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Eine historische Romanfigur

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DER THRONFOLGER. Von Emst Joseph G ö r I i c h. Eduard Wancura Verlag, Wien-Köln, 1961. Leinen. 394 Seiten. Preis 110 S.

Das Schicksal der österreichischen Thronfolger seit 1848 ist ein außergewöhnliches: Erzherzog Franz Karl verzichtete 1848 zugunsten seines Sohnes Franz Joseph, Kronprinz Rudolf schied 1889 freiwillig aus dem Leben, der nächste Thronanwärter, Erzherzog Karl Ludwig, trat stillschweigend vor seinem Sohne Franz Ferdinand zurück, und dieser wurde 1914 das Opfer des Sarajewoer Mordanschlages. Nur Erzherzog Karl Franz Joseph bestieg 1916 den Thron seiner Väter, Kronprinz Otto mußte jedoch nach dem Zusammenbruch der Monarchie 1918 mit seinem Vater ins Exil.

Über Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este gibt es bereits eine ausreichende wissenschaftliche Literatur, so von Bardolff, Conrad, Corti, G. Franz, Funder, R. Kiszling, Nikitsch-Boulles und anderen, und eine wesentliche Ergänzung dieser Literatur ist kaum zu erwarten. Hingegen hat es E. J. Görlich, dessen österreichische Stoffe behandelnde Publikationen zu einem erfreulichen Akjivum unseres Büchermarktes zählen, unternommen, den Erzherzog in einem Roman, „Der Thronfolger“, in den Kreis der historischen Romanfiguren zu versetzen, was immer darauf hindeutet, daß es sich um eine Persönlichkeit handelt, die weit über das Alltägliche hinaus interessiert und im Gedenken der Menschen fortlebt. Tatsächlich zeigt auch die Laufbahn des Thronfolgers eine Fülle von Ereignissen, die in ihrer Summe einen echten Roman bilden, man denke bloß an die entmutigende bedrohliche Erkrankung, an die mühsam erkämpfte morganatische Eheschließung im aufreibenden Konflikt zwischen Pflicht und Liebe, dann an die gewissenhafte Vorbereitung des eigenen Regierungsantrittes mit dem jähen Abbruch eines vielversprechenden Wirkens.

Der Roman umspannt die 25 Jahre vom Tode des Kronprinzen Rudolf bis zu den verhängnisvollen Junitagen des Jahres 1914. In flüssigem Stil und in gutösterreichischer Sprache entsteht vor dem Leser ein zutreffendes Bild des als Mensch so hochwertigen Thronfolgers, der neben kleinen Schwächen mit auffallend großen Begabungen als verantwortungsbewußter Nachfolger Franz Josephs I. Pläne und Ideen für einen nicht zu umgehenden Umbau der Monarchie entwickelt hat, von denen in der Fachwelt heute, nach einem halben Jahrhundert, behauptet wird, sie seien absolut diskutabel und verheißungsvoll gewesen. Neben dem Erzherzoe tritt seine Gemahlin, die Herzogin von Hohenberg, eindrucksvoll in den Vordergrund, wie sie nach Charakterstärke, frommer und vorbildlicher Lebensführung als Gattin, Mutter und künftige Kaisergcmnhlin in jeder Beziehung der ihr von geheimnisvoller Fügung zugedachten Rolle würdig war.

Der Autor widersteht der Versuchung, erfundene Vorfälle in seinen Roman einzubauen und dadurch die Serie der phantastischen und die Geschichte verwirren'* den Romane zu bereichern. Er hält sich weitgehend an die Tatsachen, stellt dies geschickt mitten in das zeitgenössisch Geschehen und bringt die verbindenden Gespräche — m-n brachte nur jene zwischen Achrenthal und Conrad! — in einer lassung, die durchaus wahrscheinlich anmutet. „Der Thronfolger“ muß zu den wertvollen historischen Romanen gerech-! net werden, und er wird zweifellos einen gebührend großen und zustimmenden Leserkreis finden.

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