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Begegnung mit dem Hammer

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Der Revolutionär sagt: 1948 haben wir dann die erste Revolution gemacht.

Durch die offenen Flügelfenster dringt vom Belvedere gelegentlich etwas Son et Lumiere herüber, etwas Musik, ein vorübergleitendes Licht.

Er sitzt hinter einem weißgoldenen Tisch und vor einem riesigen Spiegel. Der Spiegel ist so dunkel, daß in ihm die Glühkerzen des Kristallusters nur als matte Punkte auftauchen.

Der Revolutionär sagt: Es war ganz leicht, Revolution zu machen. Keiner hat Widerstand gegen sie gemacht, verstehen Sie?

Er spricht langsam und stockend und legt nach jedem Satz eine Pause ein, um über den folgenden nachzudenken. Er spricht grammatikalisch genau, aber mit hartem Akzent.

Die Seidentapeten des Salons zeigen tellergroße braune und lila Blumen vor gelbem Grund. An einigen Stellen verblassen sie, an anderen, zum Beispiel in den Winkeln der Fensterwand, wirken sie fast wie neu.

Der Revolutionär erzählt: Schnell und gründlich haben wir damals die Revolution gemacht. Es war alles ganz leicht, verstehen Sie? Weil doch kein Widerstand da war. In vierzehn Tagen war alles vorbei. In vierzehn Tagen haben wir die Macht gehabt und das Land und alles.

Er drückt eine kaum angerauchte Zigarette aus und zündet sich, während der nachdenkt, eine neue an.

Dreiundzwanzig Männer, wenn ich richtig gezählt habe: ein Psychologe, ein Historiker, etliche mehr oder weniger bekannte Journalisten, ein paar Fernsehleute mit ihren Apparaten, noch ein Historiker, der Gastgeber, ein Politiker undsoweiter. Fünf Damen, wovon leider keine in Frage kommt. Als ich vorhin in den Saal kam, verspätet, und den Revolutionär sah, bin ich fast ein wenig erschrocken. Er ist alt geworden, seitdem ich ihn zuletzt gesehen habe. Das ist mir nicht recht, denn ich bin so alt wie er.

Er sagt: Nach zwei Wochen gab es keine Parteien mehr damals. Und keine Bourgeosie. Das war alles weg, verstehen Sie. Wir waren der Staat.

Er sieht älter aus, als es seinen Jahren entspräche. Man sieht da und dort schon das Skelett in ihm. Die gewisse bäuerliche Derbheit, die er früher besessen hat, ist ihm abhanden gekommen.

Er sagt: Wir haben viele Fehler gemacht.

Wieder dämpft er die Zigarette ab und zündet umständlich eine neue an.

Die Seidentapeten müssen aus der Zeit um etwa 1770 stammen. Rechts vor mir hängt das große Porträt einer ältlichen Dame im rotsamtenen Biedermeierkleid, zirka 1850. Vermutlich eine Vorfahrin des Hausherren. Die Dame ist nicht besonders schön, das Bild keine gute Arbeit •

Der alte Revolutionär sagt: Wir haben uns damals mit viel Schuld beladen, ich weiß das heute. Mich zum Beispiel haben sie „Hammer“ genannt, verstehen Sie?

Dabei lächelt er und schlägt mit der Rechten quer vor sich hin in die Luft, die einzige unterstreichende Gebärde, die er bis jetzt gemacht hat. Diese Gebärde ist falsch. Sie ahmt nicht einen Hammerschlag nach, sondern eher einen Gurgelschnitt.

Beim Belvedere drüben dröhnt der Prinz Eugen aus den Lautsprechern.

Trotz der offenen Flügelfenster staut sich in dem Salon allmählich die Wärme.

Wenn ich mir von den hier anwesenden Damen eine aussuchen müßte, würde ich wahrscheinlich das lange Ex-Mannequin wählen, von dem ich nicht weiß, warum es stets solche Veranstaltungen besucht Es fängt zwar schon zu welken an, aber es ist immerhin noch elegant Ziemlich.

