186 Prinzessinnen und Prinzen

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Der Wiener Opernball beschert nicht nur dem Haus am Ring das größte Geschäft des Jahres, sondern den teilnehmenden Damen Mode- und Figursorgen.

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Der Wiener Opernball beschert nicht nur dem Haus am Ring das größte Geschäft des Jahres, sondern den teilnehmenden Damen Mode- und Figursorgen.

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Alles Walzer!" Mit diesem Ruf beginnt seit dem Wiener Kongreß 1814 der lustvoll-schmerzvolle Kampf der Geschlechter auf dem Tanzparkett. Bis April stehen 177 Bälle auf dem Wiener Ballkalender. Höhepunkt ist der Opernball am 19. Februar.

"Großes langes Abendkleid" steht auf der Eintrittskarte. Ein Satz, der ballbesuchende Frauen schon immer in Streß brachte. Daran hat auch die Emanzipation nichts geändert. "Früher hatte man Mieder, die heute als Marterinstrument hingestellt werden", erklärt Kostümhistorikerin Annemarie Bönsch von der Akademie für Angewandte Kunst. "Mich ärgert dieses Herfallen über das Korsett. Das war man ja von Kinderbeinen an gewöhnt." Heute haben die Frauen andere Foltern, die noch schlimmer sind. "Jetzt, wo der Körper an die Öffentlichkeit dringt, wird es viel schwieriger, gut zu wirken." Sogar als intellektuelle Frau ißt sie nie, was sie will. Immer wird bei Schnitzeln und Torten gebremst. "Meine Schwägerin ist gerade dabei, die dritten hundert Kilo abzunehmen!"

Bönsch kennt das Diktat über Frauenkörper aus der Geschichte. "Sogar im Barock mußte man jugendlich prall sein, zartknochig, mit hübschem Speck drauf. Rubens malte keine alten Frauen. Das Formlose war nie modern, das Langbeinige immer. Gestauchte, Dicke, Kleine waren auch in fetten Zeiten kein Ideal."

Frau Dintsis vom Opernballkomitee blickt bei ihren Debütantinnen vor allem auf die Tanzkünste. Der Run aufs Eröffnen ist international und ungebrochen. Schon ein Jahr vor dem Ereignis gibt es weit mehr Anwärter als nötig. Ein Geschäft ist der Ball außerdem: "Das Teuerste ist zuerst weg!"Logen um 170.000 Schilling gibt es keine mehr, auch die Stehplätze auf Balkon und Galerie sind längst vergeben. Die günstigsten kosten 150 Schilling. Dafür darf man nicht aufs Parkett. Die Galerieplätze, ursprünglich für Finanzschwächere gedacht, die der Prominenz zusehen wollen, werden heute meist von Kameraleuten besetzt. Und von Eltern, die ihre eröffnenden Kinder von den Tischen in den Nebensälen aus nicht sehen können. 186 Paare werden heuer nach einer einstudierten Choreografie das beliebte "Schwarz-Weiß" aufs Parkett zaubern.

Debütantin Ulla Hoffmann freut sich enorm. Sie ist eine, "die es geschafft hat". Den Tag vor dem Opernball wird die zweiundzwanzigjährige Medizinstudentin vor allem der Schönheit und Entspannung widmen. "Ich bin sehr aufgeregt und hoffe, daß ich das hinkriege. Schon letztes Jahr im Fernsehen habe ich extra beobachtet, wie lange das Schwarz-Weiß-Muster dauert." Zehn Minuten, etwa. Das Herrichten für die Nacht der Nächte nimmt mehr Zeit in Anspruch. Ulla hält sich weder für konservativ noch "für besonders emanzipiert". Diesen Zwiespalt bemerken auch Männer: "Wenn mir einer im Restaurant nicht aus dem Mantel hilft oder nicht die Tür aufhält, bin ich sauer. Wenn das ein Arzt beim Studium macht, denke ich, er nimmt mich nicht ernst."

Dafür haben es Männer modisch leichter. Seit 1740 gibt es den Frack, das hat sich bis heute nicht geändert. "Manchmal beneide ich meinen Bruder, der ist in zehn Minuten fertig." Wenn Ulla auf den Ball geht, ißt sie den ganzen Tag nichts. "Das machen alle meine Freundinnen auch." Denn mit einem kleinen Bäuchlein, das sich unter dem Kleid hervorwölbt, fühlt sie sich nicht mehr wohl. Mindestens zwei Wochen vor dem Ball wird sie brav jeden Tag etwa eine halbe Stunde "am Steptrainer herumsteigen". Ins Fitneßsstudio geht sie auch, zweimal die Woche. Etwa 2.000 Schilling gibt sie dafür monatlich aus.

