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Stadtgeschidite, W eltgeschidite

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Man pflegt die Stadtgeschichte zumeist mit der Heimatgeschichte in engste Verbindung zu bringen, sie, wenn nicht geradezu ihr gleichzusetzen, als einen Teil von ihr zu betrachten. Dies hat seinen guten Sinn; denn die Stadt, als wirtschaftliches, politisches und kulturelles Zentrum der Landschaft, ist ohne Zweifel auch ein zentraler Forschungsgegenstand der Heimatgeschichte, mag diese einen größeren oder kleineren Raum umfassen. Aber nicht nur dem Gegenstand nach decken sich Stadtgeschichte und Heimatgeschichte weitgehend, sondern auch in den zwei wichtigsten Momenten der Geschichtsforschung: den Quellen, aus denen sie schöpfen, und der Methode, derer sie sich bedienen. Und doch geht die Bedeutung der Stadt weit über jene territoriale Funktion, die der Stadtgeschichte weit über die der Heimatgeschichte oder Geschichte einer Landschaft hinaus.

Die Stadt ist wie eine der wichtigsten geschichtlichen Erscheinungen, so auch eines der wichtigsten Objekte der Geschichte überhaupt, der Weltgeschichte. Dies gilt schon von den Anfängen der Stadt: ohne Stadtkultur hätte es nie Hochkulturen gegeben. Die Entstehung der Stadtkultur, vermutlich im vorderasiatischen Raum, ihre Verbreitung erst über das östliche, dann über das gesamte Gebiet der Mittelmeerlandschaften, ihre Funktion für die politische Organisation der griechischen Welt und des römischen Reiches, ihre weitere Verbreitung Jn der gleichen Funktion in die Land jenseits der Alpen, soweit sie Teile des römischen Reiches wurden, und darüber hinaus, sind Tatbestände von weltgeschichtlicher Bedeutung. Im Mittelalter wird die Stadt zum Hort der Tradition in Überlieferung und Sitte und zur Trägerin von Bürgerfleiß und Handwerk, zur Schöpferin von Bürgerfreiheit und zu einer Hüterin des Friedens. Schön und allgemeingültig für die deutsche Stadt in diesf

ner in seinem Preis auf das Nürnberg seiner „Meistersinger” ausgesprochen: „Wie friedsam treuer Sitten, getrost in Tat und Werk.”

Neue Zusammenarbeit

Es ist daher wohl von Bedeutung, wenn die Stadtgeschichtsforschung in Österreich sich anschickt, ihre Tätigkeit planmäßig auszugestalten. Auf Anregung des Leiters des Linzer Stadtarchivs, Dr. Wilhelm Rausch, hat die Österreichische Akademie der Wissenschaften durch Beschluß der philosophisch-historischen Klasse vom 8, März 1961 eine „Kommission für Stadtgeschichtsforschung” eingesetzt. Schon früher hat sie mit ihren Unternehmen der Burgenforschung und der Herausgabe österreichischer Rechtsquellen, der Fontes iuris, von denen die Stadtrechte einen wesentlichen Teil bilden, ihre Tätigkeit auf das Gebiet stadtgeschichtlicher Forschung ausgedehnt, zumal in dem Bereich der beiden Quellen, die auch für die Stadtgeschichte die wichtigsten sind: der archäologischen Erforschung der Baugeschichte von Siedlungen und der Aufsuchung und Verwertung von Rechtsurkunden. Verwahrer und in nicht unbeträchtlichem Maße auch wissenschaftliche Verarbeiter dieser Urkunden sind aber die Archive. Es ist daher als ein wesentlicher Fortschritt zu werten, daß in der am 22. und 23. September 1961 in Linz abgehaltenen Tagung „Stadtarchive und Stadtgeschichtsforschung” die Zusammenarbeit der Akademie mit den österreichischen Archiven nicht nur sichtbar in Erscheinung trat, sondern in einem bestimmten Unternehmen sich bereits angebahnt hat.

