Jürgen Flimm - © FOTO: APA/BARBARA GINDL

Jürgen Flimm: "Man bleibt bis zum Tod kritisierbar"

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Ein Gespräch mit dem Intendanten der Salzburger Festspiele, Jürgen Flimm, über seine Kür, seine Vorgänger, seine Pläne und das Salzburger Publikum.

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Ein Gespräch mit dem Intendanten der Salzburger Festspiele, Jürgen Flimm, über seine Kür, seine Vorgänger, seine Pläne und das Salzburger Publikum.

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Die Spiele können beginnen. Jürgen Flimm steht vor seiner ersten Intendanten-Spielzeit bei den Salzburger Festspielen. Im FURCHE-Gespräch verteidigt Flimm das Salzburger Publikum und sieht sich selbst ganz und gar nicht als "Kompromisslösung" für den Intendantenstuhl.

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DIE FURCHE: Herr Flimm, als Sie im Sommer 2004 zum Intendanten der Salzburger Festspiele gewählt worden sind, galten Sie bei vielen Beobachtern als Kompromisskandidat. Woran glauben Sie, lag das?

Jürgen Flimm: Sagen Sie mir doch, wer kein Kompromisskandidat gewesen wäre, wie schaut denn kein Kompromisskandidat aus, verraten Sie mir das? Wer waren denn die anderen Kandidaten? Da war ein Dirigent aus Cleveland, der gar keine Zeit hatte, das zu machen, dann war da ein Konzertdirektor aus Wien, der gar keine Erfahrung hatte mit dem Metier. Ich war sozusagen der kompletteste Kandidat, weil ich einerseits Schauspiel- und Opernregisseur bin, weil ich 21 Jahre Erfahrung als Theaterdirektor hinter mir habe und auch Erfahrung mit der Leitung von großen Betrieben - und das mit großem Erfolg. Nur vom Konzert verstehe ich wenig, da kenne ich mich nicht so aus. Von den dreien war ich einfach der am besten qualifizierte Kandidat. Ich bin kein Kompromisskandidat, sondern ein Profi und vielleicht hat es genau einen solchen gebraucht.

DIE FURCHE: Man konnte auch lesen, sie würden dem Publikum nicht allzu viel zumuten, ihm politisch und ästhetisch nicht weh tun…

Flimm: Was habe ich denn gemacht, was nicht weh tut? Ich glaube, das ist falsch. Zudem möchte ich nur darauf hinweisen, dass ich in Salzburg ja nicht als Regisseur engagiert bin, sondern als Intendant. Das ist ein kleines Denken, so als würde man Leute einladen nach dem eigenen Denken. Wenn das so wäre, hätte ich damals 1989 am Thalia Theater die Ruth Berghaus nie eingeladen, Büchners Danton zu machen. Denn eigentlich war diese - später weltberühmt gewordene - Inszenierung nicht nach meiner Mütze, aber sie hat ihn auf ihre Weise gemacht und das war brillant. Wenn sie Intendant sind, dann lernen sie ganz schnell, dass sie andere Regiesprachen und starke Handschriften neben sich brauchen.

Vom Schauspielchef zum Festspielintendanten

"Intendanten müssen keine Partytiger sein", sagte Jürgen Flimm rund fünf Monate bevor er den wohl wichtigsten Job seiner bisherigen Karriere annahm. Der gebürtige Rheinländer leitet in diesem Jahr erstmals die Salzburger Festspiele. Um dort zu bestehen, wird der Haudegen des Regietheaters auch mit dem einen oder anderen Partygast Sekt schlürfen müssen. Kein Problem für den, von den deutschen Feuilletons als "Opern-Apparatschik" gebrandmarkten 66-Jährigen. Flimm hat sich über die Jahre ein gutes Netzwerk aufgebaut und sich auf dem Parkett der internationalen Theaterwelt bewährt: 1979 übernahm er die Intendanz des Schauspiels Köln, von 1985 bis 2000 leitete er das Thalia Theater in Hamburg. 2002 holte ihn sein Vorgänger in Salzburg, Peter Ruzicka, als Schauspielleiter zu den Festspielen. Zuletzt folgte er einem anderen Salzburger Ex-Intendanten, Gérard Mortier, als Leiter der RuhrTriennale nach, die Flimm zwei Jahre leitete. In all den Jahren festigte Flimm seinen Ruf als Größe des Gegenwartstheaters. An die Programmauswahl für sein erstes Jahr als Leiter der Salzburger Festspiele nähert sich der gelernte Theaterregisseur betont pragmatisch: Man spielt, was schon lange nicht mehr da war. Von "Eugen Onegin", der in Salzburg noch nie zu sehen war, bis zum "Freischütz", der schon 50 Jahre lang nicht aufgeführt wurde.- Bevor er zum Theater ging, studierte Flimm Theaterwissenschaft, Soziologie und Germanistik. Sein starker Bezug zum Theater, den Schauspielern und den Sängern ist laut eigener Aussage der größte Unterschied zu seinen Vorgängern.

