Bundes zu gewähren. (Vor dem Jahre 1938: 50 Prozent Ermäßigung!)

Die Landlehrer weisen darauf hin, daß die Ausbildung der Lehrerkinder, sofern sie weiterbildende Schulen besuchen, nur unter großen Opfern und Entbehrungen möglich ist, weil die Kinder in Internate oder Heime eingewiesen werden müssen.

Zur Entlastung der oft schwerringenden Lehrerfamilien sollen für Landlehrerkinder großzügiger Stipendien gewährt werden, es soll für bevorzugte und verbilligte Unterbringung in Internaten und Heimen vorgesorgt werden, es könnten für verheiratete Lehrer in entlegenen Gebieten Erziehungs- und Kindertrennungszuschläge gewährt werden.

Die weiblichen Lehrkräfte zeigen als Triebfeder der Abwanderung aus dem Dorf die verminderten standesgemäßen Heiratsaussichten auf, da sie einen ihren geistigen Ansprüchen ent-•Splechendert^fhefattner nicht-'finde 1'köim**.'-' *

Junglehrer begegnen oft Schwierigkeiten Sei der Umstellung ihrer bisherigen Lebensverhältnisse auf die besonderen Verhältnisse der dörflichen Lebenswirklichkeit, weil Einführungsvermögen und gesteigerter Gemeinschaftssinn notwendig sind. Aber auch die vielen Versetzungen verleiden ihnen das Wirken auf dem Dorfe, weil sie nirgends richtig Wurzel fassen können.

Zur Überbrückung dieser Schwierigkeiten müßten Lehrerbildung und Schulbehörden einträchtig zusammenwirken, um sie zu mindern. *

Es steht außer Zweifel, daß der Dorfschullehrer, der an einer niederorganisierten Schule Abteilungsunterricht erteilen muß, einen anstrengenderen Dienst zu versehen hat als ein Lehrer in einer Stadtschulklasse, die nur eine Schulstufe umfaßt. Zeitraubende Planungsarbeiten und erweiterte Vorbereitungen gehen der unterrichtlichen Arbeit, die viel größere Konzentration und Umsicht erfordert, voraus.

In dörflichen Vereinigungen und Körperschaften, in der außerschulischen Jugenderziehung, wird seine Mitarbeit, der er sich meist gar nicht entziehen kann, selbstverständlich erwartet (Feuerwehr, Rotes Kreuz, Gesangverein, Kameradschaftsbund, Landjugend und so weiter). Hierzu kommt noch, daß die Leistungen des Landlehrers häufig verkannt werden und eine zu geringe Würdigung von seiten der Bevölkerung erfahren. Die zusätzlichen Dienstleistungen des Dorflehrers sind in der Regel ehrenamtlich und werfen keinen finanziellen Ertrag ab, während ein Stadtlehrer oft einer recht einträglichen Nebenbeschäftigung nachgeht.

Hinsichtlich der vermehrten Arbeitsleistung für die dörfliche Gemeinschaft ist die Dorflehrerschaft einer Geste des Gesetzgebers gewärtig. Sie erwarten mit Recht, daß ihnen eine Landschulzulage gewährt wird, wie dies bereits in einigen Ländern der Bundesrepublik Deutschland und in einigen Kantonen in der Schweiz üblich ist.

Wenn der Landwirtschaftsminister, der viel Verständnis für die Lehrerschaft hat, erklärt, ..daß es notwendig ist, eine mit dem Dorf verbundene und seßhafte Lehrerschaft heranzubilden und ihr die notwendigen Grundlagen zu verschaffen“ („Tagespost“ vom 18. September 1960). so könnten die Anregungen der Lehrerschaft dazu dienen, das Problem so rasch wie möglich anzufassen, ehe weiterer Substanzverlust eintritt.

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