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Kreishauptmann in Znaim

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Den Beginn der Revolution des Jahres 1848 konnte Graf Belcredi noch in Olmütz erleben, wo er im Oktober 1848 dem kaiserlichen Hofe auf seiner fluchtartigen Reise begeg- nete. „Die verzweiflungsvolle Stimmung, die tiefe Niedergeschlagenheit aller, die den Kaiser (Ferdinand I.) umgaben“, machten auf Belcredi einen deprimierenden Eindruck.

Im Wintersemester 1851 52 hörte er an der Grazer Universität Vorlesungen über Staatsrecht, Rechtsphilosophie, Allgemeine Geschichte und Kulturgeschichte, ferner betrieb er naturwissenschaftliche und mathematische Studien und hielt sich noch dazu einen Lehrer für Latein und Griechisch. 1854 heiratete er Baronin Anna, die Tochter des Feldzeugmeisters Freiherrn von Weiden und wurde im Frühjahr 1855 als Kreishauptmann nach Znaim berufen. Gesellschaftliche Ereignisse sowie herzliche Beziehungen zu Offl- ziersfamilien, Obersten, Generalen und Professoren der Genie-Akademie zu Kloster Bruck machten das Leben der Belcredis gesiellig. Marie von Ebner-Eschenbach, die in diesen Jahren mit ihren Erstlingswerken vor die Öffentlichkeit trat, war ein gern gesehener Gast des Hauses.

In Wien hatte sich mittlerweile ein System- und Ministerwechsel vollzogen; Kaiser Franz Joseph berief an die Stelle Baron Bachs den polnischen Grafen Agenor Goluchowski zum Leiter des Innenministeriums. Die Folgen dieser Neubesetzung pflanzten sich wie Schwingungen eines fernen Erdbebens bis in die unteren Schichten der Beamtenhierarchie fort, so daß schließlich auch Belcredi davon nicht unberührt blieb, von einem Tag zum anderen seinen Posten verlor und heimatlos wurde. Aber schon im Oktober 1860 ernannte der Kaiser in einem Kabinettschreiben den disponiblen Kreisvorsteher in Znaim zum Statthaltereirat und Landeshauptmann von Troppau in Schlesien. Goluchowski war bald als leitender Minister zurückgetreten und Anton Ritter von Schmerling nahm als Staatsminister seine Stelle ein. Schlesien wurde nun wieder für selbständig erklärt und Belcredi zum „Landespräsidenten“ ernannt.

Was die damalige Verfassungsfrage Österreichs betraf, so stand diese zwischen den Gegensätzen Föderalismus und Zentralismus. Das sogenannte „Oktaberdiplom“ vom 20. Oktober 1860 (Goluchowski), eine gesamtstaatliche Verfassungsurkunde, wollte das föderalistische System auf den historisch-politischen Länderindividualitäten aufgebaut wissen, konnte also weder den demokratischen noch den nationalen Interessen eines jungen österreichischen Völkerstaates gerecht werden. Mit der Kundmachung der „Reichsverfasung“ vom 26. Februar 1861, die Schmerling und der Tiroler Hans Perthaler ausgearbeitet hatten, war ein tragfähiges Fundament echten konstitutionellen Wirkens geschaffen. Den Übergang zu konsti-

tUtionel’len Regierungsgrundsätzen durch ein Verfassungsgesetz für die Gesamtmonarchie bezeichnete Belcredi in seinen „Erinnerungen“ als einen kühnen Schritt. Schmerling bleibe das große Verdienst, Österreich aus dem absoluten Regime herausgeführt zu haben, wenn sich auch sehr bald herausstellte, welch argen Illusionen sich der Staatsmann hingegeben hatte. Er habe, von den Frankfurter Reminiszenzen erfüllt, seinen Gedanken in der Verfassungsurkunde einen Ausdruck gegeben, der wenigstens teilweise und dn seinen Grundzügen Jahrzehnte lang fortlebte.

Statthaltereivizepräsident in Prag

Im Frühjahr betraute der Staatsminister Belcredi mit der Leitung und Durchführung der Landtags- wahlen in Schlesien, wobei der Graf selbst in den Troppauer Landtag und von diesem in den ersten Reichsrat gewählt wurde. 1863 erfuhr Belcredi von seiner Ernennung zum Geheimen Rat und zum Vizepräsidenten der Statthalterei in Prag. Für diesen

Posten befähigte ihn besonders die Kenntnis der böhmischen Sprache, die er sich während seiner Studien in Leitomischl und Prag anzueignen verstand. Schmerling konnte keine geeignetere Persönlichkeit zur Milderung nationaler Gegensätze nach Prag schicken; und Belcredi bewährte sich derart, daß er nach kur zer Zeit auch hier in den Landtag gewählt, von da in den Reichsrat entsandt und vom Kaiser zum Wirklichen Statthalter ernannt wurde. Wie sich im Reichsrat — einem provisorischen Holzbau beim Schottentor, in dem es im Sommer nach Firnis stank und in dem im Winter die Abgeordneten froren — zeigte, bewährte sich Belcredi als vorzüglicher Redner, klar und präzise im Gedankengang wie im Ausdruck; seine Detailausführungen waren stets wissenschaftlich untermauert.