"Intendanten müssen keine Partytiger sein", sagte Jürgen Flimm rund fünf Monate bevor er den wohl wichtigsten Job seiner bisherigen Karriere annahm. Der gebürtige Rheinländer leitet in diesem Jahr erstmals die Salzburger Festspiele. Um dort zu bestehen, wird der Haudegen des Regietheaters auch mit dem einen oder anderen Partygast Sekt schlürfen müssen. Kein Problem für den, von den deutschen Feuilletons als "Opern-Apparatschik" gebrandmarkten 66-Jährigen. Flimm hat sich über die Jahre ein gutes Netzwerk aufgebaut und sich auf dem Parkett der internationalen Theaterwelt bewährt: 1979 übernahm er die Intendanz des Schauspiels Köln, von 1985 bis 2000 leitete er das Thalia Theater in Hamburg. 2002 holte ihn sein Vorgänger in Salzburg, Peter Ruzicka, als Schauspielleiter zu den Festspielen. Zuletzt folgte er einem anderen Salzburger Ex-Intendanten, Gérard Mortier, als Leiter der RuhrTriennale nach, die Flimm zwei Jahre leitete. In all den Jahren festigte Flimm seinen Ruf als Größe des Gegenwartstheaters. An die Programmauswahl für sein erstes Jahr als Leiter der Salzburger Festspiele nähert sich der gelernte Theaterregisseur betont pragmatisch: Man spielt, was schon lange nicht mehr da war. Von "Eugen Onegin", der in Salzburg noch nie zu sehen war, bis zum "Freischütz", der schon 50 Jahre lang nicht aufgeführt wurde.- Bevor er zum Theater ging, studierte Flimm Theaterwissenschaft, Soziologie und Germanistik. Sein starker Bezug zum Theater, den Schauspielern und den Sängern ist laut eigener Aussage der größte Unterschied zu seinen Vorgängern.

DIE FURCHE: In der "Zeit" konnte man nach ihrer Wahl lesen, Sie seien über die Lebensphase der Kritisierbarkeit hinausgewachsen und das mache Sie für Salzburg so attraktiv?

Flimm: Was soll das heißen? Man bleibt doch bis zum Tode kritisierbar und noch darüber hinaus. Außerdem habe ich, seitdem das geschrieben wurde, immer noch ab und zu die Hucke voll gekriegt von Presse und Öffentlichkeit. Das halte ich auch für normal. Wenn man sich da hinausbegibt, seine Nase auf die Bühne streckt und hinter dem Portal hervorkommt, dann muss man gewärtig sein, dass es Leuten auch nicht gefällt, so schmerzlich das auch sein mag.

DIE FURCHE: Was gedenken Sie anders zu machen als ihre Vorgänger, Gérard Mortier und Peter Ruzicka?

Flimm: Das sage ich ihnen später. Ich weiß jetzt noch nicht, was nachher anders ist. Wir sind ja ganz unterschiedliche Typen. Der Mortier kommt aus einem Betriebsbüro und ist dann als Intendant an die Oper nach Brüssel gegangen. Der Peter Ruzicka ist Komponist, mit all diesen Komplikationen, die ein Komponist hat: nämlich ein weißes Blatt Papier mit all den schwarzen Pünktchen. Da gibt es nur einen Dialog zwischen diesem Blatt Papier und seinem Kopf und seiner Erinnerung an Musik. Ich bin in meinem Leben immer ein Regisseur gewesen, das heißt, ich war immer im Zentrum des Theaters und habe die leere Bühne als meine Provokation empfunden. Mal ganz arrogant gesagt, bin ich dem Reinhardt am nächsten. Aus diesen unterschiedlichen Profilen entwickeln sich auch ganz unterschiedliche Sachen, ist doch ganz klar. Ich bin sicher mehr auf der Seite des Theaters, der Schauspieler und Sänger

DIE FURCHE: Den Salzburger Festspielen haftet ein ganz bestimmter Ruf an. Sie gelten als exklusive Veranstaltung für die vermögende Elite.

