Die Hand und ihr Schuh
Man gibt sich nicht mehr die Hand: In Zeiten sozialer Distanz wird die Bedeutung der Hand neu bewusst. Jochen Hörisch widmet ihr eine lesenswerte Kulturgeschichte.
Man gibt sich nicht mehr die Hand: In Zeiten sozialer Distanz wird die Bedeutung der Hand neu bewusst. Jochen Hörisch widmet ihr eine lesenswerte Kulturgeschichte.
Reich mir die Hand, mein Leben? Nein. Derzeit nicht. Keine Oper. Keine Handreichung. Dafür gibt es handfeste Gründe: ein tödliches Virus hat uns in der Hand. Und hält uns auf Distanz: Eine Handbreit unter Kiel – so lautet der alte Seemannswunsch, nicht auf Grund zu laufen. Der Mindestabstand für unser Heil in Corona-Zeiten ist um einiges größer. Um über das Virus die Oberhand zu gewinnen, braucht es ein straffes Krisenmanagement, klare Mandate – und „denkende“ Hände. Hände, die sich an Hygieneregeln halten, und vor allem solche, die rettend und forschend zupacken. Nur Hand in Hand werden wir die Freiheiten wiedererlangen, die uns abhandenkamen.
Bedurfte es erst einer Pandemie, um den Belang und Wert der Hand wieder ins Bewusstsein zu rücken? Aristoteles nannte sie das „Werkzeug der Werkzeuge“, und für Giordano Bruno war sie das „Organ der Organe“. Dass sie kein autonomes Glied ist, sondern dem Gehirn gehorcht, ist ein wesentliches Resultat der Evolution. Ohne das vielfältige Wirken der Hand als Wahrnehmungs- und Leistungsorgan gäbe es keine Bauten, keine Landwirtschaft, keinen Handel, keine Erfindungen, keine Schrift – kurzum: keine Zivilisation. Da erstaunt es doch einigermaßen, dass „das komplexeste menschliche Organ“ gerade in der postmodernen Gesellschaft, die noch dazu einem exzessiven Körperkult frönt, „eine irritierende Vernachlässigung“ erfährt.
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