"Abrechnung frei von Euphorie"

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Für Kunst-Staatssekretär franz morak war das vergangene Jubiläumsjahr von keinerlei verordneter Geschichtssicht geprägt, sondern ein sehr nüchterner und demokratischer Blick in den Spiegel.

Die Furche: Welches der drei Eckdaten des Gedankenjahres - die Gründung der Zweiten Republik vor 60 Jahren, die Unterzeichnung des Staatsvertrages vor 50 Jahren und der Beitritt zur EU vor zehn Jahren - war für Sie in diesem Jahr das wichtigste?

Franz Morak: Wenn Sie mich persönlich fragen, so ist der eu-Beitritt wichtig, weil er uns allen neue Perspektiven und Möglichkeiten eröffnet hat. Aus historischer Sicht ist natürlich das Jahr 1945 das wesentliche Datum: der Sieg über den Nationalsozialismus und die Wiedererrichtung der Republik; dass Österreich seine Eigenständigkeit wieder erlangt hat, dass sich Österreich aus den Trümmern erhoben hat; dass sich Verhältnisse entwickelt haben, mit denen wir heute zufrieden sein können. Alle drei Daten sind entscheidend für die Lebensqualität, die Lebensperspektiven und die Handlungsperspektiven, die wir uns geschaffen haben und die man uns geschaffen hat.

Die Furche: Wie lautet Ihre Bilanz des Gedankenjahres?

Morak: Alles das, was von der Opposition behauptet wurde, ist nicht eingetreten. Es ist kein Beweihräucherungsfestival gewesen, sondern im Grunde eine Abrechnung. Wir haben einen schonungslosen Umgang mit der Vergangenheit betrieben, soweit es der Schonungslosigkeit bedurfte. Wir waren frei von einer Euphorie des Feiern, sondern wir haben sehr nüchtern und sehr demokratisch einen Blick in einen Spiegel geworfen. Dieser Spiegel hat uns manchmal grauenvolle Sachen über uns erzählt, manchmal hat er uns auch gezeigt, was wir aus den Trümmern geschaffen haben und wo wir weiterarbeiten müssen. Es gab auch keine verordnete Geschichtssicht. Alle an den 60 Ausstellungen und 250 Veranstaltungen Beteiligten waren nur ihrem eigenen Wissensstand und ihrer eigenen Sicht der Geschichte verantwortlich.

Die Furche: Auch die Historiker ziehen eine an sich positive Bilanz des Gedankenjahres, beklagen zugleich aber, dass ihre Forschungsergebnisse zu wenig Niederschlag in der Öffentlichkeit gefunden haben.

Morak: Jeder ist immer davon überzeugt, dass das, was er tut, das Wichtigste ist. Diese Egozentrik sei jedem Historiker, jedem Politiker, jedem Staatsbürger zugestanden. Es ist ein grundsätzliches Problem, dass die Allgemeinheit oft sehr selektiv nur Dinge zur Kenntnis nimmt, von denen sie einen Mehrwert hat. In die Ausstellungen sind aber immerhin über eine Million Leute gegangen. Vielleicht zieht jeder seine eigenen Schlüsse, aber sie sind hingegangen. Damit muss man sich zufrieden geben. Man kann die Leute nicht dazu zwingen, sich mit sich selbst auseinander zu setzen. Aber jeder, der sich mit sich selbst und der Vergangenheit der Eltern oder Großeltern auseinander setzen wollte, hatte ein Jahr lang die Möglichkeit dazu.

Die Furche: Es hat auch unschöne Kontrapunkte in der Harmonie des Gedankenjahres gegeben - Stichwort fpö-Bundesräte. John Gudenus hat behauptet, dass es auf dem Gebiet des Dritten Reiches keine Gaskammern gegeben hätte, Siegfried Kampl beklagte sich über "brutale Naziverfolgung" nach dem Krieg. Kann man das als Indiz werten, dass es noch viele Österreicher gibt, die jenen Grundkonsens nicht teilen, der dem Gedankenjahr zugrunde liegt?

Morak: Ich zitiere in diesem Zusammenhang gerne einen Satz von Claus Leggewie: Österreich ist ein stinknormales Land. Die Demokratie hat eine Antwort auf Gudenus und Kampl gefunden. Der eine ist nicht mehr Bundesrat, der andere ist nicht Präsident des Bundesrates geworden. Dass Österreich 1945 befreit wurde, ist ein grundsätzlicher Konsens in der Republik. Sowohl die veröffentlichte Meinung als auch die politischen Statements dazu waren sehr, sehr eindeutig.

Die Furche: Kritiker monieren, einzelnen Gruppen wie etwa den Opfern des Nationalsozialismus oder den Widerstandskämpfern sei im Gedankenjahr zu wenig Raum zugestanden worden.

Morak: Bei allen Veranstaltungen, bei denen ich dabei war, hat es diese Gedanken immer gegeben. Es hat immer klare Bekenntnisse gegeben, dass Österreich zwar von 1938 bis 1945 nicht existiert hat, aber dass es sehr wohl eine Mitwirkung österreichischer Staatsbürger und Staatsbürgerinnen an den Verbrechen des Nationalsozialismus gegeben hat. Jeder, der es wissen wollte, wurde darauf hingewiesen.

Die Furche: Dass im Gedankenjahr zu sehr auf repräsentative Großveranstaltungen gesetzt worden sei, war eine andere Kritik, die laut wurde.

Morak: Kleine Veranstaltungen werden eben nicht so wahrgenommen. Es gab neben den 60 Ausstellungen insgesamt 250 Symposien, Festakte, Vortragsreihen, Kongresse, Theateraufführungen, Festkonzerte und Einzelvorträge mit 70.000 Zuschauern. Unzählige kleine Vereine in Steyr, in Klosterneuburg, in Bad Aussee haben sich mit den Themen des Gedankenjahres aus der Sicht der Steyrer, der Klosterneuburger, der Bad Ausseer auseinander gesetzt. Diese Veranstaltungen haben natürlich nicht den Weg in das große Feuilleton gefunden, weil sie eine lokale Befindlichkeit wiedergeben. Der Aufmerksamkeitswert von Großveranstaltungen ist ungleich höher.

Die Furche: Welche all der zahlreichen Aktivitäten hat Sie besonders beeindruckt?

Morak: Das Schafott, das in der Staatsvertragsausstellung im Belvedere zu sehen ist, hat mich erschüttert. Dass es so etwas in unserem Land gegeben hat, war für mich ein Schock. "Das neue Österreich" im Belvedere und "Österreich ist frei" auf der Schallaburg, die Ausstellungen in Steyr und in der Grazer Synagoge fand ich schön und beglückend. Für genauso beglückend halte ich es, wenn die Ausstellung im Belvedere mit Wirtschaftsdaten endet, die nach oben zeigen. Das internationale Interesse an der wirtschaftlichen Prosperität und der sozialen Kohäsion in Österreich ist eine späte Genugtuung für das Modell Österreich.

Die Furche: Das Jahr 2005 ist noch nicht vorbei. Welche Aktivitäten werden in den letzten Wochen des Gedankenjahres noch gesetzt?

Morak: Es gibt noch einige Jugendveranstaltungen, die sich mit dem Spaßfaktor der fünfziger Jahre auseinander setzten werden: mit den Petticoats, mit den Schlagern, die man damals gehört hat. Zu einem sehr breiten Zugang zur damaligen österreichischen Befindlichkeit gehört auch die Jugendkultur in einer schweren Zeit. Damals war es nicht einfach, 14 oder 16 zu sein - aber das ist heute auch nicht einfach.

Das Gespräch führte Michael Kraßnitzer.

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