6663244-1960_19_09.jpg
Digital In Arbeit

Silberstreif für Wiener Neustadt

Werbung
Werbung
Werbung

Eines der brennendsten Probleme der nieder-österreichischen Wirtschaft stellt nach wie vor das Industrienotstandsgebiet von Wiener Neustadt und seiner Umgebung dar. Diese Stadt, die sich bis zum zweiten Weltkrieg in einer stetigen Aufwärtsentwicklung:' befand.“'hat dr.rchj'efr-Krieg wohl den schwersten ftucjsclilag*vn-a!feri' osterreiehlifchen Städfen eCifte. * .4#JL3JIäi

Die Entwicklung Wiener Neüstädts zrfm Wirt-sch'afts- und Verkehrszentrum begann eigentlich schon mit der Gründung der Stadt 1194. Obwohl die „Neustadt“ ursprünglich als reine Festungsstadt gedacht war, erkannten doch auch das Gewerbe und der Handel bald ihre günstige verkehrsgeographische Lage. So nahm diese Neusiedlung einen raschen Aufschwung, was man schon daraus ersehen kann, daß zwei Jahrhunderte nach der Gründung Kaiser Friedrich III. und zeitweise auch sein Sohri Maximitjan die „Neustadt“ zu ihrer Residenz bestimmten.

Der eigentliche Aufstieg zu einem der bedeutendsten Wirtschaftszentren Österreichs setzte jedoch erst mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts ein. Damals sprengte Wiener Neustadt die engen Fesseln seiner Mauern und wurde in der Folge zrr wichtigsten Industriestadt des Viertels unter dem Wienerwald. Im Jahre 1823 wurde der erste Fabriksbetrieb, eine Baumwollspinnerei, gegründet. Von da an ging es steil aufwärts. In der Zeit von der Jahrhundertwende bis zum End-; des ersten Weltkrieges entstanden ausgedehnte Industrieanlagen, wie die Österreichischen Daimler-Motorenwerke, .die •.Österreichische Flugzeug-AG'und die Munitionsfabrik Wollersdorf.

Nach ' 1918 gingen. viele. Unternehmen zustünde uM .nE;life|hteAekeltenvf&jjjäje Rüderen VittwhafteDenfeW*.dir Stait“'TTarm |jprt,def Jitiitiep.Jt brachte:|fcjij$it eine neue. Blüte 'der' Wiener-Neustädter Wirtschaft mit sich. Die Stadt war mit ihren Flugzeug- und Munitionsfabriken plötzlich zu einer Schlüsselposition der deutschen Wehrmachtsversorgung geworden. Aber diese Blüte war nur eine scheinbare: Die Stadt, die in dieser Zeit ründ 60.000 Menschen beherbergte, wurde zu einem Hauptziel der alliierten Luftangriffe. Einer Aufstellung der Vereinten Nationen zufolge war Wiener Neustadt gemessen an dem zerstörten Wohnraum, unter den zehn meistbetroffenen Städten des zweiten Weltkrieges zu finden. Die Einwohnerzahl war auf den Stand von 1890 zurückgefallen. Ih.der „Allzeit Getreuen“ gab es nur selten ein Haus, da halbwegs heil geblieben war. Aber die- typisch österreichische Mentalität zeigte sich auch hier: man blickte noch einmal wehmütig auf die Trümmer der Vergangenheit zurück — und begann mit dem Aufbau. 'Ein* neue Stadt entstand: Wer heute hier durchkommt, wird kaum noch etwas von Kriegseinwirkungen bemerken. Moderne Betonbauten und vom Rhythmus der Arbeit erfüllte Bauplätze kennzeichnen das Straßenbild.

Trotz des raschen Wiederaufbaues ist Wiener Neustadt dennoch ein Stiefkind der Nachkriegswirtschaft geblieben. Der Verlust der größten Industriebetriebe konnte bisher nicht wettgemacht werden, wenn auch das Gewerbe und der Handel große Anstrengungen unternommen haben. Ein ungewöhnlich großer Teil der Bevölkerung ist arbeitslos und viele Wiener-Neustädter mußten in anderen Orten Niederösterreichs, in Wien oder in den übrigen Bundesländern ihren Lebensunterhalt suchen.

Die Lösung des Arbeitslosenproblems ist und bleibt die schwierigste Aufgabe für die öffentlichen Stellen der Stadt. Der Stand der Beschäftigungslosen schwankt zwischen 3000 und 3500, was ungefähr 10 Prozent der Gesamtbe-völkerüng entspricht. Die meisten der Arbeitslosen kommen aus der Metallindustrie und aus der Textilbranche. Doch mit ihnen ist das Arbeitsangebot noch lange nicht erschöpft, denn allzu viele Wiener-Neustädter arbeiten in branchenfremden Betrieben und würden bei entsprechend ir Nachfrage natürlich gerne wieder in ihre Fachgebiete zurückkehren. Ähnlich verhält es sich auch mit den bereits oben erwähnten „Wirtschaftsnomaden“, die selbstverständlich eine Beschäftigung in der Heimatstadt vorziehen würden.

