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Christliche Ritterschaft

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Bei der Lektüre dieses Buches kommen einem allerhand widerspruchsvolle, paradoxe Gedanken. Zunächst denkt man natürlich an das deutsche Wirtschaftswunder. Wieviel Jahrzehnte vollen, ungestörten Friedens müssen wir schon hinter uns haben, damit ein Verleger sich darauf verläßt, so ein tadellos gebundenes, in farbigem Umschlag funkelndes, großes, reich illustriertes, prächtig gedrucktes, breite Ränder guten Papiers freilassendes Buch über so ein entferntes Thema verkaufen zu können? Es geht uns also so gut wie noch nie, und der Weihnachtsmarkt verbraucht Bücher über die entferntesten Kuriositäten, gerade wenn sie wohlhabend aussehen

Aber dann fällt uns ein, daß hier eigentlich ein hochaktuelles Thema behandelt wird. Korea, Vietnam, Berlin: es gibt Leute, die sich nicht an den Gedanken gewöhnen können, daß man umkämpfte Stellungen schon jahrelang hält. Es gibt Leute, die etwa in der Algerienfrage, aber auch anderswo, von dem selbstverständlichen Vordersatz aus argumentieren: Wenn eine Stellung nach mehreren Jahren, etwa gar nach zehn Jahren, noch immer bedroht ist, dann ist es Pflicht, sie schleunigst aufzugeben. Es ist Wahnsinn, eine Stellung nicht zu räumen, wenn nach s o langer Zeit der Gegner noch immer nicht weggegangen ist! Daß er überhaupt noch da ist, ist ja der beste Beweis, daß er vor der Geschichte recht hat Er wäre nämlich weggegangen, wenn er sich nicht stärker fühlte; denn es ist doch selbstverständlich undenkbar, daß jemand gegen den Stärkeren ausharren will.

Anscheinend hat es einmal Leute gegeben, die anders dachten. Die Autoren des vorliegenden Buches lassen sich allerdings nicht auf ideengeschichtliche Erwägungen ein. S i e interessiert die heute so erfreulich aufblühende Wissenschaft der Burgenkunde. Da lernen wir also, wie die Kreuz fahrerburgen aus einer einzigartigen Kombination tdilitärischer und architektonische Traditionen ent- I stunden sind. Das byzantinische Reich, dessen römi- 5 sehe Ahnen schon die Reiche Vorderasiens auch in dieser Hinsicht beerbt hatten; das armenische Reich, in seiner kilikischen Emigration; der sarazenische Feind; die Normannen des Abendlands — von ihnen allen lernten die Baumeister der Kreuzfahrerburgen. Sie hatten auch Anlaß zu Höchstleistungen gerade in dieser Kunst. Es galt, geographisch sehr geteilte

Lande zu verteidigen unter Umständen, wo die eigene Rekrutierung immer unzureichend war, wo aber allenfalls Geldmittel leichter zu haben waren als Krieger; es galt, wichtige Stellungen zu halten in wüsten Gegenden, wo man nicht vom Lande, sondern nur von wohlverwahrten Magazinen, wohlbehüteten Zisternen Essen und Trinken haben konnte. Es galt für die Burgherren auch, sich machtmäßig gegeneinander zu behaupten: Könige und Kirchenfürsten, Fürsten und Barone, Ritterorden und Handelsstädte waren um die Wette bemüht, sich durch den Besitz uneinnehmbarer Festen unabhängig zu machen. All die technischen Fragen des Burgbaus, der Verteidigung und Belagerung sind hier sehr einleuchtend zusammengestellt. Wohlgemerkt: es ging im Heiligen Land um eine sehr hoch organisierte Kriegführung: das ersehen wir schon aus dem Verhältnis zwischen Ständen und Verpflegungswesen.

Die Stände waren noch niedriger als im sonstigen Mittelalter: eine erhebliche Truppe zählte nach Hunderten, eine bedeutende nach Tausenden. Aber in den Kasematten der Ordensburg Margat lag für tausend Mann Approvisation für fünf Jahre.

Vergleicht man nun freilich diese Magazine von Margat oder die riesenhafte Johanniterburg landeinwärts davon, den „Krak des Chevaliers“ — vergleicht man sie etwa mit dem heutigen Wiener Lokal des Ordens, der bescheidenen Kanzlei in der Johannesgasse, dann möchte man wohl betrübt von dem Niedergang der Christenheit reden. Aber nein! Vor genau drei Jahren erschien die Flagge des Ordens im kalten Herbstwind des Neusiedler Sees, und es galt unverändert .der .alte. Ordenswahlspruch: ..¿Vet-.. teidigung des, Glaubens und Dienst an den -Armen.“ Die Kräfte sind noch da, welche jene Märchenburgen geschaffen haben. Die Ruinen sind nicht Zeugen vergangener Dinge, sondern Andenken lebender Gemeinschaften. Das vorliegende Buch spricht von Gegenwärtigem. Und die Bilder sind zauberhaft schön!

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