Flimm: 220.000 Zuschauer sind nicht exklusiv! Wer kommt auf so eine Idee? Bei solchen Zuschauerzahlen kann man doch nicht behaupten, das sei nur für eine kleine reiche Clique von Millionären, das ist doch ein Unsinn.

DIE FURCHE: Woher kommt aber die verbreitete Meinung, dass die Salzburger Klientel mehr mit den Gedanken an die eigene Abendgarderobe ringe, als mit der künstlerischen Darbietung auf der Bühne?

Flimm: Es gibt ja nichts dagegen einzuwenden, wenn sich Leute schön anziehen wollen. Ich kann doch nicht sagen, hier kommen nur die mit zerrissenen Jeans rein und die geben uns vorher noch die Einkommenssteuererklärung ab und dann sagen wir: Tut uns leid, da sie mehr als 250.000 Euro verdienen, müssen sie woanders hin. Darüber hinaus sind Leute, die reich sind, meistens nicht blöd. Die Beschreibung des Publikums auf reich, desinteressiert, eigentlich nur auf Schnitzel und teure Colliers fixiert und nur hier, um den Vorstandskollegen aus Frankfurt auch noch zu treffen, ist absolut falsch. Das mag es ja geben, aber das ist doch die absolute Ausnahme.

DIE FURCHE: Wozu braucht man heute noch die Salzburger Festspiele?

Flimm: Die Frage erübrigt sich wenn man darauf guckt, welchen Erfolg die Festspiele im letzten Jahr mit dem Mozart hatten. Festivals leisten so etwas wie eine kulturelle Grundversorgung. Die Sommerzeit benützen die Leute, um sich kulturell wieder zu orientieren und sich auch mit Kultur nochmals vollzusaugen.

DIE FURCHE: Was sollte jemanden bewegen, gerade die teuren Salzburger Festspiele zu besuchen, wenn nicht auch die Möglichkeit, vormittags im Fuschlsee zu baden und abends eine Oper in erstklassiger Qualität sehen und hören zu können?

Flimm: Diesen Zuschauer hätte Brecht sich doch gewünscht! Der am Abend entspannt, gebadet, mit einer gewissen Müdigkeit sich hinsetzt und dann das Ganze auf sich zukommen lässt. Wir können den Leuten nicht vorschreiben, wie sie zu rezipieren haben. Aber wie die Erfahrung zeigt, ist es ja so nicht, dass die Leute ein bisschen schwimmen gehen, dann noch schnell ein Schnitzelchen essen und dann mehr oder weniger gleichgültig ins Theater kommen. Das sieht man auch an den manchmal sehr heftigen Reaktionen auf Aufführungen. Man muss nicht unterstellen die Leute seien doof. Das ist so eine alte Kapitalismuskritik, ich kenne diese Denkungsart sehr gut, das haben wir auch mal gedacht so vor 40 und noch vor 30 Jahren. Aber das ist heute komplizierter geworden.

DIE FURCHE: Die heftigen Reaktionen könnte man doch auch dahin deuten, dass hier eine konservative Grundhaltung vielleicht stärker ausgeprägt ist und das Publikum mehr als anderswo das Bedürfnis artikuliert, dem Vertrauten begegnen zu wollen.

Flimm: Lautstarke Proteste gibt es doch überall, wenn eine bestimmte Erwartungshaltung nicht erfüllt wird. Dabei darf man aber wirklich nicht unterschätzen, dass die Neugierde der Leute sehr groß ist und sie auch sehr interessiert sind an anderen Interpretationen, an neuen Drehungen von Stücken. Es muss ihnen nur gut erzählt werden. Wir müssen eines bedenken: Die Leute, die hierher kommen, die in ihren Städten - wie ich mal vermute - eher wenig oder fast nie ins Theater gehen, die bekommen die heute geführten ästhetischen Debatten wie zum Beispiel über Schauspielregie oder die Frage, was ein Text ist, nicht mit. An diesen Debatten nimmt der durchschnittliche Zuschauer nicht teil, der hat anderes im Kopf. Die Leute, die hierher kommen, sehen nur das Ergebnis einer Debatte, deren Vorlauf sie nicht kennen, und das macht sie empfindlich. Das ist nicht reaktionär, sondern sogar manchmal verständlich.

DIE FURCHE: Worauf freuen Sie sich am meisten bei den heurigen Festspielen?

Flimm: Auf das Bier nach der letzten Premiere und darauf, nicht mehr um acht Uhr im Büro sein zu müssen.

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