Noch neunzig Minuten bis Mitternacht

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Mit der Uraufführung von Daniel Kehlmanns Echtzeit-Politthriller "Heilig Abend" thematisiert das Theater in der Josefstadt drängendste Fragen unserer Gegenwart. Anstatt einfache Antworten zu liefern, fordert man das Publikum. Besseres kann Theater kaum leisten.

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Mit der Uraufführung von Daniel Kehlmanns Echtzeit-Politthriller "Heilig Abend" thematisiert das Theater in der Josefstadt drängendste Fragen unserer Gegenwart. Anstatt einfache Antworten zu liefern, fordert man das Publikum. Besseres kann Theater kaum leisten.

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Auf der Bühne steht ein auf drei Seiten verglaster, von kaltem Neonlicht beleuchteter Kubus. Eine elegant gekleidete Frau in schwarzem Mantel mit Pelzkragen und modischer Brille sitzt scheinbar wartend auf einem Stuhl, reglos, wie die neben ihr breitbeinig stehende uniformierte Wache. Der fensterlose, fast leere Raum wirkt in seiner Hermetik abweisend, bedrohlich fast. Auf der hellgrau bemalten Betonrückwand hängt mittig eine digitale Uhr, ihre rot leuchtenden Ziffern zeigen 22:31. Die Doppelpunkte zwischen der Stundenund Minutenanzeige blinken unaufhörlich.

Einige Minuten später betritt ein in lässigem schwarzen Anzug gekleideter Mann den Raum, die Tür wird von außen geschlossen. Ihn fragt sie nun: "Wo bin ich? Warum bin ich hier?"

Ein bloßes Gedankenspiel?

Was sich in den folgenden nicht mehr ganz 90 Minuten von Daniel Kehlmanns "Heilig Abend", das nun am Theater in der Josefstadt zur Uraufführung kam, zwischen den beiden abspielt? Einerseits das Aufeinanderprallen zweier unversöhnlicher Standpunkte und andererseits ein Wettlauf gegen die Zeit: Genau um Mitternacht an Heilig Abend soll ein Bombenattentat verübt werden, für das die Frau (Maria Köstlinger), eine Philosophieprofessorin verantwortlich sein soll. Auf ihrem Computer - obwohl sie damit nie online gehe -wurde ein belastender Text gefunden. Es handle sich dabei nur um eine Übung, tut sie es ab, ein bloßes Gedankenspiel mit Studierenden.

Für den Ermittler Anlass genug, sie für eine mutmaßliche Bombenlegerin zu halten. Zudem habe sie ja eine Habilitationsschrift zu Frantz Fanon verfasst, jenem politischen Aktivisten, der mit "Die Verdammten dieser Erde"(1961) als wichtiger Kritiker des Imperialismus und Vordenker des Antikolonialismus gilt und Gewalt als legitime Form des Protests gegen eine ungerechte Gesellschaft gutgeheißen hat. Und weil Gefahr in Verzug ist, lässt sich der immer ungeduldiger werdende Ermittler, - von Bernhard Schir vielschichtig, mal als virilen, aber schmeichelnden Verführer, dann als jovialen Kumpel und dann wieder als den brutalen, drohenden, von einer unglücklichen Ehe gezeichneten Frauenverächter gespielt, - zu Übergriffen verleiten.

An diesen wenigen Beispielen wird ersichtlich, welch hellsichtige zeitdiagnostische Analyse Kehlmann mit seinem furiosen Text vorgelegt hat. Zum einen wird vorgeführt, was alle wissen und niemand wahrhaben will: die Möglichkeiten totaler staatlicher Überwachung. So weiß der Ermittler intimste Details aus dem Leben der Professorin. Regisseur Föttinger visualisiert die Überwachung zudem eindrücklich, wenn sich der ganze Glaskasten, der gleichsam selbst als Metapher des gläsernen Bürgers gelesen werden kann, in der Mitte des Stückes langsam um 360° dreht und Einblick in den Raum dahinter gibt. Dort sitzen vor einer Videowand mit lauter kleinen Bildschirmen ein Dutzend Beamte und beobachten, was sich im Raum daneben abspielt. Jede Regung der Verhörten wird vergrößert, aufgezeichnet, von vielen Augenpaaren studiert, eingeordnet, bewertet.

Kann Gewalt legitim sein?

Auf der einen Seite zeigt es auch die Paranoia eines Staates, in dem ein Gedanke, eine Idee schon einer Tat gleichkommt. Zudem zeichnet Kehlmann darin eine Gesellschaft, in der die Unzufriedenheit über die Verhältnisse in ihrer Mitte angekommen ist und dass sie von staatlicher Seite für so groß gehalten wird, dass Bombenanschläge nicht mehr dem islamistischen Terror alleine vorbehalten erscheinen und daher im Namen der Sicherheit Grundrechte der Bürger auch anzutasten sind. Auf der anderen Seite ist der Frustration über die Verhältnisse, das Gefühl der Ungerechtigkeit (vor allem die Verteilung des Reichtums nimmt bei Kehlmann berechtigterweise viel Platz ein) so groß, dass sie als Gewaltverhältnisse wahrgenommen werden. Zudem sind die Aporien des Widerstands offenbar so gravierend, dass in eben dieser Mitte der Gesellschaft ernstlich darüber nachgedacht wird, ob Gewalt nicht ein legitimes, weil einziges Mittel für Veränderung sei. In beiden Fällen geht es um die drängende Frage unserer Zeit, ob der Zweck jeweils die Mittel heiligt.

Die große Leistung von Kehlmanns Well-Made-Play besteht nicht nur darin, dass es das Dilemma so spannend ausbreitet, sondern dass es richtige und wichtige Fragen stellt, die möglichen Antworten aber als gleichwertig gegeneinander stellt. Und weil sich der Autor Sympathien und einfachen Antworten entschlägt, ist der Zuschauer aufgefordert, sich auseinanderzusetzen. Etwas Besseres kann Theater kaum leisten. Wir müssen uns anstrengen, damit sich nicht erfüllt, was Brecht seiner Johanna der Schlachthöfe in den Mund legte, wonach nur Gewalt hilft, wo Gewalt herrscht!

Heilig Abend

Theater in der Josefstadt, 13., 14., 18.19. Feb.

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