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Renaissance einer Sprachkultur

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Pan im Vaccarči. Von Joseph d’Arbaud. Uebertragung aus dem Französischen von Carl J. Keller-Senn. Origo-Verlag, Zürich. 99 Seiten. Preis 9.80 sfrs.

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Pan im Vaccarči. Von Joseph d’Arbaud. Uebertragung aus dem Französischen von Carl J. Keller-Senn. Origo-Verlag, Zürich. 99 Seiten. Preis 9.80 sfrs.

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Mit der Uebertragung dieser Meistererzählung ist nicht nur einem vor Jahresfrist verstorbenen bedeutenden südfranzösischen Dichter in deutscher Sprache ein Denkmal gesetzt worden, sondern zugleich einer hundertjährigen literarischen Entwicklung in der Provence.

Durch die Kreuzzüge gegen die Katharer ist die blühende Kultur der Langue d’Oc für Jahrhunderte so zerschlagen worden, daß das Provenzalische zum Beispiel fast wie eine Geheimwissenschaft gepflegt werden mußte; noch Aubanel lernte es sozusagen heimlich. Da haben sich am 21. Mai 1654 sieben provenzalische Dichter, unter ihnen Mistral, Rou- manille und der eben genannte Aubanel, auf Schloß Font-Sėgugne bei Avignon zusammengefunden und sich feierlich verpflichtet, ihre Sprache wieder zur alten Größe zurückzuführen. Statt „troubadour" oder „trouvere" nannten sie sich nach einem alten provenzalischen Wort „fėlibres" und verbanden damit allerlei Wortspiele: sie brüsteten sich mit einem „fe libre“ (freien Glauben), wollten die Provence befreien (faire libre) und Bücher schreiben (faire des livres); daher heißt diese ganze Renaissancebewegung das Fėlibrige. Gleich beschlossen sie, den „Armana Provenęau" (Almanach provenęal) herauszugeben und sich in sieben Arbeitsgemeinschaften aufzuteilen. Die Bewegung hat dann in der Folge auf ganz Südfrankreich übergegriffen; es entstanden nach Dialekten gruppierte Tochtervereinigungen. Den unbestreitbaren Höhepunkt erreichte die provenzalische Richtung in Mistral, dem 1904 der Literatur-Nobelpreis zugesprochen wurde. Dieser „Fėlibre du Mas“ (jeder Mitarbeiter des „Armana" gab sich ein Pseudonym; so hieß Roumanille „Fėlibre des Jar- dins“, Aubanel „Fėlibre de la Grenade") widmete 20 Jahre seines Lebens dem monumentalen „Tresor du Fėlibrige“, einem provenzalischen Littrė oder Larousse.

Im Schoße dieser Bemühungen ist Joseph d’Arbaud groß geworden. Seine Mutter, die bedeutendste Dichterin des Fėlibrige, wurde unter dem Namen „La Fėlibresse döu Cauloun“ gepriesen. Er selbst wurde nach Rechtsstudien und jahrelangem, freigewähltem Hirtenleben in der Camargue Schrift-

leiter des in Aix erscheinenden „Feu“, der Zeitschrift für provenzalische Sprache und Kultur. Daneben hat er Gedichte veröffentlicht (Le Laurier d’Arles, Chants palustres) und einige Prosabände (La Caraque, La Sauvagine); diese sind bei Grasset in Paris erschienen und stellen dem provenzalischen immer den französischen Text gegenüber.

„Pan im Vaccarės“ (La bėstiou döu Vacarės — La bėte du Vaccarės) lebt von alten Tiersagen und der großen Landschaft im Delta der „Grand-Rose“ (Rhone). Die Erzählung gibt sich als Wiedergabe eines Berichtes aus den Jahren 1417/18 über die Begegnungen eines Hirten mit dem leibhaftigen Geist der „Camargo" in panischer Gestalt, ln packender Gedrängtheit entwickelt sich das Schicksalsspiel zwischen mythischem Wesen und menschlicher Erschütterung, und die ausdrucksvollen Zeichnungen von Harriet L. Klaiber erhöhen noch die Kraft des Ganzen.

Die Fackel, die auf Font-Sėgugne angezündet wurde, geht also noch immer weiter von Hand zu Hand. Jedes Jahr erscheint der „Armana“ und an jedem 24. Mai tritt das „Consistoire fėlibrėen“ unter seinem Großmeister („Capouliė“) in einer provenzalischen Stadt zusammen, um die Sieger der literarischen Wettbewerbe zu ermitteln. Unter den einst Gekrönten ist Pierre Fontan besonders zu nennen, Dichter und Mitherausgeber der „Anthologie du Fėlibrige provenęal" (Delägrave, Paris), in der etwa fünfzig Autoren zu Worte kommen. In den „Cahiers du Sud“ findet man noch jüngere Dichter, zum Beispiel Max Rouquette, Renė Nelli, Georges Reboul. Meist schreiben sie provenzalisch und französisch und entstammen den bürgerlichen Kreisen, die der Bewegung in den ersten Zeiten unfreundlich gegenübergestanden haben.

Nicht die eventuellen politischen Unabhängigkeitsbestrebungen der provenzalischen Renaissance sind beachtenswert, sondern der kulturelle Bogen, der da über Jahrhunderte hinweg gespannt wird: aus der Zeit, da sich Dante überlegte, ob er in der Langue d’Oc schreiben solle, in die heutige so ursprüngliche und vielbewunderte Provence.

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