„Aufschrei gegen den Totalitarismus“

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„Der Kaiser von Atlantis oder Die Todverweigerung“ am Linzer Landestheater: Dass diese Oper, die ihren Anfang 1942 im KZ Theresienstadt nahm, nun in einer überaus stimmigen Inszenierung auf dem Spielplan des Hauses steht, ist das Verdienst des engagierten Intendanten und Regisseurs Rainer Mennicken.

Diese Oper, 1942 in dem „Vorzeige“-KZ Theresienstadt begonnen, hat dank einem Freund als Autograph überlebt. Nicht aber ihre jüdischen Schöpfer: der bereits arrivierte Komponist und Schönberg-Schüler Viktor Ullmann (1898–1944) und sein junger Librettist Peter Kien (1919–1944). Das 1943 fertiggestellte Libretto „Der Kaiser von Atlantis“ bezeichnete er als „Legende in vier Bildern“, die einstudiert und geprobt wurde. Zu der geplanten Aufführung kam es jedoch nicht mehr. Beide, Ullmann und Kien, wurden mit fast dem ganzen Kammerensemble kurz nach Vollendung der Oper in Auschwitz ermordet.

2000 in Mauthausen aufgeführt

Erst 1975 in Amsterdam uraufgeführt, in Stuttgart 1985 als deutsche Erstaufführung unter dem Dirigat von Dennis Russell Davies gezeigt, wurde die Oper seither häufig nachgespielt. Im Jahr 2000 sogar in Mauthausen. Dass sie nun auch am Landestheater Linz in einer überaus stimmigen Inszenierung auf dem Spielplan steht, ist das Verdienst des engagierten Intendanten und Regisseurs Rainer Mennicken. Im Gespräch mit der FURCHE „gestand“ er, dass der „Kaiser“ nach 18 zurückliegenden Inszenierungen in diversen theatralen Bereichen seine erste Opernregie sei, zu der ihn Davies ermutigt habe.

„Wir hatten eine sehr schöne und interessante Zeit miteinander“, so Mennicken weiter. „Die Sänger, Musiker, Ausstatter (Silke Fischer; Anm.), freuen sich allesamt über das Ergebnis und die gute Resonanz, auch wenn der große Zuschauerstrom bislang ausbleibt, was bei einem Werk dieser Qualität auch kein Wunder ist heutzutage. Selbst gesehen habe ich Ullmanns Oper nie. Aber ich wusste seit Jahren, dass es sich um einen Stoff handelt, der mich interessieren muss, weil ich die Aufarbeitung des schrecklichsten Kapitels der deutschen Geschichte immer als wesentliche Aufgabe für meine Generation begriffen habe.

Ein modernes Mysterienspiel

Modernes ‚Mysterienspiel‘ als Aufschrei gegen den Totalitarismus – das war mein Thema. Die Musik und die dramatische Form nicht minder, Ansagertexte, Anklänge an Weill und Eisler, Populärmusik der Zwanziger und Dreißiger. Brecht, natürlich! Vielleicht sollte ich noch sagen, dass die Werkgestalt selbst eine große und schöne Herausforderung war. Es hat mich ein halbes Jahr beschäftigt, wie die Nummernfolge, die ja im Libretto darauf hinausläuft, dass meistens nur zwei oder drei Figuren auf der Szene wären, in ein dichteres Geflecht und eine Entwicklung zulassende Dramaturgie umzuformen sei. Das war schwierig, aber sehr reizvoll. Und, wie ich finde, im Dienste des Werks weiterführend.“

Und welcher Ansatz ist ihm für seine Inszenierung am wichtigsten gewesen?

„Im Kern wollte ich die überzeitliche Bedeutung dieser musiktheatralischen Parabel betonen und auf das, was man einen überflüssigen Pietätsgestus gegenüber den Verfassern nennen könnte, verzichten. Sie wollten künstlerisch avantgardistisch-kreativ sein – auch angesichts der Schrecknisse, von denen sie umgeben waren.“

„Nun ist sie erblüht, die Blume der Liebe“

Eine vage Ahnung dieser Schrecknisse schwingt in Klangfarben und Rhythmen des verkleinerten Bruckner Orchesters Linz mit Ingo Ingensand am Pult mit (am Piano Daniel Linton-France, Marc Reibel). Doch zunächst tritt der Lautsprecher (Bass) auf und stellt das Personal vor: Kaiser Overall (Martin Achrainer, Bariton), seit 15 Jahren an der Macht. Der Tod (Nikolai Galkin, Bass); Harlekin (Hans-Günther Müller, Tenor); ein Soldat (Iurie Ciobanu, Tenor); Bubikopf, eine Soldatin (Teresia Bokor, Sopran); der Trommler (Elsa Giannoulidou, Mezzosopran). Dieser verkündet in des Kaisers Namen den „großen, segensreichen Krieg aller gegen alle“, geführt vom Tod als Bannerträger. Der Tod fühlt sich verhöhnt, zerbricht sein Schwert und streikt.

Nun kann niemand mehr sterben. Die Befehle des Kaisers zu töten werden nicht befolgt. Sogar der Soldat und die Soldatin Bubikopf finden sich glücklich in einem schönen Duett: „Nun ist sie erblüht, die den Tod verschönt, die Blume der Liebe, die alles, alles versöhnt.“ Bald sind auch Overall und Tod versöhnt. Gut so, denn wir brauchen ihn. Wer würde sonst die Sterbenden von ihren Leiden erlösen?

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