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Ein Leben für Österreich

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Noch in der Zwischenkriegszeit war die Historiographie ein gelehrten Männern überantwortetes Reservat geblieben. Erst als der Ernst des Lebens an weit mehr Frauen als bisher herantrat und viele unter ihnen sich der Historik zuwandten, entstanden als Probe ihres Wissens und Könnens zahlreiche Arbeiten über bisher nicht behandelte Themen. In den Jahren 1945 bis 1955 sind, wie es Erich Hillbrand in „Wiener Geschichtsblättern’' nachweist, von den zirka 190 an der Wiener Universität approbierten Dissertationen 69 durch Frauen verfaßt worden. Von ihnen ist unseres Wissens als erste die Arbeit Edith Kotaseks veröffentlicht worden: die Biographie des Marschalls Lacy, eines durch die beschämende Gleichgültigkeit des Durchschnittsösterreichers von heute für die Vergangenheit des altehrwürdigen Reiches vergessenen Generals, der gegen die fast immer numerisch überlegenen Feinde seinen Mann gestellt, jedoch als Organisator die kaiserliche Armee den anderen ebenbürtig, in mancher Beziehung überlegen gestaltete, bis die neue Kampfmethode der republikanischen Heere alle Lehren über den Haufen warf. Graf Franz Moritz Lacy, Sohn eines aus der Normandie stammenden Generals in russischen Diensten, wurde 1725 in St, Petersburg geboren. Mit 18 Jahren in österreichische Dienste getreten, rückte er bereits nach 13 Jahren zum Brigadegeneral vor, als welcher er sich bei Lobositz auszeichnete, „Ohne Lacy wäre an diesem Tag alles verloren, ohne seine Verwundung alles gewönnen gewesen.“ Nach dem Sieg Friedrichs II. bei Leuthen, wo er zum fünften Male schwer verwundet worden war, erfolgte unter gleichzeitiger Vorrückung zum Feldmarschalleutnant seine Ernennung zum Generalquartiermeister. „Die Grundlagen zu einem Bau sollten aufgeführt werden, der weder in der österreichischen noch in einer anderen Armee seinesgleichen oder auch nur ein Vorbild hatte. Es standen nichts als die Erfahrungen der begangenen Fehler zur Verfügung." In dieser Stellung war nun Lacy die Gelegenheit geboten, entscheidend die Reorganisation des Heeres und der Kriegführung in die Wege zu leiten. Im nächsten Feldzug be-

währten sich die nach seinen Methoden abgerichteten und bewaffneten Truppen derart überraschend, daß Friedrich von Preußen gestehen mußte, „es seien nicht mehr die alten Oesterreicher“, die ihm gegenübergestanden waren.

Da es in dem hier verfügbaren Raum nicht möglich ist, die weiteren Kriegsleistungen Lacys zu besprechen, sei auf die Uebersicht hingewiesen, welche Edith Kotasek mit einer für eine Frau bemerkenswerten Einfühlung in taktische und strategische Fragen verfaßt und dabei die landläufige Ansicht

widerlegt, die Kriege zur Zeit Maria Theresias seien eigentlich eine von zufälligen Teilerfolgen unterbrochene Serie von Niederlagen gewesen. Schon Napoleon, der Friedrich II. in jeder Weise Gerechtigkeit widerfahren läßt und sogar in St. Helena ein Werk über seine Feldzüge geschrieben hat, bedauerte, daß die Historiker des Königs zumeist seine Untertanen gewesen waren. „Man müßte seine Feldzüge in der Beschreibung durch einen Offizier Dauns lesen können“, meinte deshalb Napoleon. So sei hier die Tätigkeit Lacys als Organisator der kaiserlichen Armee hervorgehoben, für die er die bis zu ihrer Auflösung in ihren Grundzügen bewährten Einrichtungen und Reglements schuf. Die im Lauf der 170 Jahre durchgeführten Reformen waren nicht durch irgend-'welche im Wesen der Organisation liegende Unzulänglichkeiten, sondern durch die nicht voraus-

zusehenden Neuerungen bedingt. Als Lacy nach dem Siebenjährigen Krieg das Generalinspektorat und im folgenden Jahr den Hofkriegsrat übernahm, hatte er, wie alle Reformatoren, gegen die Routine und die mangelnde Kompetenz selbst so bedeutender Per-sönlichkeiten wie Kaunitz anzukämpfen. Durch die übersichtliche Schilderung der Tätigkeit Lacys gewinnen wir auch Einblick in den Mechanisnips des Heeres, in dem so manches abzustellen war. Hierzu gehörte, neben der Vereinheitlichung der Reglements und Vorschriften, die Friedens- und Kriegsstärke aller nunmehr numerierten Regimenter festzusetzen. Auch wurde neben der Bewaffnung die Uniformierung vereinheitlicht und nicht mehr der Phantasie der Regimentsinhaber überlassen. Das Bestreben, die Lebensbedingungen der Offiziere und Soldaten zu verbessern und gleichzeitig das Heeresbudget zu entlasten, konnte nur durch das „Oekonomiesystem“ von 1767 in bescheidenem Maße erreicht werden. Diese Reglementierung sah endlich eine rationelle Gebarung vor und verhinderte weitere Bankrotte von Regimentern. Lacy ist weiter die vorläufige Beibehaltung der neueingeführten Feldjäger zu verdanken, wogegen er sich vergeblich gegen die Auflösung der im letzten Krieg bewährten Pioniere eingesetzt hat. Nur durch das neue Regime in der Armeeleitung konnte die Reform der Artillerie durch Wenzel Liechtenstein und Ulrich Kinsky gelingen. In ihrem Offizierskorps entwickelte sich neben der seit jeher bestehenden Kameradschaft das auf die Wahrung des Ansehens ihrer Waffe durch technische Neuerungen stets bedachte Zusammengehörigkeitsgefühl.

