Der Sänger des Volkes

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Geliebt und bejubelt - verfolgt und verfemt: zum 100. Geburtstag des Tenors Joseph Schmidt.

Der Sänger, der niemals eine Opernbühne betreten hat; der Sänger populärer Schlager; der Sänger, der nur durch seine Filme bei einem Millionenpublikum bekannt geworden ist - solchen Halb- und Unwahrheiten kann man bis heute in Bezug auf den Tenor Joseph Schmidt begegnen. Am ehesten der Wahrheit entspricht dabei noch die Tatsache, dass der am 4. März 1904 in Davideny in der Bukowina (damals zur Habsburger-Monarchie gehörend) geborene Sänger in seinen Konzerten nicht nur klassische Lieder und Opernarien sang, sondern immer gerne auch leichte Kost zum Besten gab, durchaus gewagte Mixturen aus Kunst und Kommerz, die ihm schon früh negative Kritiken einbrachten.

Kunst und Kommerz

Joseph Schmidt war aber nicht nur Radio-, Konzert- und Filmsänger, er hat sehr wohl auch auf der Opernbühne gesungen: 1939 erfüllte sich für ihn, dem man auf Grund seiner Körpergröße von gerade 1,54 Meter prophezeit hatte, er werde nie Bühnenkarriere machen, dieser Traum bei einer Produktion von Puccinis "La Bohème" in Brüssel. Es war dies gleichzeitig das Ende der außerordentlichen Opernkarriere von Joseph Schmidt, die 1929 beim Berliner Rundfunk begonnen hatte. In den Jahren 1925/26 hatte der damals bereits als Tempel- und Synagogensänger geschulte Sänger in Berlin an der Hochschule für Musik studiert. Der Direktor dieses Instituts hatte die außergewöhnlichen Talente von Joseph Schmidt sogleich erkannt und ihn an den Leiter der musikalischen Abteilung des Berliner Senders empfohlen. Beim Vorsingen stand schnell fest, dass dieser kleine Mann mit seiner singulären Stimme genau jener Sänger war, den man seit langem suchte: ein vielseitig einsetzbarer Tenor von großer Musikalität für die damals, in der Zeit vor der Langspielplatte, beliebten Opernproduktionen im Rundfunk.

Joseph Schmidt wurde gleichsam über Nacht zum Tenorstar des Berliner Senders; unter berühmten Dirigenten sang er eine Vielzahl von Opernpartien, darunter einige der schwierigsten Rollen, die je für Tenor geschrieben wurden, etwa Arnold in Rossinis "Wilhelm Tell", Arrigo in Verdis "Sizilianischer Vesper" und Chapelou in Adams "Postillon von Lonjumeau". Mitschnitte kompletter Ausstrahlungen waren damals noch nicht möglich, nur einzelne Ausschnitte konnten aufgenommen werden. Von den vielen, derart entstandenen Rundfunkplatten haben aber nur wenige die Zeit überdauert; auf Grund der Materialbeschaffenheit der damaligen Tonfolien oder Wachsplatten waren einige schon nach kurzer Zeit zersetzt, der größte Teil aber wurde bei den antisemitischen "Säuberungsaktionen" der Nazis zerstört.

Rundfunkstar in Berlin

Nur vier Jahre dauerte die unvergleichliche Karriere von Joseph Schmidt beim Berliner Sender, lange genug allerdings, um ihn weit über die Grenzen Deutschlands hinaus als einen der ersten Tenöre jener Zeit zu etablieren. Die Machtübernahme der Nazis 1933 bereitete diesem Kapitel von Joseph Schmidts Laufbahn ein jähes Ende. Der gefeierte Sänger wurde über Nacht beim Deutschen Rundfunk zur unerwünschten Person, seine bis dahin geradezu vom Publikum gestürmten Konzertauftritte ("wenn Joseph Schmidt singt, bleiben die Kinos leer", war ein keineswegs übertriebenes geflügeltes Wort jener Jahre) waren ihm plötzlich verboten; nur seine Filmarbeit konnte er vorerst noch in Deutschland fortsetzen. Nachdem er bisher in einigen Streifen in Nebenrollen mitgewirkt hatte, sollte er jetzt erstmals eine Filmhauptrolle übernehmen; in einer Geschichte, die zudem ein Problem seines eigenen Lebens thematisieren sollte: er spielte einen Sänger mit herrlicher Stimme, aber viel zu klein gewachsen, um Bühnenkarriere machen zu können. "Der Sänger des Volkes" hätte dieser 1933 gedrehte Film heißen sollen. Doch die Zensurbehörden waren der Meinung, dass Joseph Schmidt als Jude kein Sänger des Volkes sein könne - obwohl er es ohne Frage zu jener Zeit war. Also wählte man den Titel "Ein Lied geht um die Welt" - ein nicht weniger programmatischer Titel, denn der Film und die darin enthaltenen Lieder gingen wirklich um die Welt. Eine eigenständige englische Fassung wurde wegen des großen Erfolgs 1934 in London produziert und sogar in Deutschland wurde der Streifen - trotz des Juden Joseph Schmidt in der Hauptrolle - bis 1937 in den Kinos gezeigt.

