Festival der politischen KOMMENTARE

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Das 74. Filmfestival von Venedig zeichnete mit "The Shape of Water" einen Fantasyfilm aus und steckte auch sonst voller Überraschungen.

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Das 74. Filmfestival von Venedig zeichnete mit "The Shape of Water" einen Fantasyfilm aus und steckte auch sonst voller Überraschungen.

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Von allen Filmen, die am Lido im Laufe der 74. Filmfestspiele zu sehen waren, ist dieser vielleicht derjenige, der am meisten die Fantastik feiert. Guillermo del Toro hat für "The Shape of Water" den Goldenen Löwen erhalten, und sein Film kann durchaus als Märchen gelesen werden. Dadurch hat er einerseits einen sehr spielerischen, auch launigen Charakter mit zugespitzten Figuren, andererseits enthält jedes Märchen auch ein Körnchen Wahrheit; und da ist del Toro raffiniert genug, seine Anspielungen auf die (politische) Gegenwart schön unterschwellig in den Plot zu verweben, aber so, dass sie jeder sehen kann, der will.

Großmeister des Fantasy-Kinos

Del Toro gilt seit "Pan's Labyrinth" als Großmeister des Fantasy-Genres, und in "The Shape of Water" verdichtet er all seine Erfahrung damit zu einer abstrusen Geschichte, in der es ein Amphibienmonster (Doug Jones) gibt, das von der US-Regierung geheim gehalten wird, und eine Putzfrau (Sally Hawkins), die mit dem Monster eine seltsame Beziehung aufbaut. Eine Liebesromanze, die auch wie ein Thriller aus dem Kalten Krieg daherkommt, denn die Handlung spielt 1962, und Amerika ist geprägt von Rassismus und Misstrauen. "Das ist beinahe wie heute, insofern ist der Film auch ein Statement zum Zustand der zeitgenössischen USA", sagte Guillermo del Toro in Venedig.

Viele Filme dieser 74. Mostra del cinema hielten bissige Kommentare zur Trump-Ära bereit, auch wenn die meisten davon abgedreht waren, bevor dieser Mann zum Präsidenten gewählt wurde. "Aber natürlich hat man solche Entwicklungen schon länger gespürt, denn derlei Veränderungen passieren ja nicht über Nacht", fand auch George Clooney, der hier das 1950er-Vorortedrama "Suburbicon" im Wettbewerb zeigte, das, basierend auf einem unverfilmten Script der Brüder Ethan und Joel Coen, ebenfalls offenen Rassismus erforscht. Im Zentrum stehen die Interessen des weißen Mannes, die er durchsetzt, egal, wieviel Blut dafür fließen muss. Dasselbe Thema streift auch Alexander Payne in dessen Eröffnungsfilm "Downsizing", in dem eine findige Firma ein Riesengeschäft damit macht, die Menschen auf 12 Zentimeter zu schrumpfen, damit man die Umweltproblematiken des Planeten besser in den Griff bekommt, weil dann weniger Ressourcen verbraucht würden. Allein: Das sind bloß vorgeschobene Argumente, hinter denen sich kommerzielle, politische und Klasseninteressen verbergen, die wiederum nur dem weißen Mann zuarbeiten.

Auch Warwick Thornton hat diesen radikalen Rassismus in seinem bemerkenswerten australischen Western "Sweet Country" (Spezialpreis der Jury) untersucht, er zeigt die in Rage gekommenen weißen Männer, die 1929 im Outback einen Aborigine jagen, der einen Weißen in Notwehr getötet hat.

Politische Filme in großer Zahl

Das Festival von Venedig war 2017 ein Festival voller politischer Kommentare. Umfassend das Spektrum der Finger, die in Wunden gelegt wurden. Martin McDonaghs "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" (Bestes Drehbuch) zeigt anhand der Selbstjustiz einer Mutter (Frances McDormand), deren Tochter ermordet wurde, die politischen Befindlichkeiten in der US-Provinz. Die Krisenregion im Nahen Osten fand ihre Abbildung in Samuel Maoz' "Foxtrot", ein nahegehendes Drama um den Tod eines Soldaten der israelischen Armee und um die Folgen für seine Familie. Maoz, der mit "Lebanon" 2009 den Goldenen Löwen gewann, schöpft aus seiner eigenen Erfahrung als Ex-Soldat. In "The Insult" steht das "Pulverfass Libanon" (Regisseur Ziad Doueiri) im Mittelpunkt.

Eine Lappalie wird zur Staatsaffäre

Wegen eines kleinen Eklats geraten in Beirut ein Libanese und ein Palästinenser (Darstellerpreis: Kamel El Basha) aneinander. Der Konflikt verschärft sich, als keiner der beiden Unrecht am eigenen Tun einsehen kann; bald schwillt der Fall zur Staatsaffäre an, bei der sich nicht nur das Fernsehen einschaltet, sondern auch der Präsident. Ein Gerichtsverfahren soll die Schuldigen ausmachen, aber im Libanon ist das nicht so einfach. Ein Film, der mit Mainstream-Dramaturgie einen unpopulären Kinostoff auf höchste Spannung trimmt.

Nicht minder gesellschaftspolitisch sind die weiteren Preisträger, wenngleich sie eher ins Private schauen als auf die große Polit-Weltbühne. Charlotte Rampling bekam für "Hannah" den Preis als beste Schauspielerin überreicht; ein Film, in dem sie eine Frau spielt, die sich nach der Inhaftierung ihres Mannes zusehends von ihrer gewohnten Lebensumgebung entfremdet. Für "Jusqu'à la garde", das Langfilmdebüt des Franzosen Xavier Legrand, gab es gleich zwei Preise, jenen für den besten Erstlingsfilm und auch den Silbernen Löwen für die beste Regie: Legrand erzählt in seinem nüchternen Sorgerechtsdrama von zwei getrennten Elternteilen (Denis Ménochet, Léa Drucker), bei denen vor allem deren kleiner Sohn (Thomas Gioria) unter die Räder von Streit, Hass und Gerichtsterminen kommt. Bei all den großen Welt-Dramen da draußen zwischen Rassismus und religiösen Konflikten, ist es gerade diese kleine Geschichte, die darauf hinweist, wie die Welt eine bessere sein könnte: Man müsste einfach nur auf die Kinder hören.

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