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Mit Emotionen komponieren

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„Stellen Sie sich vor: Eine Gesellschaft mit 163 Nieren, drei Gehirnen und einem Blinddarm! Das ist doch abstrus. Aber es entstehen da ganz bestimmte Typen von Existenz, die auf andere .normale' schließen lassen. Es ist begrifflich zwar nichts verstehbar, emotionell hingegen sehr vieles. Man wird .Botschaften' vernehmen, ohne sie deuten zu können. Genau das will ich in .Aventures' vermitteln: Emotionen, eine phonetische Flüsterszene, in der vieles assoziierbar ist, Relikte einer Cocktailpartie etwa ...“ Eigentlich war Ligeti in Innsbruck schon „am Sprung“ nach London, zum Camden Festival neuer Musik, wo seine Zehn Stücke für Bläserquintett (uraufgeführt im Jänner in Malmö und Stockholm) und sein Cellokonzert gespielt werden und er selbst im österreichischen Kulturinstitut und anschließend in Freiburg, Zürich und im August in Darmstadt Vorträge halten wird. Als bevorstehende Uraufführungen nennt Ligeti sein 2. Streichquartett, das vom La-salle-Quartett im Herbst 1969 in Baden-Baden aus der Taufe gehoben und dann in ganz Europa, so auch in Wien, gespielt wird, und ein Stück für 13 Instrumente, das er noch im Sommer für die Tournee der „reihe“ fertigstellen möchte.

Kompositorische Probleme? „Vor allem weg von den statischen Klangflächen, weg vom Cluster! Lontano war da das letzte Werk. Ich strebe immer mehr die Verästelung des Klanges an, den .kaputtgehenden Mechanismus' als kompositorische Basis. Die Harmonik wird gegenüber früheren Stücken aufgehellt. Im .reihe'-Stück interessieren mich zum Beispiel vor allem polyphone Netzstrukturen. Der harmonische Ablauf ist da exakt vorbestimmt, die verschieden sich entwickelnden Stimmen hängen an bestimmten Stellen durch gewisse Intervalle zusammen, das heißt, das Stück wird vor allem vertikal geregelt sein.“ Allerdings muß Ligeti sich hier der Zwölftontem-peratur bedienen, da Streicher und Bläser nicht gleichmäßig zu „verstimmen“ sind. Überdies arbeitet er an seiner Oper „Kyl-wiria“ für Stockholm, die zumindest im Libretto fertig konzipiert vorliegt.

Mit internationalen Aufträgen ist er jedenfalls bis 1974 halbwegs ausgebucht: „Zu meiner ersten Orgeletüde komponiere ich eine zweite für den Steirischen Herbst. Für 1971 entsteht ein Orchesterwerk für Nürnberg, dann ein Werk für Kiel und eines für die Berliner Philharmoniker.“ Mehr in Gedanken befaßt er sich auch mit Fernsehstücken, die mediumgerecht komponiert werden: Stockholm und Jack Bornoff vom Internationalen Musilkrat der UNESCO haben sozusagen Optionsrechte; mit dem WDR und Professor Wilfried Scheib vom ORF hat Ligeti darüber gesprochen. Für das eine Stück denkt er dabei an Piranesis „Carceri“, deren ruinöse, beklemmende Mauervisionen in ihrer Modernität als Assoziationsvorlage dienen. Als zweites Stück plant er ein Ballett für Körperteile. Im großen und ganzen werden seine Werke in Europa bereits ständig gespielt: „Das Requiem in dieser und der nächsten Saison in Stuttgart, Luzern, Kopenhagen, Stockholm, Wien, das Cellokonzert, von Siegfried Palm in den USA, in Japan, ferner gemeinsam mit anderen Werken in Holland, die Ramifications in Luzern, unter Paul Sacher in Basel.“ Und zu guter Letzt: Der Grazer Musikverein hat eben angefragt, ob Ligeti mit der Ehrenmitgliedschaft einverstanden ist. „Und ob!...“ Nur fürs Wiener Konzerthaus möchte er doch lieber bei der Sperrung seiner Werke bleiben. Außerdem: Im Musikverein nimmt man sich bereits ■ seines Stücks „Lontano“ an, das unter Carl Melles im Februar 1970 geplant ist.

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