Werbung
Werbung
Werbung

Zum Auftakt des Gedenkjahres - und zum 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz.

Es war ein langes, quälendes Ringen, bis einigermaßen aufrichtig, offen, klar über die Gräuel der NS-Zeit gesprochen werden konnte. Nein, "ruhig" kann man noch immer nicht "darüber reden" (wie der Titel eines Buches von Hans Weigel zur österreichischen Zeitgeschichte vor Jahren formuliert hat), wird man auf absehbare Zeit auch nicht können; aber es hat sich doch ein weite Teile der weltanschaulichen Lager und Gruppierungen umfassender Konsens über angemessene Formen des Gedenkens und Erinnerns herausgebildet.

Das schließt nicht aus, dass es immer wieder zu einschlägigen, oft auch recht heftigen Disputen kommt - anlässlich von Gedenktagen oder rund um Ausstellungen, Mahnmal-Projekte, wissenschaftliche Publikationen. Dass Geschichtsbetrachtung von den jeweils aktuellen politischen Machtverhältnissen zu trennen sei, ist eine Illusion; in gewisser Weise ist Geschichte immer schon (politisch) instrumentalisierte Geschichte, oder, wie es Rudolf Burger ausdrückt: "Das Vergangene als Geschichte ist immer ein Modus der Gegenwart, ..., Geschichte ist immer ein gegenwärtiges Phänomen." Das freilich diskreditiert nicht - wie Burger meint - jegliche Gedächtniskultur, fordert aber zu einem sehr behutsamen, bewussten Umgang mit Vergangenheit heraus.

Dennoch gilt: die wesentlichen Debatten über den Terror des Nazi-Regimes, über Opfer- und Täterschaft, über Einzigartigkeit und Vergleichbarkeit mit anderen totalitären, menschenverachtenden Systemen, insbesondere dem Stalinismus, sind geführt, das Wichtigste scheint gesagt. Wer es bis jetzt nicht verstanden hat, der will es nicht und wird es deshalb nie verstehen. Wie etwa die NPD-Abgeordneten im sächsischen Landtag, die eine Gedenkminute für die Opfer des Holocaust anlässlich des 60. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz für unangebracht halten und das Inferno von Dresden nicht in ursächlichem Zusammenhang mit der Hitler-Barbarei zu sehen vermögen. "NS-Zeit vergeht, Dummheit besteht", merkte dazu Heribert Prantl in der Süddeutschen an. Dem ist ebenso zuzustimmen, wie seiner Überlegung, dass ein von manchen jetzt wieder gefordertes Verbot der NPD und gleichgesinnter Parteien nicht sinnvoll wäre: Die Auseinandersetzung mit dieser "Dummheit" ist mit offenem Visier zu führen, die Demokratie muss stark genug sein, dieses Phänomen im Wortsinn zu marginalisieren, also an den äußersten - rechten - Rand (und möglichst aus demokratisch legitimierten Gremien) zu drängen.

Was aber bleibt sonst zu tun? Das Gedenken an die Auschwitz-Befreiung (27. Jänner 1945) markierte einen ersten Knotenpunkt in diesem Jahr 2005. Wichtig war, dass zu diesem Anlass erstmals eine Sondersitzung der un-Vollversammlung stattfinden konnte. Dass dies solange wegen des israelisch-palästinensischen Konflikts nicht möglich war, macht freilich schmerzlich bewusst, wie sehr alter und neuer Antisemitismus miteinander verwoben sind. Für Österreich war wichtig, dass Staatssekretär Franz Morak in New York mit seinem unzweideutigen Bekenntnis zur "moralischen Mitverantwortung" des Landes am Holocaust, dazu, dass hinter dem Land als Opfer nicht die einzelnen Menschen als Täter versteckt werden dürften, auch die bevorstehenden Republiksfeiern auf den richtigen Ton eingestimmt hat.

Die Erinnerung gilt es weiter wachzuhalten - nicht um der Anklage, sondern um der Zukunft willen. Denn es ist wohl so, dass zwar alles gesagt, gewiss aber nicht alles getan ist: un-Generalsekretär Kofi Annan wies darauf hin, dass das leidenschaftliche "Nie wieder!" nach 1945 Genozide von Kambodscha bis Bosnien nicht verhindern konnte. Man mag als Skeptiker daran zweifeln, ob historisches Gedächtnis überhaupt solches zu leisten imstande sei. Echtes Vergessen aber ist dem Menschen nicht möglich - und Verdrängung gebiert erst recht keine Versöhnung.

Wahr ist indes auch, dass der noch so ehrlich gemeinte Blick auf die Vergangenheit nicht unbedingt für die Bedrohungen der Zukunft rüstet - denn es ist, wie Jan Ross in der Zeit einmal schrieb, gut möglich, dass die künftigen Menschheitsverbrechen "Auschwitz gar nicht ähnlich sehen" und wir sie daher "nicht bemerken".

rudolf.mitloehner@furche.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung