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Falsche Sicht Österreichs
Die Deutschen. Eine Historie. Von Rudolf Wahl. Verlag Bruckmann, München. 666 Seiten. Preis 14.80 DM
Die Deutschen. Eine Historie. Von Rudolf Wahl. Verlag Bruckmann, München. 666 Seiten. Preis 14.80 DM
In dieser beachtenswerten Arbeit schildert der durch seine Werke über das deutsche Mittelalter bekannte Historiker das Schicksal des deutschen Volkes in anregender Darstellungsweise. In den Ablauf der Geschehnisse streut er vom üblichen Schema vorteilhaft abweichende Charakteristiken und einzelne Perioden umfassende Uebersichten ein, die frei von nationalen Vorurteilen und auch von neuen Gesichtspunkten aus gesehen sind.
Dagegen kann man nicht umhin, dem Autor vorzuhalten, daß er in der Schilderung des österreichisch-preußischen Antagonismus dem Einfluß der kleindeutschen Historik erlegen ist, und die von Jieser Schule übergangenen österreichischen Forschungsergebnisse nicht berücksichtigt hat. Rudolf Wahl übersieht unter anderem, daß deutsche Teilfürsten mit den Reichsfeinden paktierten, Oesterreich in den Kämpfen um den Rhein die Hauptlast getragen, 1809 als erste Macht sich gegen Napoleon erhoben hat, Preußen im Frieden von Basel 1795 das linke Rheinufer preisgab und sich dafür auf dem rechten entschädigen ließ. Anscheinend ist dem Autor nicht bekannt, daß der Vertreter Frankreichs bei diesen Friedensverhandlungen, Barthelemy, das Verhalten Preußens schärfstens mißbilligte und ihm General Desaix erzählte, daß, als Herbst 1794 die alliierten Oesterreicher und Preußen den Franzosen gegenüberstanden, er durch die preußischen Offiziere immer toujours über die Bewegungen der Oesterreicher genau informiert war. Man frägt sich, ob Rudolf Wahl die Verdienste der Habsburger um das Deutschtum im Osten der Monarchie und dem angrenzenden Balkan unbekannt sind, wo ihre Heere und Administratoren sich zivilisatorisch betätigt haben. Nachgerade befremdend bei einem sonst so seriösen Historiker ist es, daß er ohne nähere Prüfung die Behauptung des Pamphletärs Duclos weitergibt, Kaiserin Maria Theresia hätte die Marquise von Pompadour in einem Schreiben „Ma chere Cousine" genannt. Kaunitz konnte nicht, wie Rudolf Wahl behauptete, dieses Schreiben der Mätresse des Königs übergeben, da die Kaiserin vor allem sich niemals brieflich an sie gewandt hat und er durch den Fürsten Starhemberg auf dem Botschafterposten in Versailles abgelöst worden war. Was bewog weiter den Autor, das Vorgehen der Wiener Regierung im Jahre 1848 gegen „ihre deutschen Untertanen" als unverzeihlich brutal zu bezeichnen ? Außer im aufständischen Wien, das sich nach den Greueltaten in den Oktobertagen gegen die Regierung stellte, sah diese sich nicht gezwungen, von Prag und Ungarn abgesehen, irgendwo ihre Truppen eingreifen zu lassen. Man erinnere sich nur an die blutigen Ereignisse in Berlin, Frankfurt, Dresden, im Großherzogtum Baden und an den „Kartätschenprinzen" Wilhelm, den nachmaligen ersten Hohenzollernkaiser.
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