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Die Kunst an der Krippe des Kollektivismus

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Die heute weitverbreitete, durchaus ehrbare Bemühung, die Kunst dem Volke näherzubringen, beruft sich häufig darauf, daß „früher“ einmal die Kunst volksverbunden gewesen sei und daß dieser ideale Zustand wiederhergestellt werden müsse. Immer wieder ertappt man selbst gescheite Leute dabei, daß sie kulturelle Blütezeiten voraussetzen, in denen jedermann das gute Bild für jeden bei sich zu Hause in der guten Stube hatte oder — wenn auch nicht in der Postbeamtenwohnung ein originaler Rembrandt hing und auch nicht jeder Arbeiter mit Stolz auf seinen originalen Tizian über dem Bett hinweisen konnte — immerhin jedermann doch ein tiefes Verständnis für die Kunst des „weichen Stils um 1400“ oder des „niederländischen Manierismus“ besaß. Es ist zu vermuten, daß diese Annahmen auf einigen Denkfehlern beruhen und daß das vielgeliebte Motto „Kunst dem Volke“ auf einer Portion Denkfaulheit basiert. Wie wäre es, wenn Kunst niemals im heutigen Sinne „volksverbunden“ gewesen wäre? Die These der Volksverbundenheit in der guten, alten Zeit, von der so viele Postulate für die Gegenwart abgeleitet werden, stellt sich bei näherer Betrachtung schlicht als perspektivische Täuschung heraus.

Um 1850 waren es einige wenige Angehörige eines gehobenen Bürgertums, die sich originale Oelgemälde leisten konnten, so wie um 1750 noch der Adel das Mäzenatentum beherrscht hatte, und auch um 1650 war es eine relativ schmale Schicht eines wirtschaftlich florierenden Bürgerstandes in den Niederlanden, welche kunstfördernd und kunstherausfovdernd auftrat genau so wie es um 1550 das reiche Patriziat war, das Kunst als Kunst wertete und nicht als,Andachtsobjekt wie um 1450 oder um 1350 oder um 1250 in der Kathedralenzeit, in der angeblich die Kunst so volksverbunden war, daß ganze Volkskreise mithalfen, die Statuen so hoch aufzustellen, daß ein ästhetisches Verhalten unmöglich war, wie um 1150, wo dieses Verhalten geradezu verpönt war, im Gegensatz zu heute, wo die Pfarrer niemanden aus der Kirche jagen, der sich einem Altar nur der Schönheit halber nähert und nicht, um zu beten.

Das mag manchem als überspitzt formuliert erscheinen, aber man stelle sich die Ausstellung „Das gute Bild für jeden“ um das Jahr 1050 vor oder zu einer Zeit, in der es Sklaven gab. der Parthenonfties in zwölf Meter Höhe den Augen der neugierigen Touristen entrückt war und im Schatten des SäulenUmganges fast überhaupt nicht wahrgenommen werden konnte.

Aus der Vorstellung, daß „früher“ einmal ein inniges Verhältnis des Volkes zu den genialen Leistungen der bildenden Kunst bestanden habe, leitet man dann folgerichtig die These von der „Verständlichkeit“ der Kunst auch für den einfachsten Volksgenossen ab, weil wir schließlich heute den Parthenon-fries aus kurzer Entfernung im Museum betrachten und „verstehen“ können.

Man übersieht hierbei vollends, daß die wirkliche schöpferische Leistung aristokratischen Rang besitzt, daß sie in ihren höchsten Ausprägungen Ausdruck eines originären Geistes ist und daß sie als künstlerisches Phänomen sich primär gar nicht an das Volk gewendet hat. Als künstlerisches Phänomen ist sie aber immer wieder nur von einzelnen entdeckt und anfangs auch gewertet worden.

Von jenem Schlagwort der „Verständlichkeit der Kunst für jedermann“ hat man nun insgeheim die Folgerung abgeleitet, daß auch — umgekehrt — jedermann etwas von Kunst verstehe, dem zu erkennen gegeben ist, daß die Mona Lisa lächelt. Von da rühren heutzutage die kleinen Grotesken des Kulturlebens her, daß Leute, die sich um Politik, Handel und Wirtschaft kümmern, meinen, sie könnten deshalb auch in Sachen der Kunst mitreden. Daß es der Fachleute auf dem Gebiete der Technik oder der Nationalökonomie bedarf, wird stillschweigend angenommen, aber man will nicht einsehen, daß nicht jedermann ein Fachmann auf dem Felde der — wohlgemerkt — alten Kunst sein kann, ein Umstand, um den manche Auktionshäuser und „Kunsthändler“ leben.

Die immer wieder versuchte Bemühung, die Volksverbundenheit der Kunst aus der Geschichte zu belegen, kann uns aber belehren, daß die Forderung „Kunst dem Volk“ oder „Kunst ins Volk“ eine verhältnismäßig sehr junge Erscheinung ist. Man stelle sich nur Görings Ausspruch „Die Kunst muß so ausschauen, daß sie auch der letzte SA-Mann verstehen kann“, etwa zur Zeit Watteaus vor. Diese Forderung stammt aber aus der unmerklich in den letzten Jahrzehnten stattgehabten Sozialisierung unserer Gehirne. Es ist uns heute unangenehm, zu denken, daß ein Arbeiter etwa nicht in den Genuß des Kunsterlebnisses eines Rubens-Gemäldes gelangen könnte. Wir haben ein schlechtes Gewissen, wenn uns bewußt wird, daß unser armer Nachbar keine bemalte Leinwand eines Großen der Kunstgeschichte besitzt, um seine intellektuelle Blöße zu bedecken. Wir schämen uns, wenn wir uns erinnern, daß das kulturelle Hilfswerk hie und da nicht richtig funktioniert. Wir bemühen uns, das Museum der Krankenkasse anzunähern und die Krankenkasse dem Museum.

Die Folge aber ist, daß das Bewußtsein unserer kulturellen Verpflichtung, daß die Forderung, die Sache der Kunst zu fördern, insgeheim dazu dient, unser Denken zu kollektivieren. Dies ist die gefährliche Linterströmung des „sozialistischen Realismus“ und seiner westlichen Spielarten. Aber weder der private Kunstfreund, auch nicht der staatlich angestellte, noch sehr viele unter den Künstlern selbst wehren sich gegen die Tendenz, den schöpferischen Menschen an die Krippe des Kollektivismus zu binden — unter dem Motto „Kunst dem Volk“ Das geht so weit, daß man den anarchischen Ursprungszustand, aus dem auch in gesicherten Zeiten allein Kunst entsteht, lieber mit bohemehafter Armut und Hungerleidertum verwechselt, als daß man die schöpferische Freiheit verteidigt.

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