Da seit Prinz Eugen die kaiserliche Armee nur noch aus dem Herrschaftsbereich der Dynastie er-

gänzt wurde, drängte sich dem Gewissen der Regenten die Verpflichtung um so eindringlicher auf, dem Soldatenleben möglichst viele Gefahren und Härten zu nehmen. Mögen auch die zumeist selbst einer vorurteilsfreien und gründlichen Unterweisung bedürftigen „Aufklärer“ und ihre noch doktrinäreren Nachfolger behaupten, das soziale Empfinden wachgerufen zu haben, so fanden sich auch schon früher in anderen Ländern wenn nicht durchweg humane, dennoch genug einsichtige Regenten und Generäle, die fürsorglich dachten und wirkten. Das von Lacy für die Militärgrenze im Osten des Reiches verfaßte Reglement umschrieb Leben, Pflichten und Rechte aller ihre Bewohner, da die männliche Bevölkerung neben ihren militärischen Obliegenheiten für die „Subsistenz“ aller aufzukommen hatte. Einer großen Sorge enthob Lacy die Militärverwaltung durch die

Ansiedlung Halbinvalider im Banat und an den Grenzen gegen Preußen und Bayern. „Das Los des gemeinen Mannes war schwer. Die geringe Löhnung reichte kaum zum Notwendigsten für ihn selber. Waren Frau und Kinder da, gab es für ihn kaum einen Ausweg, das krasseste Elend zu bannen, denn die Soldatenfrauen durften weder Gewerbe noch Handel treiben. Der Krieg verurteilte, sie zum Betteln.“ Lacy, -von Kaiser Josef’ darin ’Unterstützt, ’ lite’ iiibht 'locker bis es ihm gelungert war, ein Existenzminimum für die Frauen und die Kinder der Soldaten auszahlen zu lassen. Noch unter Maria Theresia war festgesetzt worden, daß jede Soldatenfrau eine Verdienstmöglichkeit nachweisen mußte, daher auch keine mehr gezwungen war, im Kriegsfall dem Truppenkörper ihres Mannes zu folgen, während Kaiser Josef für die Kinder die Regimentserziehungshäuser einführte. Es ist daher keineswegs zu weit gegangen, wenn Edith Kotasek das durch Lacy Geschaffene die Vollendung des Erreichbaren nennt. Doch solche Zeugnisse von österreichischer Seite sind nicht so überzeugend als die Worte eines Gegners wie Friedrich II., der den lebensgefährlich erkrankten Lacy den für Oesterreich unersetzlichen General nannte. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Berichte der venezianischen Diplomaten sich stets als die zuverlässigsten erwiesen haben, darf hier, der des Botschafters Renier nicht fehlen: „Niemals habe Oesterreich so wie gegenwärtig eine 200.000 Mann zählende, mit allem ausgerüstete Armee ins Feld stellen können. Wehe den Mächten, denen die Wirkungen hierin fühlbar gemacht werden könnten.“

Nun sei noch Edith Kotaseks Arbeit anderen Historikern als Anregung empfohlen, sich auch mit einer der noch immer fehlenden Lebensbeschreibungen von Persönlichkeiten aus Oesterreichs Vergangenheit einzustellen. Auf die Lacy-Biographie seien auch Leser historischer Bücher hingewiesen, die ahnungslos die Geschichte Oesterreichs in der häufig diffamierenden Fassung der kleindeutschen Schule kennenlernen.

Angesichts der infolge der Rüstungen in aller Welt wieder aufkommenden antimilitaristischen Propaganda, die auch in Hinkunft keinen Krieg verhindern wird, sei daran erinnert, wie häufig kompromißlose Antimilitaristen gerade durch ihre Politik gezwungen worden sind, ihre Prinzipien zu verleugnen: ebendieselben Deputierten, die vor 1870 der Vernachlässigung der französischen Armee sogar befriedigt zusahen, da ein erfolgreicher Krieg das kaiserlich Regime festigen würde, waren nach dem Zusammenbruch des Berufsheeres gezwungen, eine zweit Armee zu improvisieren und ihr überdies die Heldentaten ihrer Vorfahren während der Invasion von 1793 bis 18'15 vor Augen zu halten. Da stets Stärkere neben Schwächeren die Welt bevölkern werden, sind Friedensperioden von Dauer nur für den Staat zu erhoffen, der durch ausreichende Abwehrmittel bei seinen Nachbarn keine kriegerischen Velleitäten aufkommen läßt. Aber auch ein neutraler Staat hat den militärischen Geist zu pflegen, der ohne Vorbilder aus .der Vergangenheit in den Stunden der Gefahr nicht denkbar ist, anderseits wegen der nachfolgenden, zur Abwehr vorzubereitenden Generation seine Anerkennung durch für jedermann, auch auf seinem letzten Weg sichtbare Ehrenzeichen zu finden hat.

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