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Jugend im Wettstreit

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Scheveningen, Anfang Juni

Die Veranstalter eines Musikwettbewerbes von solchem Umfang, wie er während der letzten Maiwochen in Scheveningen, der Perle des Nordseestrandes, stattgefunden hat, mußten mit mancherlei Schwierigkeiten rechnen. 315 Bewerber um die Preise aus Gesang, Violine und Klavier aus 28 Nationen hatten die Berechnungen, die Philips Radio ‘angestellt hatten, um mehr als das Doppelte übertroffen. Doch es ergab sich eine einhellige Zusammenarbeit zwischen den von den zuständigen Stellen geförderten Veranstaltern, den Botschaften, Gesandtschaften und offiziellen diplomatischen Vertretungen, den Gesellschaften auch, die kulturelle Beziehungen zu den einzelnen Ländern unterhalten, und der Bevölkerung des Seebades, deren wohlhabende Familien freiwillig und ohne Entgelt für die Unterbringung der ausländischen Gäste gesorgt haben. Viele Wettbewerbsteilnehmer galten gewissermaßen als Vertreter ihrer Länder, da verschiedene Staaten, darunter auch Österreich, schon durch eine Art Vorwettbewerb eine Auswahl unter den Kandidaten getroffen hatten. Demzufolge konnte man sicher sein, den allerbesten künstlerischen Nachwuchskräften in Scheveningen zu begegnen.

Die Altersgrenzen waren 15 und 30 Lebensjahre. Somit hat der Wettbewerb vielen jüngeren Künstlern Gelegenheit geboten, sich zumeist erstmalig vor internationalem Forum zu bewähren. Das Preisrichterkollegium setzte sich aus anerkannten Virtuosen und international geschätzten Pädagogen zusammen. Der Wettbewerb selbst gliederte sich in eine Vorauswahl hinter verschlossenen Türen und eine öffentliche Hauptkonkurrenz im dreitausend Personen fassenden Konzertsaal des Kurhauses. Den Geigern waren als Pflichtkomponisten Bach (Solowerke) und Paganini befohlen, während die Wahl des jeweiligen Violinkonzertes dem Bewerber anheimgestellt war. Den Pianisten war Bach (Wohltemperiertes Klavier), letzter Beethoven, ein romantisches und ein Werk aus der jüngsten Zeit vorgeschrieben. Die Sänger schließlich hatten eine klassische Arie, je ein Lied in deutscher und französischer Sprache und eine Opern arie zu wählen. Sowohl in der Vorauswahl wie im Hauptconcours wurde die Errechnung der Resultate vom Sekretariat durchgeführt, um jede Einflußnahme einzelner Jurymitglieder auf das Schlußergebnis auszuschalten. Mitgliedern der Jury, die im Fragebogen eines Teilnehmers als Lehrer genannt waren, wurde das Mitstimmrecht beim gesamten Hauptconcours versagt. So kam ein, soweit Menschen gerecht sein können, gerechtes Urteil zustande. An drei Galaabenden, die Fritz Schürmann an der Spitze des Residenzorchesters leitete — auch die Programme der Konzerte in ihrer Einigung von bekannten und neuen Werken können als Vorbilder gelten —, konnten schließlich die vier Träger der ersten drei Preise konzertieren. Nach dem Schlüßkonzert wurden die Preise und Diplome an alle Ausgezeichneten in feierlicher Weise verliehen.

19 Preisträger waren ermittelt worden. Dreimal fiel innerhalb der Verlesung der Name Österreich. Frankreich rangierte da mit dem ersten und zweiten Preis in Klavier, mit dem geteilten ersten Preis in Violine — ein Fünfzehnjähriger erhielt ihn zugesprochen — und einer Bronzemedaille an der Spitze; Österreich und Ungarn folgten mit je drei Preisträgern: für unser Vaterland erhielten Hedi Gigler (Violine), der Tenor Kurt Wehofschitz und die derzeit in Zürich tätige Wiener Sopranistin Gertraud Hopf (Gesang) silberne Medaillen, während Hungaria den zweiten Platz für Violine, eine silberne in Klavier und eine bronzene Medaille in Gesang zugesprochen erhielt. Zwei Niederländer (bronzene für Violine) retteten die künstlerische Ehre unseres Gastlandes. Sonst waren Einzelerfolge zu verzeichnen. Der erste Preisträger in Violine, Michael Swalbe, ist Pole, die Spanierin Maria de Los Angeles Moralei (Koloratursopran) holte sich den ersten Preis in Gesang. Griechenland (eine silberne für eine Pianistin) sowie Dänemark und Palästina (je eine bronzene) beschlossen die Siegergruppe. Innerhalb von 39 Diplomen kamen vier an österreichische Kandidaten: an die Sänger R u t h i 1 d e Bösch (Koloratursopran), Else Maria Math eisi (Sopran) und Harald P r ö g 1 h ö f (Bariton) sowie an die Pianistin Inge Mayerhofer.