Frau Doris vom Hollywood Fitneßstudio "Mannequin", das auf Body-Styling für Damen spezialisiert ist, kennt den großen Drang, vor der Ballsaison noch abzunehmen. Zweimal die Woche ist das Minimum, das man in einen schönen Körper investieren muß. Mit eigenen "Damengeräten" und gezielten Übungen lassen sich Hüft-, Bauch- oder Oberschenkelumfang reduzieren.

"Heute muß man schlank und fit sein, um toll auszusehen", bestätigt Monika Nimmervoll von "Fürnkranz couture". Seit 35 Jahren arbeitet sie in der Branche, am Rollenbild hat sich aus ihrer Sicht wenig geändert. "Immer gibt es Frauen, die ihren Mann um Rat fragen müssen, und andere, die lieber allein einkaufen gehen. Aber die gab es vor 30 Jahren schon." Das Körperbewußtsein ist heute aber ein ganz anderes. Konnte man früher mit teurer Stickerei, edlen Materialien oder Kolliers punkten, betonen die modernen Ballkleider schonungslos, was Frau an den Rippen hat. Das tolle Dekollete, die hohen Schlitze und Transparenz lassen besonders diejenigen, die in einen Superbody investiert haben, attraktiv wirken. "Das LiftenLassen, die Kosmetik und das Turnen-Gehen, das gab es früher nicht."

Haut zu zeigen, war aber schon immer in. "Die Dezenz des Ausschnitts ist eine ästhetische Frage, übertriebene Prüderie ist keineswegs am Platz", ist in Ullsteins Buch "Ich kann schneidern" von 1908 zu lesen. "Die Walzermelodie und die Drehbewegung, das war berauschend, leicht ekstatisch." Frau Karner von den Modesammlungen der Modeschule Hetzendorf ortet selbst auf Bällen im Metternichschen Biedermeier keine Sinnesfeindlichkeit. Heiratsvermittlung bei tänzerischer Tuchfühlung war durchaus üblich. Dabei kam es nicht nur auf die Optik an, sondern auf gepflegte Konversation. Die "Fächersprache" konnte von "Tritt näher" über "Liebst du mich?" bis zum vielversprechenden "Ich erwarte dich" die Laune der Dame ausdrücken.

Dabei waren Bälle nicht auf die bessere Gesellschaft beschränkt. Wäschermädel gingen eben im Korsett tanzen. Auch ihnen bot das biedermeierliche Wien genügend Möglichkeiten, sich zu amüsieren. Verpönt war nur das Schminken. Bemalte Lippen blieben leichten Mädchen vorbehalten. Die gepflegte Frau mit Anstand reduzierte ihr Make up auf die pflegenden Salben des gern gezeigten Dekolletes.

In den zwanziger Jahren begannen mit dem Rückenausschnitt direktere Körpersignale. Eine kleine, progressive Minderheit rauchte, trug Bubikopf und behängte sich mit Perlen, die auf den Rücken fielen. Mit dem Charleston kam die Revolution: der Schlitz. Heuer hat er wieder Hochkonjunktur. "Samt, Seide, Metallix, Kupfer, Gold, und viel Transparenz!" Manfred Handerek vom Modesekretariat der Bundeswirtschaftskammer freut sich über ein neues Modebewußtsein der Österreicher. "Endlich sind Frauen wieder weiblich. Das Androgyne ist out." Die Clubbing-Szene hat auch auf Bälle befruchtend gewirkt.

Die Kehrseite dieser fast brutalen Körpervermarktung ist in Frauenzeitschriften nachzulesen. "Joy" titelt im Jänner 98 mit Diätdrogen. "Ich stopfte mich phasenweise mit Appetitzüglern voll, weil ich es einfach genial fand: abnehmen ohne hungern." (Corinna, 29, eine der zitierten Frauen.)

Laut einer Studie des Instituts für Medizinische Statistik werden in Österreich pro Jahr Unsummen für Anti-Cellulite-Produkte und für Mittel gegen Übergewicht ausgegeben. Der Pharmariese Roche will heuer ein neues Produkt unter dem Namen Xenical auf den deutschen Markt bringen, das bei seiner Erprobung vermehrte Fälle von Brustkrebs ausgelöst hat, dessen Wirkstoff Orlistat aber im Darmtrakt Fett aus der Nahrung siebt.

