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Stadt auf dem Berg -kleines Castelgandolfo

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Die Stadt Leibnitz, wo Österreichs Tennisidol Thomas Muster das Racket zu schwingen lernte, muß zu Schloß Seggau aufblicken. Auf einem Ausläufer des stei-rischen Hügellandes gelegen, überschaut der in seinem Kern aus dem Mittelalter stammende Bau das Leib-nitzer Feld, ein imposanter Zeuge der Geschichte und zugleich eine Stätte wichtiger aktueller Vorgänge für Leib und Seele.

Denn die Menschen, die hier arbeiten, sind nur am Rande Kustoden alter Kulturgüter, sie stellen sich vor allem in den Dienst der Lebensqualität ihrer Mitmenschen und scheuen dabei keine Mühe. „Non recuso labo-rem” (Ich weise keine Arbeit zurück) - der hier mehrmals anzutreffende Wappenspruch des früheren Grazer Bischofs Josef Schoiswohl - verdeutlicht gut, mit welcher Einstellung hier ans Werk gegangen wird.

Seit 1595, also seit genau 400 Jahren, befindet sich die Anlage im Alleinbesitz der Bischöfe von Graz-Seckau, was mitunter zu Verwechslungen zwischen Seckau in der Obersteiermark, wo sich heute eine berühmte Benediktinerabtei befindet, und Seggau führt. Seggaus Jubiläum war heuer im Juni Anlaß einer Festwoche, in deren Rahmen Altbundespräsident Rudolf Kirchschläger, der Historiker Gert Christian und der Salzburger Weihbischof Jakob Mayr Vorträge hielten.

Aus dem zweiten und dritten Jahrhundert nach Christus stammen in Seggau aufgefundene Steine, die zum Teil nach Graz transportiert, zum 'Feil im Schloß eingemauert wurden. Im Südosten von Leibnitz lag damals die bedeutende römische Siedlung Flavia Solva, auch im Wallfahrtsort Frauen-berg in unmittelbarer Nähe des Schlosses stieß man auf Spuren der Römer.

Die im Mittelalter errichtete Burg Leibnitz gehörte jahrhundertelang den Erzbischöfen von Salzburg, ein Teil wurde dann dem Bischof der 1218 gegründeten Diözese Seckau überlassen. Nachdem der Bau 1595 von Erzbischof Wolf Dietrich von

Raitenau ganz dem steirischen Bischof Martin Brenner übertragen worden war, wurde er im 17. Jahrhundert zum Schloß Seggau umgebaut, das wegen der noch nicht gebannten Türkengefahr noch über starke Wehranlagen verfügte und bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts als Sommerresidenz der Bischöfe, als „steirisches Castelgandolfo” diente. Unter Bischof Schoiswohl und dem jetzigen Diözesanbischof Johann Weber, der seine Hausherren-Wohnung im Schloß selten benützt, wurden neue Akzente gesetzt.

Als bischöfliches Mensalgut ist Seggau direkt dem Bischof unterstellt. Der vom Bischof bestellte Gutsverwalter Hans Ranz hat sich um alle dazugehörigen Betriebszweige zu kümmern: das Schloß mit seinen Kulturgütern, das Bildungshaus mit seinem Kongreß- und Tagungszentrum, die Restaurants, das Hallenbad mit Sauna und Solarium, das Freibad, die Tennisplätze, die Sulmseen, das Bauernmuseum, den Weinbau und die Kellerei, die Winzerhäuser, den Forst, die Jagden, die Fischereigewässer und die Landwirtschaft.

Hans Ranz ist auch ständiger Diakon und möchte als früherer langjähriger Direktor des Wiener Seminars für kirchliche Rerufe die Rolle des Laien in der Kirche sehr hoch bewertet sehen. Wer mit Ranz spricht, merkt sofort, daß er es vor allem mit einem spirituellen Menschen, nicht nur mit einem kühl kalkulierenden Verwalter von 791 Hektar Land zu tun hat. Ihm ist ein Anliegen, daß Seggau als „Stadt auf dem Berg” eine offene, einladende und gastfreundliche Kirche repräsentiert, eine Stätte des Dialoges und der Begegnung.

Im neuen Dreifaltigkeitsbrunnen im Hof des Schlosses kann, so Ranz, sich der Mensch in seinem Wesen finden, als Einheit von Geist, Seele und Leib, dessen Leben sich im Denken, Fühlen und Wollen vollzieht und in Glaube, Hoffnung und Liebe nach dem unendlichen Gott ausstreckt. Diesem dreifaltigen Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, diene die Kirche in Liturgie, Verkündigung und Dia-konie.

Daß das keine leeren Worte sind, sondern echtes Bemühen dafür da ist, im Spannungsfeld zwischen Glauben und Ökonomie effizientes Wirtschaften mit Nächstenliebe zu vereinen, zeigt sich beim Begleiten des Verwalters durch die Schloßanlage. Eine Angestellte kommt mit der Anfrage von der nahen Grenze, ob das Schloß eine Flüchtlingsfamilie aus Ex-Jugoslawien aufnehmen könne. Es kann. Für Ranz ist es selbstverständlich, im Rahmen der eigenen Möglichkeiten zu helfen, und er tritt auch vehement dafür ein, daß die Kirche ihre Soziallehre und die österreichischen Bischöfe ihren Sozialhirtenbrief im eigenen Bereich umsetzen, auch wenn das nicht immer leicht fällt.

Familien, die Erholung suchen, kommen wegen der Freizeitanlagen gern immer wieder her. Das gleiche gilt für Veranstalter und Teilnehmer von Tagungen und Bildungsveranstaltungen, die den reizvollen Kontrast zwischen dem modernen, erst 1994 fertiggestellten und mit Architekturpreisen bedachten Kongreßzentrum und der mittelalterlichen Gesamtanlage mit ihrem stimmungsvollen Ambiente zu schätzen wissen.

Zu den Attraktionen hier zählen neben der Landschaft - die zum Gut gehörenden Sulmseen sind an heißen Sommertagen ein beliebter Ausflugsort - auch die (nach der von Mariazell) zweitschwerste Glocke der Steiermark, die 5390 Kilogramm schwere „Seggauer Liesl”, die im 18. Jahrhundert ausgestatteten Fürstenzimmer und der über 300 Jahre alte Weinkeller. Die 49 Eichenfässer haben ein Fassungsvermögen von 170.000 Liter - das größte Faß hat 12.000 Liter. Die Güte der edlen Tropfen, für die der junge Kellermeister Dietmar Silly verantwortlich zeichnet, spricht sich zunehmend herum. Zwei Weine, der Sauvignon blanc und der Muskateller, wurden 1994 sogar Sieger bei der steirischen Landesweinbewertung.

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