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Patrick Leigh Fermor schildert in seiner Wandertrilogie seine Reise von Rotterdam bis Konstantinopel und seine Erlebnisse in Wien während des Bürgerkriegs 1934.

In den frühen 1930er-Jahren nahm ein 19-jähriger Engländer, gepeinigt von den Zumutungen des Erwachsenwerdens, Reißaus von Schule und Militär. Nichts Geringeres als eine Fußreise von Rotterdam bis Konstantinopel hatte er sich vorgenommen, eine Pilgerschaft europäischer Erkundung der ungewöhnlichsten Art. Mit wachen Augen, gereizten Sinnen und einem unverbildeten Verstand stromerte er durch eine alte Welt, deren Gesellschaften damals wirklich alt und ranzig, deren Natur sich indes noch erstaunlich unberührt, erfrischend urtümlich offenbarte. Doch das Abenteuer gelang erst vollkommen, als der Globetrotter nach mehr als 30 Jahren seine Notizen und die inzwischen hinzuerworbenen Kenntnisse heranzog, um die Pilgerfahrt literarisch zu rekonstruieren.

Daraus entstanden zunächst zwei Bücher, prallvoll mit eigentümlichen Beobachtungen, überraschungsreichen Erfahrungen, viel Menschen-, Geschichts- und Kulturkenntnissen. Auf den abschließenden Band, über den Reiseabschnitt vom Eisernen Tor bis Konstantinopel, wartete die Leserschaft des 1915 geborenen Autors 40 Jahre. Erst jetzt, zwei Jahre nach Patrick Fermors Tod 2011, liegt mit "Die unterbrochene Reise“ seine Wandertrilogie vollständig vor. Sie weitet sich zu einem kultur- und zeitgeschichtlichen Panorama von eigentümlichem Glanz und Individualismus.

Politisch bedeutsame Reisezeit

Der Doyen der englischen Bildungsreiseliteratur wurde einst zum Vorbild der jüngeren Generation der Wanderliteraten wie Bruce Chatwin oder Paul Theroux. Auf seiner Fußwanderung quer durch Europa entlang von Rhein und Donau nahm er jene "nomadische Lebensform“ vorweg, die, von Wissensdurst und auf das Detail gerichtetem Augenschein beflügelt, zum Kennzeichen weltweiter Erkundungen wurde.

Bei Fermors Pioniergang kam der politisch hochbedeutsame Zeitpunkt seiner Reise hinzu: Im Schneegestöber des Dezembers 1933 quert er ein bereits von Hakenkreuzfahnen durchwehtes Deutschland, und in den Wirtsstuben notiert er abends eifrig die vom Für und Wider der noch frischen NS-Machtübernahme erhitzten Stammtischgespräche. Dabei absolviert er eine Deutschstunde der eigentümlichsten Art. Dem jungen britischen Wandervogel öffnen sich die Herzen, aber auch die von der herrschenden Ideologie verblendeten Hirne in erstaunlicher Vielzahl. Was obsiegt, ist allemal die Gastfreundschaft, und das setzt sich anfangs 1934 in Österreich fort. Dort wird der kühne Rucksackpilger dank erlauchter Empfehlungen von Schloss zu Schloss weitergereicht und vom verarmten, aber polyglott gebliebenen Adel im Übermaß mit Gutherzigkeit, Geschichts- und Naturkenntnissen sowie dem lebenslang anhaltenden Vorbild vornehmer Gelassenheit versorgt.

Erinnerungen an Vergangenes

In Wien gerät Fermor mitten in die Februarkämpfe des Bürgerkriegs zwischen dem Dollfuß-Regime und der mittlerweile verbotenen Sozialdemokratie. Den Siegesaufmarsch des Kanzlers Dollfuß vor der Oper nimmt er wie ein makabres Spektakel wahr. Ansonsten schlägt er sich als Porträtzeichner in einst herrschaftlichen, nun gespenstisch düsteren Haushalten durch: Wien im nachtmahrgequälten Dämmerschlaf.

Als er nach Pressburg kommt, überredet ihn ein adliger Gönner zu einem Abstecher ins glanzerfüllte Prag, der zum Höhepunkt der ganzen Pilgerschaft aufrückt. Donauabwärts Richtung Ungarn gelangt er nach Esztergom. In der Basilika versinkt er im Spektakel der Osterliturgie und endigt seinen ersten Band "Zeit der Gaben“.

Im Fortsetzungsband bewegt sich der Genussmarschierer, von Ungarn über Transsilvanien und die Karpaten bis ans Eiserne Tor und an die Dreiländergrenze von Rumänien, Serbien und Bulgarien vordringend, großteils (wie der Titel verheißt) "Zwischen Wäldern und Wasser“. Gerade auf dieser Etappe erweist sich der späte Chronist seiner frühen Eindrücke und Erlebnisse als wortmächtiger Beschwörer von vielerlei Lebensformen und Bräuchen, die in dem seither vergangenen Dreivierteljahrhundert zwar zumeist untergegangen sein mögen, doch in Fermors lustvollen kulturgeschichtlichen Reminiszenzen und Verknüpfungen wieder aufleben.

Hinzu kommt die Zäsur durch die kommunistische Herrschaft: Vieles, das Fermor in vorkommunistischen Zeiten an Kultur- und Alltagsbeobachtungen gesammelt hat, ist inzwischen unter postkommunistischen Vorzeichen in veränderter Form wiedergekehrt. Die schwer geschundene Kulturvielfalt Siebenbürgens etwa, die zuletzt unter EU-Mithilfe am Beispiel der Hauptstadt Sibiu-Hermannstadt ihre triumphale Auferstehung gefeiert hat, kann im glückhaften Kapitel "Eskapade zu dritt“ in ihrer ursprünglichen Archaik und Schönheit besichtigt werden.

Erlebnis der Langsamkeit

Im Nachlassband "Die unterbrochene Reise“ verspürt man die Skrupelhaftigkeit besonders eindringlich, mit der der Autor in hohem Alter seine unterschiedlichen Zeit-, Raum- und Schreiberfahrungen noch einmal zu großartigem stilistischem Reichtum aufblühen ließ. Ergänzt wird sein (unvollendet gebliebenes) Itinerarium durch das "grüne Tagebuch“, das von seinem Klosteraufenthalt auf dem Berg Athos, zu Ende der Reise 1935, berichtet.

Fermors elegante, am Vorbild des Gentleman travellers der "Grand Tour“ geschulte Reiseprosa verführt zum betörenden Erlebnis einer Langsamkeit, welche die Wahrnehmung für das Wesen der Dinge neu schärft und Erlebnisse wie magisch aufleuchten lässt.

Im Zweiten Weltkrieg nahm Fermor als britischer Geheimdienstoffizier auf Kreta in Wehrmachtsuniform den deutschen Oberbefehlshaber Kreipe als Geisel und bot ihn den Alliierten in Kairo dar. In Griechenland, über dessen Landstriche Mani und Roumeli er seine erfolgreichsten Bücher verfasst hat, gilt Fermor daher, ungeachtet seiner literarischen Verdienste, als Nationalheld: Lord Byron, sein Landsmann und in gewisser Weise Geistesbruder, lässt grüßen.

Die unterbrochene Reise

Vom Eisernen Tor bis zum Berg Athos. Der Reise dritter Teil.

Von Patrick Leigh Fermor,

Dörlemann 2013.

464 Seiten, gebunden, e 26,70

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