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Der Thronfolger

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An dem bedeutenden Mann, der, zum Unheil des alten, größeren Österreich und, was Kurzsichtige, Verblendete damals noch nicht sahen, Europas, nur als Unvollendeter in der Geschichte fortlebt, bestätigt sich die Tatsache, daß jedermann wesenhaft aus dreierlei zu erklären ist: aus dem Ahnenerbe, aus der Umwelt — die zugleich bestimmend auf Erziehung und Vorbildung wirkt — und aus den eigenen, wertenden Erfahrungen. Abkunft ist ganz, Umwelt zum großen Teil Verhängnis. Der freie Wille, und damit die eigenständige Persönlichkeit, erprobt sich aber am Lebenslauf des in eine selbständige Existenz Entlassenen.

Die Ahnen

Franz Ferdinands Aszendenz war bis zur sechsten Generation, der 64 Ahnen, rein höchstadelig. Seine Vorfahren, von denen er irgendwelche Eigenschaften übernommen haben konnte, waren durchweg Mitglieder regierender Häuser. Noch weiter zurück sind die Vorfahren des Thronfolgers noch immer ausnahmslos wenigstens niederadelig, bis zur zehnten Generation der 1024 Ahnen. In nationaler Hinsicht überwiegt das deutsche Element, mit zum Beispiel 40 der 64 Ahnen der sechsten Vorfahrensgeneration. Sonst sind nur Franzosen — über das Haus Bourbon und die Lothringer —, Italiener und Spanier —- über Nebenlinien der Bourbonen — und endlich, in geringerem Maße, Polen — über die Königin von Frankreich, Marja Leszczynska, und eine Prinzessin RadziwiH — von erbnahem Belang. Mäh darf im allgemeinen sagen, daß die so stark überwiegenden Vorzüge des Erzherzogs, soweit sie ihm angeboren waren, von den Lothringern, aus mehreren deutschen Fürstenhäusern, vor allem den pfälzischen Wittelsbaehern und den BräÄnsbhWÖger'' WMlen. ‘ "'eritfiiiäi Wrcn Urgroßmütter Nassau-Weilburg, aus drei Kreisen deutschsprachigen Adels, weiter zurück aus deutschem Bürgertum und polnischer Szlachta herrührten, während die negativen Seiten seines Charakters italienischen Ursprung hatten. Zunächst unmittelbar vom mütterlichen Großvater Ferdinand II., Beider Sizilien, beigenannt Re Bomba. Der Erzherzog hat das mit seiner ungewöhnlichen Fühlsamkeit empfunden. Er wollte im vertrauten Kreis nur Franz, nie Ferdinand heißen; er wehrte sich dagegen, „ein Katzelmacher“ zu sein, und er hatte gegenüber allem Italienischen eine bis ins Krankhafte gesteigerte Abneigung. Und das war eine Revolte wider einen kleineren, eigenen Teil seiner selbst, wider Härte und Undank, vor allem wider die überdimensionale, grausame Jagdleidenschaft.

Umwelt der Kindheit und der heranreifenden Jugend, Erziehung und Unterricht waren an sich geeignet, den im wohnlichen, fürstlichen, doch den falschen Glanz verschmähenden Heim Geborgenen die fördemsten Eindrücke für sein ganzes späteres Leben mitzugeben. Der Knabe hatte gute Lehrer. Drei davon stechen hervor: der spätere Bischof Marschall, der im Sinne eines josephini- schen Liberalismus wirkte; zwei gebürtige Reichsdeutsche, die Geschichtsprofessoren Johann Baptist von Weiß und Onno Klopp, die im Gegensatz dazu ihren Zögling das romantische Ideal eines absolut regierten, von einem Katholizismus im Sinne Kaiser Ferdinands II. oder, wenn man zeitlich nähere Vorbilder anrufen soll, eines Hurter, beseelten Habsburgerreiches beizubringen trachteten. Ihr Hochziel, das beim Erzherzog gar tiefe Spuren hinterlassen hat, wäre die Wiederherstellung des alten Römischen Reiches deutscher Nation unter Habsburgs Szepter gewesen, das zugleich über die nichtdeutsehen i Völker des Donau raumes und Böhmen- Mährens wie über den gesamten Balkan gewaltet hätte.

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