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Etwas über Prädikate

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Zu den sachlichen Schwierigkeiten des kirchlichen Hirtenamtes ||| tritt heutzutage' die unaussprechlich törichte Art hinzu, wie kirchliche Maßnahmen in der Presse besprochen werden. Es ist freilich nicht die Presse allein, es ist die ganze katholische Öffentlichkeit, die anscheinend der Fähigkeit beraubt ist, kirchliche, zumal aber päpstliche Maßnähmen in deren eigenem Wesen zu sehen. Eine Maßnahme, eine Änderung mag betreffen was sie will, sie muß in das Schema „links — rechts“ eingereiht werden. Schwer zu sagen, welche Richtung des Kommentars dabei steilere Höhen der Torheit erreicht. Hinreißend mag die Versuchung sein, über jene Nachricht Unsinn zu schreiben, welche von einigen Neuigkeiten in den Formalitäten der Kar-, dinäle berichtet; und so wollen wir dazu ein paar aufklärende Bemerkungen machen.

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Zu den sachlichen Schwierigkeiten des kirchlichen Hirtenamtes ||| tritt heutzutage' die unaussprechlich törichte Art hinzu, wie kirchliche Maßnahmen in der Presse besprochen werden. Es ist freilich nicht die Presse allein, es ist die ganze katholische Öffentlichkeit, die anscheinend der Fähigkeit beraubt ist, kirchliche, zumal aber päpstliche Maßnähmen in deren eigenem Wesen zu sehen. Eine Maßnahme, eine Änderung mag betreffen was sie will, sie muß in das Schema „links — rechts“ eingereiht werden. Schwer zu sagen, welche Richtung des Kommentars dabei steilere Höhen der Torheit erreicht. Hinreißend mag die Versuchung sein, über jene Nachricht Unsinn zu schreiben, welche von einigen Neuigkeiten in den Formalitäten der Kar-, dinäle berichtet; und so wollen wir dazu ein paar aufklärende Bemerkungen machen.

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Zunächst eine kurze Bemerkung über den Kardinalshut. Der große rote Kardinalshut — und der anders-gefärbbe ähnliche Hut anderer Prälaten — war dazu geschaffen, dem Träger bei mittelalterlichen Kavalkaden Schutz vor Sonne und Regen zu gewähren. Seit jener Zeit haben sich die Prälaten gewöhnt, in Kutschen, dann in Autos zu reisen; auch gibt ies keine Gelegenheit mehr, in feierlichem Aufzug durch die Stadt zu fahren. Jenes Abzeichen war zu einem malerischen Anachronismus geworden; es wird also nicht mehr beibehalten. Das Ansehen des geheiligten Kollegiums soll gewiß nicht gemindert werden; auch ein österreichischer General hat — hoffentlich! — darum nicht weniger Befehlgewalt, well er keinen Faderhuit mehr besitzt.

Etwas länger dauert die Erklärung der Redeweise, welche an gewisse Würden Prädikate knüpft wie „Seine Eminenz“, „Seine Exzellenz“, „Seine Maffiifizenz“, „Seine Hoheit“. Schon diese . Auf Zählung erinnert d3ran> daß diese Sitte der Kirche mit weltlichen Institutionen gemeinsam ist. Den Ursprung dieser Sitte finden wir in einer Redewendung, die wir auch heute noch ganz natürlich und unbewußt verwenden, die aber im antiken Briefstil zu einem Stilmiittel der Höflichkeit, der Deferenz ausgebildet wurde. Wir sagen — meine Seh — auch heute oftmals: „Ich wende mich an Ihre Freundlichkeit“, „wir dürfen auf Ihre bewährte Kraft zählen“, „allgemeiner Beifall empfing den Liebreiz des Frl. Esme-ralda.“ So schrieb denn auch der antike Briefschreiber „an Deine Weisheit“, so wie der antike Erzähler von „des Scipio Heldenkraft“ sprach, wenn er den Helden selbst meinte. •

Diese Stilform wurde weiterenitwik-kelit, nachdem sich am Kaiserhof der „pluralis majestaticus“ gebildet hatte, nachdem das spätrömisehe Reich ein kompliziertes System von Amtsklassen und -titeln ausgebildet hatte und nachdem das Reich christlich geworden war. Damals kam — bei Christen und bei spät-amitiken Heiden — eine meist halb unbewußte Vorstellung dazu,' die mächtig auf diese Stilform einwirkte. Wenn also im Schriftwechsel christlicher Prälaten eim Brief „an Eure Hochwürden“, „an Deine Heiligkeit“ gerichtet wurde, wird die Heiligkeit des Amts, die Standesgnade, als etwas von dem Amtsträger, von der etwa sündigen Person verschiedenes empfunden. Noch deutlicher greifbar ist diese Vorstellung bei der kaiserlichen Majestät. Die heidnische Denkungsaant sieht an der Majestät etwas — als Nimbus, als Herrschaftsfeuer — eigens Bestehendes, was den Amtsträger umstrahlt. Doch auch abgesehen von diesen Vorstellungen war nun die betreffende Redewendung ein unentbehrlicher Bestandteil des höflichen oder feierlichen Stils geworden, Es wäre als direkt unhöflich, formlos, beleidigend empfunden worden, wenn man eine Respektsperson mit „Sie“ angesprochen, über sie mit „er“ gesprochen hätte; ja, die allerhöchste Person, eben der Kaiser, sprach auch des Prädikats, jedenfalls im byzantinischen Ostreich.

