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Osttirol 1809 -1959

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Das Jahr des Gedenkens an den weltauf- rütt lnden Freiheitskampf, mit dem das Volk von Tirol vor 150 Jahren dem Siegeszug des Welteroberers Napoleon Einhalt geboten hat, weckt die Erinnerung an folgende historische Tatsachen:

Bis zum Jahre 1919 — in welchem die schreiende Unrechtstat der gewaltsamen Einverleibung Südtirols in den italienischen Staat vollbracht wurde —, gab es die geographische Bezeichnung „Osttirol” nicht. Dieser südöstliche Landesteil Tirols war bis zu diesem Unglücksjahr ein Bestandteil des Südtiroler Volkstums und seines Wirtschafts- und Verwaltungskörpers.

Die lebendige Einheit des Landes und Volkes von Süd-, Ost- und Nordtirol trat auch im Freiheitskampf Tirols eindrucksvoll in Erscheinung :

In den Kampfjahren 1797 und 1809 haben die wehrfähigen Männer des heutigen Osttirol mit derselben heißen Heimatliebe und todesver- achtenden Opfergesinnung für die Ideale Glaube und Heimat, Freiheit und’ Recht gekämpft wie die Tiroler südlich und nördlich des Brenners. So trieb der geeinte Osttiroler Landsturm erstmals am 3. April 1797 eine starke Truppeneinheit des Heeres Napoleons — die von Kärnten herauf .in den Raum von Lienz eingedrungen war — in einem kühnen Angriff durch das Kärntner Tor aus dem Lande. Lind als am 23. April jenes Jahres ein noch viel machtvollerer Ansturm der französischen Truppen gegen diesen Teil Tirols erfolgte, war die Landesverteidigung durch den Osttiroler Landsturm am Kärntner Tor wiederum so durchschlagkräftig, daß der französische General La Valette sich sogar zur Bitte um Friedensver- handlungen gezwungen sah.

Am 31. Juli 1809 kam Andreas Hofer — die dritte siegreich gewordene Erhebung Tirols vorbereitend — auch in die Stadt Lienz. Er ernannte hierbei den kaiserlichen Büchsenspanner Major Steger von Bruneck zum Kommandanten der Freiheitskämpfer im Raum des heutigen Osttirol und des Gebietes von Sexten und Bruneck. Schon am Tag nach der Abreise Hofers von Lienz brachten Landesverteidiger von der Kärntner Grenze die Kunde, daß der französische General Rusca mit 2300 bestens ausgebildeten und bewaffneten Soldaten durchs Drautal gegen Lienz im Anmarsch sei. Er hatte den Befehl, durch das Puster- und Eisacktal nach Nordtirol vorüustoßen und den französischen Truppen bei der dritten Bergiselschlacht beizustehen.

In einem ruhmvollen Kampfe — bei dem an der Seite des Major Steger der junge Freiburger Student und Schützenhauptmann Hauger die Osttiroler Schützen mit dem Kreuz in der Hand immer wieder zu neuem Widerstand gegen die andrängende französische liebermacht anfeuerte — verhinderte der Osttiroler Landsturm am 7. und 8. August 1809 an der Lienzer Klause den Durchzug der Truppen des General Rusca durchs Pūsteltai. Wutentbrannt rächte der General diese Niederlage vor seinem nächtlichen Abzug nach Kärnten durch den Befehl, alle Dörfer um Lienz anzuzünden. So mußte es die auf die Berge geflohene Bevölkerung des Lienzer Beckens in der Nacht vom 8. auf den 9. August erleben, wie die Dörfer Leisach, Dölsach, Nußdorf, Patriasdorf, Thum, Oberdrum und Oberlienz mit ihren Gotteshäusern und mit 154 Bauernhöfen in einem zum Himmel lodernden Flammenmeer zerstört wurden.

