Als wäre die aktuelle Lage nicht spannend genug -in diesen Tagen gehen meine Gedanken genau 50 Jahre zurück in den August 1968. Atemlos hatte auch ich als junger Außenpolitik-Journalist des Kurier zuvor das Freiheitsfieber unserer Nachbarn im "Prager Frühling" verfolgt. Jetzt aber wuchs die Sorge vor dem sowjetischen Strafgericht - trotz aller KP-Bruderküsse mit den ˇ CSSR-Reformern unter Alexander Dubˇcek.
Es ist hier nicht der Platz, um an die ganze Dramatik jener Spätsommer-Tage zu erinnern. Unvergesslich aber bleibt der 16. August, der Tag nach einem, wie es schien, entkrampften Treffen der KP-Führer in der Ostslowakei. Gegen Mittag läutet mein Redaktionstelefon -und eine Stimme sagt: "Lassen Sie sich nicht täuschen -am 21. August wird der 'Prager Frühling' von Sowjetpanzern niedergewalzt." Artig bedanke ich mich für die Information -und vermute einen jener üblichen "Propheten", die uns Zeitungsleute immer wieder mit ihrem "Geheimwissen" versorgen.
Aber die Stimme kommt wieder, täglich: "Nicht vergessen: Nur noch vier, drei, zwei Tage !"
Am späten Abend des 20. August holt mich unser Nachtredakteur zu Hause ans Telefon. Schon unterwegs dorthin überschlagen sich meine Ahnungen: "Sind die Russen einmarschiert?", sage ich aufgeregt. "Woher weißt Du das?", fragt der Kollege irritiert. Tatsächlich, die Invasion hat begonnen! Mehr als 500.000 Soldaten besetzen die Tsche choslowakei und marschieren bis an unsere Grenze vor. Es ist die größte Militäroperation in Europa seit 1945 -und rasch ist der "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" nur noch Geschichte. 160.000 Flüchtlinge verlassen ihre Heimat über Österreich.
Sechs Kurier-Ausgaben machen wir in dieser Nacht -und ein paar Stunden haben wir noch Verbindung mit Freunden, Kollegen und Spitzenpolitikern in Prag und Pressburg. Dann bricht der Kontakt ab.
"spätestens am 28. August "
Am nächsten Morgen -erschöpft, erschüttert sitzen wir zusammen -ist die Stimme wieder da: "War gar nicht so falsch, was ich Ihnen gesagt habe " Und weiter: "Übrigens: Spätestens am 28. August marschieren die Russen in Österreich ein." Sieben lange Tage ist es meine Aufgabe, unsere Leser zu beruhigen -doch meine Angst wächst von Tag zu Tag.
Der 28. August aber geht ereignislos vorbei -und die Stimme meldet sich nie wieder. Längst weiß man seither, dass es im Kreml sehr wohl Pläne gegeben hat, durch Österreich hindurch gleich auch in das politisch ungehorsame Jugoslawien unter Tito zu marschieren.
Zurück ins Heute: Eben hat eine unserer Massenzeitungen den damaligen Bundeskanzler Josef Klaus zum "vorsichtigen Zögerer" gestempelt, der den "russischen Bären" aus Neutralitätsgründen nicht mit einem Bundesheer-Grenzaufmarsch provozieren wollte. Vor der Geschichte steht freilich fest: Österreichs Geheimdienste haben damals versagt, der Kanzler aber hat richtig gehandelt.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!