Wir dürfen die mittelalterliche Entwicklung übergehen und kommen zum Höhepunkt dieser Sitte — zur Barockzeit. Als Reaktion auf die Revolutionszeit der Reformation und die Anarchie des Dreißigjährigen Kriegs zeigte die Barockzeit eine förmliche, uns. in dieser Intensität ganz unverständliche Leidenschaft für zeremonielle Ordnung. Da mußte jedermann „nach Standes Gebühr geehrt“ werden. Es waren beileibe nicht nur die Fürsten, bei denen zwischen „Seiner Durchlaucht“ aus altfürstlichem Hause, und „Seiner Fürstlichen Gnaden“ dem Titular-reichsfürsten unterschieden wurde; auch der bürgerliche Magisttat ließ „Seiner Ehrbarkeit“ nicht zu nahe •traten. Dabei ist übrigens zu beobachten, daß dieses System im Westen viel weniger ausgebaut wurde als im Osten. Der Franzose hatte nie etwas; das dem deutschen „Hoch-wphlgebören“ entsprochen hätte, während dem Deutschen wieder die russische „Hohe Exzellenz“ unerreicht blieb.

War es auch umständlich, so war dieses System doch zunächst sprachlich logisch. Noch die Protokollvor-schriften der Biedermeierzeit setzen den Gebrauch fest, so wie er nach grammatikalischer Vernunft sein muß. Bei der Anrede oder ersten Erwähnung wird die Respektsperson mit ihrem Titel genannt: „Hochgeborener Fürst!“, „der hochwürdigste Herr Bischof“. Im Kontext erst wird statt „sie“, „er“ das Prädikat benützt: „Eure Durchlaucht“, „Seine Bischöfliche Gnaden“. Erst spätere Schreiber glaubten, das Prädikat auch an die Nennung anhängen zu müssen, was zwar allgemein üblich wurde, aber sprachlich unsinnig ist: „Seine Majestät der Kaiser“ ist so, als öb ich „er Herr Müller“ sagen würde. — Richtig, wiewohl sehr umständlieh, ist die ältere Form: „Seine des Kaisers Majestät.“ — Dieses Mißverstehen der alten Sprachform erwies am besten, daß sie langsam zu einem Anachronismus wurde; sie entspricht nicht mehr dem Zug der Zeit, der auf sprachliche Vereinfachung drängt. Wohlgemerkt braucht nicht jeder Anachronismus sofort abgeschafft zu werden. Ich nehme auch heute noch den Hut vor Ihnen ab, das heißt, ich nenne mich dadurch sinnbildlich Ihren Diener, obwohl das Tragen des Hutes heute nicht mehr, wie vor tausend Jahren, den Herren vorbehalten ist. Wohl aber ist bei jedem Anachronismus zu fragen, ob und wo er noch einen Zweck erfüllt. Wobei auch wieder zu beachten wäre, daß rücksichtsvolle Höflichkeit durchaus ein wfchi •tiger Zweck ist.

Wenn wir nun speziell die Entwicklung geistlicher Prädikate erwägen, dürfen Wir auch den Umstand erwähnen, daß Pius XI. eine historisch gesehen eigentlich unrichtige Maßnähme getroffen hat. Obwohl nämlich eine Reihe geistlicher Rangabzeichen weltlichen Ursprungs ist — die bischöfliche Mitra hat sich bekanntlich aus der Mütze spät-römischer Senatoren entwickelt —, haben Mittelalter und Barockzeit für Geistliche nur solche Prädikate benützt, die der Geistlichkeilt vorbehalten sind. Nur jene Bischöfe in der Monarchie wurden anstatt „Bischöfliche Gnaden“ als „Exzellenz“ bezeichnet, welche die staatliche Würde von Geheimen Räten innehatten. Pius XI. aber hielt sich an die italienische Sitte, als er allen Bischöfen das Prädikat „Exzellenz“ verlieh. Die von Subordinationsgefühlen besessene Barockzeit hat das System übersteigert, die nach Schlichtheit strebende Jetztzeit reduziert es ebenso naturgemäß. Wenn die Vereinfachung — und durchaus nicht Abschaffung —, (denn die Titel „Eminenz“ und „Exzellenz“ sind nicht abgeschafft, sie können weiterhin verwendet werden, aber ebensogut kann die Anrede „Herr Kardinal“ oder „Herr Bischof“ verwendet werden) wenn der Gebrauch einer mehr natürlichen Redeweise zum Gegenstand amtlicher Regelung gemacht wird, so ist das normal und von jedem Standpunkt aus erwünscht. Es ist ohnedies klar, daß dem kir-chenitreuen Katholiken sein anerzogenes Gefühl das Richtige eingeben wird. Der Katholik sieht im Geistlichen seinen geistlichen Vater. Weder gequälte Förmlichkeit noch burschikose Formlosigkeit ist das Richtige im Verkehr zwischen Sohn und Vater. Mein leiblicher Sohn wird sich mir weder mit dem Kotau des chinesischen Sohns alter Schule nähern, noch wird er mir mit „Hello, Alter“ auf den Bauch klopfen. Auch im Verkehr mit unseren Pfarrern und Bischöfen weiden, wir beiderlei Exzesse zu vermeiden wiesen.

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