Der alte Revolutionär sagt stök-kend: Wir haben geglaubt, es beginnt eine neue Welt. Ein neues Leben, verstehen Sie? Aber wir wußten nicht, wie eine neue Welt eigentlich ausse-

hen und wie das neue Leben funktionieren sollte. Wir hatten vorher nicht darüber nachgedacht.

Die vielen Pausen zwischen den Worten verleihen seinem Bericht etwas Dramatisches. Ich beschließe, mich davon nicht erschüttern zu lassen; zufallig weiß ich, daß der Revolutionär über dasselbe Thema heute schon einmal vor einem anderen Auditorium gesprochen hat; nun, beim zweitenmal, sollte er schon nicht mehr ins Stocken geraten. Außerdem halte ich den alten Revolutionär sowieso für einen alten Gauner, was meiner persönlichen Sympathie für ihn keinen Abbruch tut.

Es erfreut mich aber, daß das Mannequin sichtlich erschüttert ist. Sie muß intelligenter sein, als ich dachte, sonst wäre sie es nicht. Oder tut sie nur so? Dann wäre sie ebenfalls intelligent.

Das Revolutionärsgesicht hat in den letzten Jahren doch sehr an Ausdruckskraft gewonnen. Es weist einen überraschend leidenden Zug auf, wenn der Revolutionär seinen Kopf neigt, etwas Spätgotisch-Geschnitz-tes sozusagen; wenn er aber den Kopf zurücklegt, kommt doch noch Derbes zum Vorschein. Das Gesicht des „Hammers“ von damals? Das Leben an sich, zwei Revolutionen, die Emigration, viel Whisky und eine Portion Schlauheit haben an diesem Gesicht gute Arbeit geleistet

Der alte Revolutionär spricht von der zweiten Revolution, an der er ebenfalls maßgeblich mitgewirkt hat Er sagt: Diesmal wollten wir endlich einen wirklich menschlichen Kommunismus machen.

Einige Zuhörer nehmen sich noch einmal zusammen, weil jetzt die wichtigste Aussage zu erwarten ist.

Schade, daß das Mannequin sich so schlecht hält. Es macht einen Buckel. Ob das vielleicht die Folge davon ist, daß es so oft und lange aufrecht posieren und über Laufstege gehen mußte? Gewissermaßen eine Art Berufskrankheit? Bandscheiben und so?

Der alte Revolutionär sagt jetzt: Dann kamen die Russen und haben mich vertrieben. Es war unrecht, daß ich vertrieben wurde. Aber heute sage ich, es ist mir Recht geschehen. Denn wir haben, nein, auch ich habe viel Unrecht verursacht damals. Ja, es ist mir Recht geschehen, verstehen Sie.

Ich lege Anteilnahme in meine Miene, denn der Fernsehbub macht gerade einen Zwischenschnitt von mir.

Der Altrevolutionär sagt noch einmal: Ich glaube nicht, daß es ein menschlicher Kommunismus geworden wäre, auch wenn die Russen nicht gekommen wären. Ich glaube nicht, daß es einen menschlichen Kommunismus geben kann. Aber ich bin trotzdem immer noch Kommunist. Was bleibt mir denn sonst übrig?

Die Zuhörer klatschen, nicht zu viel, nicht zu wenig, gerade so lang und laut, daß es mehr nach persönlicher Anteilnahme als nach Beifall klingt. Dann dürfen wir uns endlich von den unbequemen Goldsesselchen erheben.

Der Hausherr, der eigentlich ein Fürst ist, geht zu dem alten Revolutionär hin. Der springt schnell auf und verbeugt sich. Der Fürst gibt ihm die Hand, dann führen beide eine höfliche Konversation. In tschechischer Sprache.

Ein Kellner macht die Tür zum anschließenden Saal auf, wo ein Büffet aufgebaut ist Die Büffets des Hauses sind berühmt für ihre Qualität

Das Mannequin blickt auf der Suche nach einem Tischherrn um sich und faßt schließlich mich ins Auge. Aber weil das Mädchen plötzlich zwei Köpfe größer ist als ich, lehne ich körpersprachlich ab. Ich werde mich mit dem alten Revolutionär an den Tisch setzen.

Schließlich ist er eine interessante historische Persönlichkeit.

Sozusagen.

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