Nach weiteren siegreichen Freiheitskämpfen der Osttiroler, die sich im November und Dezember des Jahres 1809 im Išeitai abspielten, erfolgte auch in diesem Teil Tirols die blutige Niederschlagung der Volkserhebung durch die Truppen Napoleons, dem Tirol auf Grund des Friedensbeschlusses von Schönbrunn neuerdings zu eigen gegeben worden war. Und am Heiligen Abend dieses Jahres begann der französische Henker sein Blutgericht an den Führern des Aufstandes im Isel- und Pustertal. In seinem Vollzug wurden 19 hervorragende Kommandanten des Freiheitskampfes der Osttiroler vor ihren Heimstätten erschossen und aufgehängt. Die große Zahl der standrechtlich hingerichteten Schützenhauptleute Osttirols beleuchtete am eindrucksvollsten das ruhmvolle Ausmaß des opferreichen Kampfes, den die Bevölkerung Osttirols in jener Zeit für Glaube und Heimat, Freiheit und Recht führte …

Alle objektiven Historiker wurden in ihren Forschungen davon überzeugt, daß der Freiheitskampf des Tiroler Volkes im ausschlaggebenden Maße aus religiösen Beweggründen entstanden ist und geführt wurde. So sehr die Aufhebung der Landesverfassung mit den in ihr begründeten Freiheitsrechten durch die bayrische Regierung das Tiroler Volk erbitterte, ging der zündende Kampfruf „Es ist Zeit!” doch erst durchs Land, als die Regierung es wagte, Bischöfe und Priester des Landes zu verweisen, Klöster aufzuheben, die Rorateämter in der Adventzeit und den Gottesdienst in der Heiligen Nacht zu verbieten, Prozessionen und Bittgänge und andere gemeinsame Gottesdienste abzuschaffen. Dem göttlichen Bundeshetrn von Tirol und der himmlischen Schutzfrau des Landes nicht mehr öffentlich Ehrė und Dank darbringen zu dürfen und die Jugend des Landes von der Gefahr der Verführung zu einer glaubens- und sittenlosen Lebensgestaltung bedroht zu wissen, das hat in der Seele des Tiroler Volkes die Ueberzeugung entfaltet, daß die Befreiung des Landes von dieser Herrschaft der Gottlosigkeit eine heilige, notwehrartige Pflicht ist. Die lebendige Gottverbundenheit hat die Tiroler aber nicht nur zum heldenmütigen Freiheitskampfe, sondern auch zu leuchtenden Samariterdiensten in der Not des Krieges und der Nachkriegszeit angetrieben und befähigt.

Für die Führenden des Tiroler Volkes in der Gegenwart sind die Tatsachen, .daß jene’Epochen der Geschichte Tirols, in denen das Volksleben in allen seinen Teilen nach den von der Kirche verkündeten göttlichen Offenbarungen auf Gott hingeordnet war, die Zeit der leuchtendsten Charaktergröße, der glanzvollsten vaterländischen Opferbereitschaft und der werktätigsten Nächstenliebe des Tiroler Volkes gewesen ist und daß die Perioden der Abkehr von den christlichen Lebensgrundsätzen immer einen sittlichen und moralischen Rückschritt bewirkten, richtunggebende Beweise, daß die Lehren und Gnadenmittel des Christentums die einzig zuverlässigen charakterformenden, lebensveredelnden, gemeinsinnbildenden und aufbauenden Kräfte sind und daß die Geisteshaltung und Lebensgestaltung des Tiroler Volkes vor 150 Jahren für die Tiroler des 20. Jahrhunderts ein heiliges und verpflichtendes Erbe bilden.

Aus dem Wissen um diese Pflicht wurde das ehrenvolle Gelöbnis des Tiroler Landtags — den Hohen Frauentag künftig als besonderen Festtag und Bittag zu Ehren „Unserer lieben Frau von Tirol” zu gestalten — geboren. In der Erfüllung dieses Landtagsbeschlusses werden die großen Sorgen und Nöte — die die Volksseele im zerrissenen Land nach wie vor bedrücken — ein erstrangiges Gebetsanliegen sein, auf daß der Kampf um die volle Gewährleistung der Menschenrechte des Südtiroler Volkes und um die Festigung der Einheit Tirols gesegnet ist.

