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Das Feuer von Ronen

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Wie eine riesige Flamme züngelt das Dach der erst wenige Jahrzehnte alten Gedächtniskirche Sainte-Jeanne d' Are in Bouen zum Himmel. Die Hauptstadt der Normandie mit ihren gotischen Prachtkirchen, den überwältigenden Fachwerkfassaden zahlloser Bürgerhäuser und den majestätischen Benaissancepalästen erteilt dem Besucher von heute mehr als eine historische Lektion. Die vom Scheiterhaufen auf dem Place du Vieux-Marche, auf dem das Bauernmädchen Johanna von Domremy am 30. Mai 1431 sterben mußte, ist die eindruckvollste.

Zuerst war sie die Heldin der französischen Nation, weil sie unter dem Eindruck geheimnisvoller Stimmen im Mai 1429 in weißer Rüstung das französische Heer nach Orleans führte, das von englischen Truppen befreit wurde, und dann die Krönung von Charles VII in Reims zum König von Frankreich erreichte. Dann nahmen englische Truppen sie gefangen, stellten sie in Rouen wegen Ketzerei und Hexerei vor ein kirchliches Gericht und erreichten ihre Verurteilung, sodaß das Leben der Neunzehnjährigen in den gierigen Flammen verlosch: eine von einer Million „Hexen”, die Machtwahn und verblendete Bigotterie im Namen angeblicher göttlicher Wahrheit zu Tode brachten.

Lehre Nummer eins müßte professionelle Wahrheitsverwalter zu äußerster Bescheidenheit erziehen. Aber die kirchlichen Justitiare sahen in ihrem Fall den Irrtum relativ rasch ein und korrigierten ihn öffentlich noch im selben Jahrhundert. 1920 wurde Johanna dann sogar vom Papst heiliggesprochen, und die französische Regierung rief einen Feiertag für sie aus.

Lehre Nummer zwei: Auch das war im Rückblick falsch. Heute käme niemand mehr auf die Idee, ein junges Mädchen dafür heiligzusprechen, daß es - wieder im Namen Gottes - fahnenschwingend einem Kriegsheer voranreitet und zur Schlacht trommelt. Auch in ihrer Einschätzung von Krieg als Mittel zur Herbeiführung von Gerechtigkeit hat die römisch-katholische Kirche umdenken gelernt. Und eine dritte Lektion, die man nicht nur in Rouen, sondern in ganz Frankreich an den abgeschlagenen Heiligenköpfen an Kirchenfassaden studieren kann: Daß die Kirche die Revolution nur unter dem Gesichtspunkt des Machtverlustes von Hochadel und Hierarchie zu deuten wußte, daß sie also den Weckruf für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit unter den Menschen verschlief, ist ihr nicht gut bekommen, bis heute nicht, weder in Frankreich noch anderswo. Was sie wieder sehr nachdenklich stimmen müßte, wenn es heute um Menschenrechte, etwa um Frauenrechte geht.

Gewiß ist es hart, von Österreichs Bischöfen eine Besinnung auch auf alle diese Fakten zu erbitten, ehe sie sich entschließen, auf das Kirchen-volks-Begehren halbherzig, gönnerhaft oder ohne jedes historische Gewissen zu reagieren. Aber ersparen kann man ihnen diese Bitte nicht. Man kann und darf es nicht.

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