Diese Tatsachen machen interessante Hintergründe sichtbar. Zunächst die künstlerische Höhe des Concours, die alle Erwartungen in den Schatten gestellt hat. Man konnte freudig feststellen, daß die reproduzierenden Nachwuchskünstler sich bereits wieder zu friedensmäßigen Leistungen vorgearbeitet haben. Aus der zwangsläufigen notwendigen Fülle der Ablehnungen bei der Vorauswahl ergab sich das beinahe amüsante Faktum, daß Sänger ebenso wie Geiger oder Pianisten knapp nach ihrer Zurückstellung — je nach Temperament von Zorn gerüttelt oder tränenüberströmt — durch Agenten oder gar Mitglieder der Jury spontan auf europäische Gastspiele verpflichtet wurden. — Dann organisatorische Höchstleistungen: Philips-Radio hatte einen Saal im Kurhaus als Tonaufnahmezentrale eingerichtet, in der sämtliche Darbietungen des Hauptconcours erstmalig durch einen neuen magnetischen Aufnahmeapparat im sogenannten Philips- Miller-Verfahren festgehalten wurden. — Und schließlich ethische Vorbedingungen: Ich habe noch niemals an einem Wettbewerb eine derart innige Anteilnahme erlebt, wie sie die gesamte Bevölkerung Scheveningens, vom Straßenbahnschaffner bis zur Ansichtskartenverkäuferin, vom Viktualienhändler bis zum geplagten Hotelportier, gezeigt hat. Dieser erste, mit allen nur möglichen Mitteln gestützte Versuch einer für die kommenden Jahre ebenso großzügig geplanten internationalen Musikkonkurrenz wird seine Früchte tragen.

Wir Österreicher hatten noch Gelegenheit, auch die musikliebende Öffentlichkeit von Amsterdam durch ein von der Kritik viel beachtetes Konzert im Minerva-Pavillon, das die holländisch-österreichische Gesellschaft veranstaltete, für unsere Künstler zu interessieren. Der österreichische Geschäftsträger in den Haag gab den Künstlern zu Ehren einen Empfang. Schließlich holte die Radiostation Hilversum unsere Preisträger ans Mikrophon zur Absolvierung einer österreichischen Stunde, die bereits Anträge des Senders an einige unserer jungen Künstler zur Folge hatte. Die zumeist ersten internationalen Gehversuche unserer Jugend haben somit schöne Erfolge gezeitigt. Die uralte Wahrheit vom Prüfungsglück und Prüfungspech stand hinter der neuen Tatsache zurück, welch großes Interesse jedem begabten Künstler auch durch private Kreise entgegengebracht wurde. Verträge wurden getätigt —: viele von ihnen mit Österreichern! —, die das Profil der nächsten Konzertsaison sichtlich verjüngen werden. Die internationale Jugend hat gewonnen: durch die sichere Art ihres Auftretens, durch die Fülle ihrer reichverzweigten Talente und nicht zuletzt durch die Sauberkeit ihrer inneren Haltung. Kein Mißton störte die Harmonie der täglich spannenderen Musikolympiade. Herbergsmutter und Hausvater wandelten sich in rasch aufflammender Sympathie von „ungern Deutschsprechenden” zu Einheimischen, die sich erst am Tage unseres Abschieds wieder ihrer Muttersprache entsinnen mußten. Die Überwindung einer Reserviertheit, die die Bevölkerung, vor allem die Intelligenzkreise, seit den Tagen Seys-Inquarts erfüllte, war der größte Gewinn für Österreich. Unsere Künstler — das haben die Scheveningener Tage bewiesen — müssen mit der starken musikalischen Konkurrenz der Welt rechnen, brauchen sie aber bei eigener Wachsamkeit nicht zu fürchten; andererseits unterschätzt Österreich die tiefgehende Welle der Sympathie, die unser Land erneut umfängt, und die Summe der Freundschaftsbeweise, deren ethische Kraft uns das Rückrat zu stärken imstande ist.

Eine gesunde Kritik im eige- nenLandbewahreunsvorEigen- dünkel. Die Erfolge im Ausland schenken uns Se 1 b s tbewu ß t s e in und Kraft für die Zukunft!

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