Erfolg in den USA

Bereits im Jahr 1933 hatte es ein Angebot an Joseph Schmidt gegeben, in den USA aufzutreten, genau zu jener Zeit, als seine bis dahin beispiellose Karriere in Deutschland zu Ende gegangen war; doch statt das Abenteuer Amerika schon 1933 zu riskieren, hatte es Joseph Schmidt vorerst vorgezogen, vor allem in Wien Filme wie "Wenn du jung bist, gehört dir die Welt", "Ein Stern fällt vom Himmel" und "Heut' ist der schönste Tag in meinem Leben" zu drehen und in Österreich, Holland, Frankreich, Palästina, Polen und der Schweiz Konzerte zu geben. Erst 1935 - möglicherweise aus dem Bewusstsein heraus, dass seine rege Konzerttätigkeit doch nur ein schwacher Ersatz für die ihm verwehrte Operntätigkeit beim Berliner Rundfunk war, möglicherweise auch aus der Erkenntnis, dass sein Wirkungskreis doch allzu eingeschränkt war - ließ er sich für Konzerte in Amerika verpflichten.

Am 7. März 1937 fand das Antrittskonzert in der New Yorker Carnegie Hall statt und wurde via Rundfunk über den ganzen Kontinent übertragen, ein für den Sänger möglicherweise belastender, für die Nachwelt aber umso glückvollerer Umstand, dem man den Mitschnitt dieses Konzerts zu verdanken hat. Das Publikum jubelte und mehr noch überbot sich die sonst so gestrenge amerikanische Presse mit Superlativen: "Zwei Weltwunder hat das Jahr 1937 hervorgebracht: die Golden Gate Bridge und Joseph Schmidt", hieß es beispielsweise in einer Zeitung. Gleich für die nächste Saison war er wieder in die USA eingeladen worden und stand bereits am 3. Oktober 1937 erneut auf dem Podium der New Yorker Carnegie Hall. Nach diesen Auftritten und einer Tournee durch das Land wurde Joseph Schmidt auch in den USA als Superstar gehandelt. Von Gagenzahlungen in astronomischen Höhen wusste die Presse zu berichten und sogar für Werbezwecke wurde Joseph Schmidt in Amerika eingesetzt. Gerade 33 Jahre war der Sänger damals alt und hätte sich zweifellos auch in Amerika eine ähnlich spektakuläre Karriere aufbauen können wie im Deutschland der frühen dreißiger Jahre, wo er innerhalb kürzester Zeit zu einem von einem Millionenpublikum angehimmelten Tenorstar aufgestiegen war. Möglicherweise hätten sich auch immer wieder erwähnte, aber niemals konkretisierte Hollywood-Pläne realisieren lassen, wäre Joseph Schmidt in Amerika geblieben. Einen schon ausgestellten Vertrag für weitere Auftritte in den USA im Herbst 1939 hat Joseph Schmidt aber nie unterschrieben. Er zog es vor, in Holland, in Aufführungen von Puccinis "La Bohème" in einer Bühnenproduktion mitzuwirken, ein Unternehmen, das längst nicht so erfolgreich war wie seine amerikanischen Auftritte. Bald, nachdem die Hitler-Truppen auch die Benelux-Staaten überfallen hatten, sollte es für ihn auch in Holland keine Auftrittsmöglichkeiten mehr geben. Über Frankreich gelang es Joseph Schmidt, in die Schweiz zu flüchten, wo er nur 38-jährig im November 1942 nach dem Aufenthalt in einem Internierungslager verarmt verstorben ist.

Tod in der Schweiz

Nur bescheidene Zeitungsnotizen meldeten den Tod des einstigen Sängerstars. Erst nach dem Untergang des "Dritten Reiches" entdeckte man ihn dank der erhaltenen Tonaufnahmen und seiner Filme als eine der größten Künstlerpersönlichkeiten der zwanziger und dreißiger Jahre erneut. Der Familie von Joseph Schmidt brachte dieser postume Ruhm aber nichts mehr; in bitterster Armut verstarb die Mutter des Sängers acht Jahre nach ihrem Sohn in Rumänien. Ihr größter Wunsch, sein Grab zu besuchen, war auf Grund der Sturheit der Behörden unerfüllt geblieben. Legenden aus Halb- und Unwahrheiten wurden fortan um das kurze Leben von Joseph Schmidt gesponnen; erst eine 1992 veröffentlichte, gründlich recherchierte Biografie von Alfred Fassbind, dem Gründer und Kurator des Joseph-Schmidt-Archivs in Rüti bei Zürich, ließ dem singulären Sänger und seiner außergewöhnlichen Kunst Gerechtigkeit widerfahren.

Der Autor ist Miglied der Ö1-Musikredaktion.

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