Leidenschaft, die Berge schafft

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In der Innsbrucker Hofburg gelingt der Alpenvereins-Ausstellung mehr, als ihr Titel verspricht: Sie macht "Berge, eine unverständliche Leidenschaft" verständlich.

Auf dem Gipfel des Larmkogel im Salzburger Hollersbachtal packte einmal ein Bergkamerad seinen Farbkasten aus und wollte die beeindruckende Kulisse mit dem Großglockner am östlichen Horizont malen. Doch ohne Wasser kein Aquarell - und mit dem angebotenen Schwarztee, den isotonischen Durstlöschern und dem ebenfalls in einem Rucksack verstauten Ribiselsaft wollte er seine Farben nicht anrühren. Da half nichts - einer musste in die schattige Nordseite hinunterklettern und einen Schneeball holen, damit nach ein paar Minuten Schneeschmelze der Künstler seinen ersten Pinselstrich ziehen konnte.

Die Geschichte ist mir in den Sinn gekommen, als ich im ersten Raum der Alpenvereins-Ausstellung "Berge, eine unverständliche Leidenschaft" den Aquarellkasten des Landschaftsmalers Paul Käser in einer Vitrine gesehen habe, versehen mit der gewagten These: "Ohne die Erfindung des Farbkastens wären die Alpen vielleicht nie zum Reiseziel geworden." Erst der Zusatz von Honig und Glycerin im 19. Jahrhundert hat Wasserfarben pressbar und damit rucksacktauglich gemacht. Ohne Medium aber keine Nachricht und ohne Farben keine Bilder von malerischen Bergriesen.

Über den Schwitzanger zur Jubelspitze

Der Weg durch die Innsbrucker Ausstellung ist auch eine malerische Reise, besser gesagt eine tolle Bergtour - lehrreich und lustig außerdem. Nicht umsonst erhält der Besucher bei der Eingangshütte auch eine Wanderkarte, mit der man seinen Weg von Bad Bildband über die Augenweide, Piz Panik, Schwitzanger und Damensattel bis nach Maria Labung findet. Festhalten und Durchhalten ist dann angesagt, Schwindel war schon vorher; noch einen kurzen Durchhänger gilt es zu überwinden, dann ist man oben auf der Jubelspitze - und über Rauschrücken und Saus- und-Braus-Rinne geht es vorbei am Piz Passé wieder ins Ausstellungstal.

Spätestens an diesem Punkt stimmt für den Besucher der Ausstellungstitel nicht mehr. Zwar ist es leicht möglich, dass nach dieser Tour die Bergleidenschaft eine noch tiefere geworden ist, aber auf keinen Fall ist diese unerklärlich geblieben. Mit "Mysterium tremendum et fascinosum" erklärten Theologen die Anziehungskraft des Göttlichen - geheimnisvoll, zum Fürchten und faszinierend zugleich, das lässt sich zweifellos auch über die Berge sagen.

Schrecken, wie ihn kein Horror-Film erzeugt

"In einer sternenklaren Nacht hat mir die über Breuil aufragende ungeheure Masse des Matterhorns, gleich einer riesigen schwarzen Statue, die sich am Horizont erhob und zwei Drittel des Himmels verdeckte, einen Schrecken eingejagt, wie ihn kein Horror- oder Science-Fiction-Film je auslösen könnte", schreibt ein Historiker und Berg-Leidenschaftler im Begleitbuch zur Ausstellung und kommt für sich zu dem Ergebnis: "Da bekommt man richtig Lust, diese Ries(inn)en zu besteigen."

Diesen "Auffi-muass-i"-Schluss haben die Menschen angesichts der Bergriesen sehr lange nicht gezogen. Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein bleibt man beim Befund des antiken Historikers Titus Livius und spricht von der "foeditas Alpium", der Hässlichkeit der Alpen. "Gott gib mich meinen Brüdern zurück, damit ich sie warnen kann, diesen qualvollen Ort zu meiden", soll ein englischer Mönch gebetet haben, als er 1178 den Gotthard-Pass auf dem Weg nach Rom überqueren musste. Und noch der als Begründer von Archäologie und Kunstgeschichte geltende Johann Joachim Winckelmann machte 1760 auf derselben Strecke die Vorhänge seiner Kutsche zu, um sich den furchtbaren Anblick von Fels und Eis zu ersparen.

Als wie gefährlich, spitz, schroff, abweisend, wie von einer anderen Welt die Menschen dieser Zeit die Alpen empfunden haben, machen zahlreiche Gemälde in der Ausstellung anschaulich. Doch es dauert nur wenige Jahrzehnte, und damalige Bilder von Gletschern und Bergen werden auch für uns heutige Zeitgenossen "wirklichkeitsnäher". Der Kulturwissenschafter Martin Scharfe dazu: "Es bedurfte erst nicht nur der äußeren (das heißt: der technischen), sondern auch der inneren (also: der mentalen) Aneignung der wilden Alpennatur, damit sich Gemüt und Auge beruhigen und Bilder des Gletschers gemalt werden konnten, wie unser Auge sie sieht."

Einen Ohrenschmaus der besonderen Art bekommt der Ausstellungsbesucher in einer nachgebauten Seilbahngondel geboten: Die erste Seilbahnfart auf den 2502 Meter hohen Säntis im Schweizer Kanton Appenzell am 1. Juli 1935, kommentiert vom Radioreporter Arthur Welte: "Man schwebt, fühlt, fliegt - mein Gott, diese Aussicht!" Von der Aussicht hat der Begründer des Alpinismus, Horace-Bénédict de Saussure, nichts gehabt, als er am 3. August 1787 am Gipfel des Mont Blanc stand, taumelnd, um Atem ringend, zu Tode erschöpft. Wieder im Tal, schreibt er, dass es ihm wie einem Feinschmecker ergangen ist, der ein herrliches Festmahl wegen Übelkeit nicht genießen konnte. Doch die Bergsteiger lernen daraus: Albert Smith nimmt 1851 bei seiner Mont-Blanc-Tour 60 Flaschen Vin Ordinaire mit, dazu sechs Flaschen Bordeaux, zehn Flaschen St. Georges, 15 Flaschen St. Jean und zwei Flaschen Champagner sowie drei Flaschen Cognac - gegen die Übelkeit!

Berge, eine unverständliche Leidenschaft

Ausstellung des Alpenverein-Museums in der Hofburg Innsbruck, Rennweg 1; ganzjährig täglich geöffnet (bis 2012), 9-17 Uhr, Info unter 0512-587 186-12; nicht angemeldete Führungen täglich 10 und 15 Uhr ab zehn Personen.

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