Aus dem geistigen Erbe erwächst den Führenden aber auch der verpflichtende Auftrag zur Schaffung der Voraussetzungen, daß die Jugend des Landes zur echten Gottverbundenheit der Ahnen emporgeführt und zur zeitgemäßen tirolischen Neugestaltung des Familien- und Volkslebens aus den christkatholischen Lebensgrund- sätzen im reißenden Strom einer flachen Aller- weltszivilisation befähigt wird. Die erstrebte religiös-sittliche Erneuerung kann aber nur erhofft werden, wenn den jungen Tirolern und ihren Familien auch einigermaßen gesicherte materielle Lebensbedingungen gegeben werden.

Durch die Zerreißung Tirols wurde Osttirol nicht nur geographisch vom Mutterland abgetrennt, sondern auch verkehrstechnisch und wirtschaftlich isoliert. Die Mandatare der Bevölkerung dieses abgerissenen Landesteiles haben zwar seit 1919 keine Möglichkeit zur Erstarkung der verstümmelten und schlecht durchbluteten Wirtschaft Osttirols unausgenützt gelassen. Diese Aufgabe wurde jedoch durch folgende Gründe ständig schwieriger: In den letzten 20 Jahren wuchs die Bevölkerung Osttirols von 30.000 auf nahezu 40.000 Menschen an. Dieser Bevölkerungszuwachs kam vor allem durch den 1939 erfolgten Bau eines großen Barackenlagers in Lienz zustande, wodurch die Einwohnerzahl der Stadt von 6000 auf 12.000 Menschen stieg. Unter den 3300 bäuerlichen Familienbetrieben Osttirols gibt es ferner eine große Zahl, die nur durch einen zusätzlichen Verdienst die Lebensgrundlage für eine Familie bilden. Die verkehrstechnische Isolierung Osttirols machte das Entstehen von Industrieanlagen und damit die Sicherung von Dauerarbeitsplätzen und von ständigen zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten unmöglich. Es steigt daher die Zahl der Osttiroler, die im Bezirk Heimstatt und Familie haben und die nur noch in von Osttirol zum Teil weit entfernten Gebieten Arbeit finden sowie die Zahl junger Osttiroler, die zur Abwanderung von ihrer geliebten Heimat gezwungen werden, ständig an.

Der sich entfaltende Bau des großen Kaiser Kraftwerkes gibt nun zwar vier Jahre lang allen Osttirolern in der Heimat Arbeit und Verdienste Durch diesen Kraftwerkbau wird aber nur eine wirtschaftliche Scheinblüte bewirkt. Es würden daher die letzten Dinge ärger sein als die ersten, wenn es in dieser Zeit nicht gelänge, den Bau der Felbertauernstraße anzubahnen. Denn die Erschließung dieser Verkehrsader ist allein imstande, Osttirol mit allen angrenzenden, wirtschaftlich unterentwickelten Gebieten in Südtirol, Kärnten, Salzburg und Nordtirol einer dauernden wirtschaftlichen Befruchtung zu erschließen und die in diesem Raum lebenden Familien vor einer krisenhaften Entwicklung zu bewahren. Der Bau der Feiberntauernstraße ist daher ein erstrangiges sozialpolitisches Problem der Zeit geworden. Diese ganzjährig offene Verkehrsader würde anderseits aber auch das durch die Zentralalpen in zwei Teile geteilte Oesterreich verbinden. Die Felbertauernstraße würde darüber hinaus aber auch das auseinandergerissene Tirol zu einer wärmeren Verbindung bringen, bis der Tag kommt, an dem das Problem Südtirol in europäischem Geiste gerecht gelöst wird.

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