Am Vortag, dem 21. September, fand eine Vorbesprechung österreichischer und auswärtiger Archivare, namentlich aus der Deutschen Bundesrepublik, gemeinsam mit der „Kommission für Stadtgeschichtsforschung” der Österreichischen Akademie der Wissenschaften unter Vorsitz des Präsidenten statt. Es wurde der Plan einer Bestandsaufnahme der österreichischen Städte, der später auch eine solche der Märkte folgen soll, erörtert und in seinen Grundlinien festgelegt.

Die Bedeutung und der Erfolg der Tagung geht daraus hervor, daß sie fast 200 Teilnehmer, zu gleichen Teilen aus Österreich und dem nähe-

ren Ausland, der Deutschen Bundesrepublik, der Tschechoslowakischen Republik und Ungarn, zählte, in erster Linie Archivbeamte, aber auch Leiter von Bibliotheken und Museen, Professoren und Dozenten der Universitäten, Mittelschullehrer und insbesondere auch Vertreter der Stadt Linz, an der Spitze Bürgermeister Bundesrat Dr. Ernst Koref, und verschiedener Körperschaften, wie der Vorsitzende des Kulturausschusses des Österreichischen Städtebundes, Dr. Alfred Miksch, der Vizedirektor des Internationalen Archivrates, Etienne Sabbe, Universitätsprofessor Dr. Georg Wilhelm Sante als Vorstand der Deutschen Archivvereinigung, der Leiter des Unternehmens „Deutsches Städtebuch”, Universitätsprofessor Dr. Erich Keyser.

Die Tagung selbst gliederte sich in zwei Teile: 1. Archivtechnischer Teil, 2. Stadtgeschichtsforschung. Der erste Teil befaßte sich mit organisatorischen Fragen der Archive, räumlich und verwaltungsmäßig, und mit der Forde rung nach einem fachwissenschaftlichen Beamtenpersonal. Es kam aber auch die für die wissenschaftliche Bedeutung der Archive zentrale Frage der Verbindung von Archivdienst und Geschichtsforschung in der Person des Archivars zur Sprache und fand einstimmige Billigung.

Der Zukunft entgegen

Der zweite Teil der Tagung bot durch seine planvolle Anlage eine systematische Überschau über die Geschichte der deutschen Städte unter besonderer Hervorhebung zweier entscheidender Wendepunkte: ihrer Entstehung aus verschiedenen Ursprüngen, aus dem Fortleben römischer Städte, der Entstehung neuer Siedlungen am Sitz von Bischöfen und Klöstern, auf kaiserlichen Pfalzen und auf Herzogssitzen, der Gründung durch Territorialherren und Adelige, vor allem der Bedürfnisse des Marktes vom 9. bis 11. Jahrhundert; und die Konstituierung der Städte zu politischen Gemeinwesen und Rechtsträgern im 12. und 13. Jahrhundert. Die Vorträge begannen mit einer Überschau über „Die europäischen Städte bis zum 11. Jahrhundert” von Universitätsprofessor Dr. Vercauteren, Lüttich, und schritten dann regional von Westen nach Osten über die rheinischen und westdeutschen, bayrischen und österreichischen, norddeutschen, mittel- und ostdeutschen und böhmisch-mährischen Städte im 12. und 13. Jahrhundert fort. Allenthalben zeigten die Vorträge gründliche Kenntnis und kritischen Forschergeist, aber auch ,warme Anteilnahme an dem Gegenstand, dem die Zuhörerschaft in gleicher Weise folgte. Von der zentralen Thematik her eröffnen sich weite Sichten nach der Vorzeit zu den Zusammenhängen mit dem Städtewesen des römischen Reiches, ja der mittelmeerischen Stadtkultur überhaupt, nach der Folgezeit zu den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Auswirkungen des Städtewesens und Bürgertums bis zur Gegenwart. Ein hohe Aufgabe ist damit in die Hand der Stadtgeschichtsforschung gelegt, zu der die Tagung einen Gutes versprechenden Auftakt bildete.

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