Muttersprache: „Wo der Gaumen ein Mundhimmel ist“
FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist Jugoslawin. Anlässlich des Internationalen Tages der Muttersprache, am 21. Februar, macht sie sich Gedanken über tote Wörter, poetische Grenzgänger und stumme Mütter.
FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist Jugoslawin. Anlässlich des Internationalen Tages der Muttersprache, am 21. Februar, macht sie sich Gedanken über tote Wörter, poetische Grenzgänger und stumme Mütter.
Meine Muttersprache Serbokroatisch gibt es nicht mehr. Dennoch fließt sie auch heute noch ins Deutsche ein, wenn ich etwa grammatikalische Fehler mache, die so manche als „lyrisch“ empfinden. Doch am Ende sind es nur Fehler. Die Strafe dafür, dass ich nicht Herrin meiner Muttersprache bin. Wenn man diese nicht perfekt beherrscht, fühlt es sich blass an. Meine Sprache wurde im Jugoslawienkrieg zerbombt. Übriggeblieben sind kroatische, bosnische und serbische Fetzen, die nach dem Krieg mühevoll im Hass künstlich zusammengesetzt wurden. Die Kroaten liehen sich neue alte Wörter von den Burgenlandkroaten, die noch das Kroatisch des 16. Jahrhunderts sprechen. Die Bosniaken suchten Zuflucht in den Turzismen, die das Jugoslawische schon immer prägten und jetzt inflationär verwendet werden. Und die Serben hatten es ohnehin leichter, war doch ihre Schriftsprache, das Kyrillische, schon so anders. Die Montenegriner wiederum hingen, um sich vom Serbischen abzugrenzen, an zwei Buchstaben – wie an zwei dünnen Seilen.
Anfang 2008 beauftragte die Regierung von Montenegro eine dreizehnköpfige Kommission mit der Standardisierung des Montenegrinischen. Im Ergebnis stellte die Kommission im Juli 2009 eine Rechtschreibung des Montenegrinischen vor, die die zwei zusätzlichen Buchstaben ś („weiches s“) und ź („weiches z“) enthält. Dieses „ś“ und „ź“ sind der Nationalstolz, die berechtigte politische Abspaltung vom Serbischen. Manchmal braucht es dazu nur zwei Buchstaben, manchmal ein ganzes Buch.
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