Auch Hersteller Knoll plant ein Anti-Fettsucht-Mittel mit einem Umsatzpotential von 800 Millionen Mark. Appetitzügler beeinflussen den Serotin-Haushalt im Menschen, der das Sättigungsgefühl steuert. Derselbe Botenstoff ist für das Wohlbefinden, die sexuelle Lust oder den Schlaf verantwortlich. Daher wird er bei seelischen Störungen eingesetzt. Der Wunsch nach Schlankheit endet oft bei Medikamentensucht. In England gibt es bereits über eine Million prozacsüchtige Frauen. Das Antidepressivum macht nicht nur high, sondern auch schlank und, ganz nebenbei, süchtig.

"Ich hab eine Freundin, um die sorg' ich mich schon fast", sinniert Ulla Hoffmann. "Die sitzt am Mittagstisch, mit all den Modemagazinen neben sich, sieht sich die besonders dünnen Mädchen an, und dann ißt sie nichts mehr." So weit geht Ulla nicht, bei Kalorien kennt sie sich trotzdem aus. "Ungefähr fünfhundert", schätzt sie das Tagessoll, etwa zweitausend verbraucht ein "normaler" Mensch. Der Druck auf Frauen in puncto Schönheit ist enorm.

"Gute Laune ist das wichtigste, ohne die nutzt das ganze Optische wenig." Andrea Holzer ist Designerin. Sie entwirft in einer Couture-Linie auch Abendkleider und bemüht sich um Modelle, die individuell geformte Körper selbstbewußt zur Geltung bringen. Kostenpunkt: etwa 6.000 Schilling, viel zu wenig, wie sie findet. "Eine gute Ausstrahlung und Charisma ist ohne Arbeit an sich selbst nicht möglich. Mich reizt die Weiblichkeit. Ich bemühe mich, jeder Frau, ob dick oder dünn, einen eigenen Stil zu geben, der zu ihr paßt." Andrea Holzers Models haben Konfektionsgröße 38. Sie will gegen das gängige Schönheitsideal und für ein positiv selbstbewußtes weibliches Körpergefühl arbeiten. "Jede Frau kann Sexappeal haben und trotzdem mit ihrem Intellekt ernst genommen werden." Emanzipation ist keine Einbahn: auch Männer müssen lernen, Frauen nicht als "reine Reizobjekte" wahrzunehmen.

"Nicht zu intelligent, schweigsam, gehorsam, weich, mit sozialer Ader" sind die ersten Begriffe, die Holzer zu weiblicher Erziehung einfallen. Doch auch kleine Mädchen, die progressiv erzogen wurden, wünschen sich oft, wie Prinzessinnen gekleidet zu sein.

Für die Opernballdebütantinnen wird der Prinzessinentraum wahr. Ein Vollbad, Gesichtspflege, Rubbelcreme, Maniküre, eineinhalb Stunden schminken, der Friseurbesuch und das weiße Kleid tragen dazu bei. Ulla Hoffmanns Modell ist maßgeschneidert. Sie hatte es schon früher getragen. Prominente oder Politikergattinnen können das nicht. "In der großen Gesellschaft kann man nicht zweimal mit demselben Kleid ausgehen", weiß Monika Nimmervoll von Fürnkranz. In Zeiten des Sparpaketes denkt man um. "Opulente Kleider werden weniger gekauft, man nimmt lieber ein schlichtes, das sich verwandeln läßt." Selbst das kommt auf fast 25.000 Schilling. Die preisliche Bandbreite liegt zwischen 2.000 und 40.000 Schilling. Je mehr Handarbeit und Stickerei, umso teurer.

Wortwörtlich auf die Spitze treibt dieses Spiel das traditionelle Modehaus Adlmüller. Die Klientel ist bürgerlich traditionell, auch Konfektionsgrößen von 44 oder 46 sind gefragt. "Gerade Silhouetten sind in, die kaschieren eher." Geschäftsführerin Barbara Perfall weiß, daß sie kundenorientiert einkauft. "Richtige Balltrends würde die Wienerin nicht tragen." "Vorne kurz und hinten lang" ist eine neue Variante, Bein zur Schau zu stellen, ohne die bürgerlichen Vorstellungen guten Geschmacks zu verletzen. Vererbbare Stücke modischer Langlebigkeit kosten: 45.000 Schilling für Nina Ricci, inklusive Jacke. "Früher gab es Modelle um 200.000 Schilling, jetzt sind wir vorsichtiger." Zu Lebzeiten des Modezaren Fred Adlmüller gab es eine Kundin, die sich für ein Kleid zwei Konfektionsgrößen hinunterhungerte. Das kommt heute nicht mehr vor.

"Die wahre Emanzipation wird erreicht sein, wenn Männer auch Männerröcke tragen," meint Annemarie Bönsch, "doch das werde ich nicht mehr erleben."

Wenn es heuer "Alles Walzer" heißt, werden 186 Prinzessinnen mit 186 befrackten Prinzen tanzen.

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