Das konstitutionelle Gefüge des Februarpatents stand von Anfang an auf schwacher Basis. Die Ungarn, die nur einen ungarischen Zentralismus gelten lassen wollten, lehnten diese Verfassung ab. Die Kroaten erschienen nicht, weil das Versprechen der Errichtung des dreieinigen Königreiches (Kroatien, Slawonien, Dalmatien) unerfüllt blieb, die Polen kamen nur zur ersten Sitzung, die Tschechen, die ihre nationalen und staatsrechtlichen Hoffnungen schwinden sahen, verloren bald am Wiener Zentralparlament ihr Interesse. Schmerling, der „Vater der Verfassung“, konnte nur mit einem Rumpfparlament regieren. Sein Ministerium mußte also scheitern, weil es vor allem in unversöhnlichem Widerspruch zur außergewöhnlichen Natur Österreichs stand und weil „der Kaiser nach Vermittlung der Gegensätze strebte, unter denen sein wohlwollender Sinn am meisten litt“ (Friedjung).

Mitte Februar 1865 lud der erste Generaladjutant des Kaisers, Graf Crenneville, den Prager Statthalter zu sich in die Hofburg und führte ihn durch einen Nebeneingang zum Kaiser. Der Monarch eröffnete Belcredi, daß Schmerlings Stellung als Staatsminister unhaltbar sei; erstens wegen der dauernden Konflikte im Abgeordnetenhaus und zweitens werde der notwendige Ausgleich mit Ungarn durch ihn nur gehemmt statt gefördert. In einer langen Audienz verlangte der Kaiser unter anderem Belcredis eigene politische Ansichten zu hören; und gerade diese wirkten auf Franz Joseph überzeugend. Ende Juni entschloß sich Belcredi lediglich aus Pflichtgefühl gegenüber dem Monarchen das Erbe Schmerlings anzutreten. Gleich in der ersten Mdnisterratssitzaing erfuhr der neue

Staatsminister „zu seinem Entsetzen“, daß der Krieg mit Preußen in den maßgebenden Kreisen bereits als unabwendbare Tatsache hingenommen wurde. Belcredi war es längst klar geworden, daß die Monarchie zuerst im Inneren geordnet und gefestigt und den Ansprüchen der Nationalitäten entgegen-

gekommen werden müsse, solle sie im Kampf gegen Preußen siegreich bestehen. Nur so ist das bekannte, vor hundert Jahren vielgeschmähte Septembermanifest vom 20. September 1865 des „Dreigrafenministeriums“, welches die Verfassung sistierte — nicht gerade aufhob —, zu verstehen. Anfangs Februar 1866 begab sich der Hof in Begleitung der Minister Graf Majldth (ungarischer Höfkanzler), Graf Esterhazy (Mini ster ohne Portefeuille) und Graf Belcredi nach Ofen, um die Verhandlungen mit den Ungarn an Ort und Stelle zu führen und möglchst bald zum Abschluß zu bringen. Der staatsrechtliche Streit — die Ungarn verhandelten bereits über eine dualistische Grundlage des Reiches —, der die Monarchie erschüttert hatte,

konnte nicht mehr geschlichtet werden, denn die Spannung zwischen Wien und Berlin nahm immer stärker zu. Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland sollte 1866 auf preußische Art durch Blut und Eisen beendet werden.

Auf Österreichs Seite Ständen die Mittelstaaten: Baden, Bayern,

Württemberg, die drei Hessen, S sen und Hannover; Preußens Bundesgenossen waren neben Italien, das am 20. Juni an Österreich den Krieg erklärte, die norddeutschen Kleinstaaten. Da Ende Juni ganz Norddeutschland im Besitz der Preußen war, konnten sie ihre ganze Macht gegen Böhmen wenden. Am Abend des 30. Juni bekam Belcredi ein Telegramm von Benedek, dem Oberbefehlshaber der Nordarmee, mit folgendem Inhalt: „Das Debacle des ersten und des sächsischen Armeecorps nöthigen mich, den Rückzug in der Richtung von Königgrätz anzutreten.“ Am 3. Juli fiel die Entscheidung bei Königgrätz. Die Niederlage konnte durch die Siege in Italien — am 24. Juni bei Custozza und am 20. Juli bei Lissa — nicht ausgeglichen werden. Die siegreichen Preußen rückten unterdessen unaufhaltsam vor, besetzten am 8. Juli Prag, am 12. Brünn, während sich die Trümmer der österreichischen Nordarmee in Olmütz sammelten. Als Erzherzog Albrecht mit seinen Truppen von Italien auf Wien marschierte, beriet man im engsten Ministerkreise über die Fortsetzung eines Verteidigungskrieges. Der Wiener Gemeinderat protestierte gegen diesen Plan. Es wurde der Waffenstillstand von Nikolsburg geschlossen, dem am 23. August der Friede von Prag folgte. Österreich verließ den Deutschen Bund, verzichtete auf die Elbeherzogtümer sowie auf Venetien, das in einer geheimen Konvention schon am 12. Juni

1866 Napoleon III. für seine absolute Neutralität von Franz Joseph notgedrungen zugesichert wurde, und mußte seine Zustimmung zur Gründung eines Norddeutschen Bundes unter Preußens Führung geben.

Nicht lange nach den Friedensverhandlungen schied am 1. Februar

1867 Belcredi, der Konservative, der Föderalist, der wahre Katholik, aus seinem Amt und mußte Zusehen, wie Sein Werk, der Ausgleich mit Ungarn, anderen zugeschrieben wurde, während man ihm jede Verantwortung für alles Unglück aufbürdete

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