Um diesen Notständen abzuhelfen, ist die Stadtverwaltung ständig bemüht, neue Industrien nach Wiener Neustadt zu ziehen. Sie kann dabei neben dem hohen Angebot an Arbeitskräften auf mancherlei bedeutende Vorteile hinweisen, die sich für investitionsfreudige Unternehmer hier bieten.

Da ist einmal die günstige Lage. Nur eine gute halbe Stunde Fahrzeit trennt Wiener Neustadt von der Bundeshauptstadt. Man kann also im großen und ganzen die Vorteile der Großstadt genießen, ohne dabei unbedingt ihre Nachteile tragen zu müssen.

Durch seine Grenzlage bedingt, ist Wiener Neustadt zu einem der wichtigsten Umschlagplätze des Bürgenlandes geworden. Die Lage an der Südbahn-Hauptstrecke, an der Aspangbahn und an der Ödenburger Bahn stellt einerseits für die Rohstoffversorgung aus den steirischen Industrie- und Bergbaugebieten, anderseits für den Osthandel mit Ungarn eine wesentliche Erleichterung dar.

Neben diesen rein verkehrstechnischen Vorteilen kann aber die Stadtverwaltung noch auf ein zumindest gleichwertiges Plus hinweisen: auf das ebene Gelände rund um die Stadt. Hier wurden drei Großflächen in einem Gesamtausmaß von etwa 550.000 Quadratmeter zum „Industriegebiet“ erklärt. Die drei Teile sind teilweise bereits verkehrstechnisch erschlossen oder können jederzeit ohne Schwierigkeiten an das Eisenbahn-, Straßen- oder auch an das Energieversorgungs-n£tz angeschlossen werden. Die Stromversorgung wird durch ein Umspannwerk, das sich direkt im Industriegelände''Seflndet, gewährleistet. Auch die Belieferung mit Stadtgas durch die Wiener-Neustädter Stadtwerke ist durch Anschlußmöglichkeiten im Gelände gesichert. Dazu kommt noch, daß seit dem Jahre 1958 eine Erdgasleitung direkt nach Wiener Neustadt führt, was eine Verminderung der Energiekosten bis zu 30 Prozent ausmachen kann. Auch mit Kohle ist Wiener Neustadt ausreichend versorgt. Durch besonders günstige Frachtrelationen sind hier die Einstandspreise inländischer Braunkohlen niedriger als in den meisten anderen Industriegebieten Österreichs, wie etwa in Linz, St. Pölten oder Wien. Die Trinkwasserversorgung des Industriegebietes ist ebenfalls zu jeder Zeit gesichert Das Wasser für industrielle Zwecke kann aus dem ergiebigen Grundwasserstrom entnommen werden, dessen Spiegel sich etwa 12 bis 15 Meter unter der Oberfläche befindet.

Es sind also in Wiener Neustadt wirklich alle Voraussetzungen für den Aufbau neuer Industrien gegeben, besonders für die Zukunft, besitzt doch Wiener Neustadt einen der größten Naturflughafen Europas.

Die Aussichten für eine industrielle Wiedererschließung dieses Teiles des Wiener Beckens haben sich gerade in allerletzter Zeit gebessert: Durch den Abschluß des EFTA-Vertrages haben sich die Bedingungen für die EWG-Staaten in bezug auf das Exportgeschäft nach Österreich und den anderen Mitgliedern der Freihandelszone verschlechtert. Daher geht das Trachten vieler exportorientierter Unternehmen (darunter besonders der westdeutschen Industrie) dahin, in den EFTA-Staaten Zweigbetriebe zu errichten. In Österreich konzentriert sich dieses Interesse besonders auf das südliche Wiener Becken und das Burgenland. Man denke nur an das Be-wertungsfreiheitsgesetz, an die verschiedenen Abgabenbegünstigungen und Krediterleichterungen seitens der Gemeindeverwaltungen, an die niederen Bodenpreise und an die hervorragenden Transportbedingungen.

Wenn man auch den Einfluß dieser ausländischen Kapitalinvestierungen auf die österreichische Wirtschaft nicht genau voraussagen kann, das eine steht fest: für den Lokalbereich von Wiener Neustadt und seiner Umgebung könnten sie nur große Vorteile bringen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung