Eine Gymnasialklasse im Erfurter Dom: Der Führer erklärt die Kunstschätze der Kirche, kommt auf die kultur- und geistesgeschichtliche Bedeutung des Ortes zu sprechen, gibt zum Abschluß der Führung den Jugendlichen noch die Gelegenheit, Fragen zu stellen.
Einer der Jugendlichen ergreift diese Möglichkeit. "Da gibt es an verschiedenen Stellen in der Kirche diese gekreuzten Balken mit einer Figur darauf - wer ist das eigentlich?"
So geschehen kurz vor der Wende, für mich seit damals Inbegriff einer areligiösen Erziehungspolitik und zugleich einer kulturellen Verarmung.
Aber wir müssen mit Beispielen nicht so weit gehen.
Jedes Jahr muß vor der Erstkommunion, fallweise sogar erst vor der Firmung, das eine oder andere Kind nachgetauft werden, verbunden mit der erstaunten Feststellung, man habe ja nicht gewußt, daß dies Voraussetzung sei.
Und es genügt auch durchaus, sich in diesen Sommertagen einmal längere Zeit in eine künstlerisch attraktive Kirche zu setzen und dem touristischen Treiben zuzusehen, das nicht gerade viel Verständnis für die innere Bedeutung des Ortes erkennen läßt.
Vorwürfe?
Nein, das sind keine Vorwürfe - an wen denn auch als an uns selbst? Das sind eher Beobachtungen zu einer bisweilen hilflosen Bedenklichkeit darüber, was in unserer Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten passiert ist und wohin wir uns entwickelt haben.
Worin besteht dieses Phänomen, daß wir vielfach an den Menschen von heute vorbeiverkündigen, vorbeigesprochen haben?
Schnelle Antworten gibt es nicht, oder doch?
Moralisieren ist nicht gefragt, das "aggiornamento" eines Johannes XXIII. wurde schnell beiseite geschoben, die Solidarität als Basisinhalt christlichen Denkens läßt zu wünschen übrig, die Offenheit für Menschen vor allem in geistiger Not kennt Grenzen ...
Gut, daß es Österreichs katholische Kirche neu mit ihrem "Dialog" mit den Menschen unserer Zeit versucht. Ein Erfolg wäre dringend nötig, ist zu hoffen und zu wünschen!
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