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Österreichische Komponistenprofile

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Der Begriff „N e u e Kirchenmusik" will weder einschränkend, noch verallgemeinernd gedeutet werden. Er bezeichnet nicht die Neutöner als solche, noch das zeitgenössische Schaffen als solches, sondern vor und über allem andern die sich im Sinne der liturgischen Erneuerung vom Dekorativen und rein Gefühlsmäßigen wieder zum Kultisch-Funktionalen neigende Ausdrucksweise, wie sie im gregorianischen Choral vollendet vorgebildet ist und sich in der altmeisterlichen Polyphonic räumlich auslebt. Damit sind bereits die geistigen und künstlerischen Quellen genannt, von denen sie ihre stärksten Anregungen bezieht. Daß dies nicht im negativen und epigonalen Sinne geschieht, sondern als Impuls zu völlig neuem Gestalten mit allen Mitteln der inzwischen vollzogenen technischen Entwicklung, ist selbstverständlich. Durch alle Vielfalt der Begabungen und ihrer Eigenarten aber zieht sich wie ein roter Faden der gemeinsame Wille zu unmittelbarer kultischer Funktion und der durch diese bedingten Knappheit und Strenge der Form.

Am Anfang der neuen Kirchenmusik stehen zwei Werke grundverschiedener Art und Sprache: Joseph L e c h t h a 1 e r s Missa „Gaudens gaudebo" und die Klosterneuburger Betsingmesse. Auf letzterer basiert die variantenreiche Entwicklung der volksliturgischen Musikformen, auf ersterer dagegen ein neuer Hochamtstiti, der bereits in Lechthalers Spätmesse, der abgeklärten „Rosa mystica", zum reinsten Erlebnis kultischer Musik und persönlichen Stils zugleich wird.

Von der jungen Generation wurde das Er- neuemngswerk Lechthalers mit erfreulicher Sicherheit verstanden. Von Frühwerken abgesehen, hat keiner seinen Stil nachgeahmt, in dem Bewußtsein, daß es ganz und gar nicht um solche Dinge ging, sondern einzig darum, die Kirchenmusik an den Altar, an das Wesentliche ihrer Aufgabe, immer näher heranzuführen. Dies stellte sich sehr bald als eine gleichermaßen kompositorische und erzieherische Aufgabe dar. Beiden Aufgaben sucht der aus dem engsten Lechthaler-Kreis stammende Ernst Tittel in seinem kirchenmusikali- sehen Schaffen gerecht zu werden. Der Verpflichtung aus Lechthalers Erbe mit ebenso großer Einsicht als Begabung aufgeschlossen, schuf Tittel in einer Reibe von Messen Meisterwerke moderner Kirchenmusik, von denen die bedeutendsten die „Missa Mariana" und die „Missa gregoriana" sein dürften, jedenfalls eine scharfe Profilierung seiner Eigenart offenbaren; neben dieser Spitzenlinie aber zeigt Tittel eine andere, volkstümliche Kompositionslinie, die er in den Dienst chorerzieherischer Notwendigkeit stellt, indem er in einer anderen Messenreihe an den Stil der Nacbklassiker anknüpft, mit dem Bestreben, die Chöre unmerklich aus diesem Epigonentum in die neue zeit- und geistbedingte Kirchenmusik hinüberzuleiten. Eine Absicht, die nicht ohne Skepsis beurteilt werden kann, da die in ihr liegende Gefahr des Zurückgleitens nicht übersehen (und nicht überhört) werden kann. Doch ist bei der Begabung Tittels die Synthese seiner beiden Stile zu erwarten, wie sie im „Requiem", einer der würdigsten und schönsten Gebrauchskompositionen der Totenmesse, vorgebildet ist. Erst in dieser Synthese erschiene uns Tittels kompositorische Sendung erfüllt und sein vielseitiges Talent zur Einheit geschlossen.

E ie stärkste Begabung seit Lechthaler und den weitesten Vorstoß über ihn hinaus stellt An ton Heiller dar. Wenn Lechthaler das Choralthema in den Mittelpunkt seiner Polyphonie stellt, um es im liturgischen Sinne gleichsam motivisch zu behandeln, hat bei Heiller das Motiv seine Einzelbedeutung aufgegeben im Zuge einer vom Gregorianischen her so stark bestimmten Erfindung, daß der gesamte Stimmenchor oft als eine ins Mehrstimmige gehobene Gregorianik erscheint. Die innere Motorik wird durch eine fulminante Kontrapunktik erreicht, die gleichsam hinter der liturgischen Funktion wirkt. Das Gefühl des gregorianischen Chorals ersteht selbst dort, wo Heiller nach alten deutschen Weisen gestaltet wie in der Messe über „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort", darin die vier Modi einer Reihentechnik (allerdings keiner Zwölftonreihe) angewandte Form werden. Die tonalen Beziehungen sind nie verlassen, doch von einer Ausweitung und Ausdeutung, wie sie die Kirchenmusik bisher nicht kannte. Von seiner achtstimmigen Choralmotette „Ach, wie nichtig . . ." kann ohne Uebertreibung gesagt werden, daß sie sich Bachscher Tiefenwirkung nähert.

Eine in manchen Zügen Lechthaler verwandte Natur ist Joh. Nep. David, der in seiner „Missa choralis" das VIII. Ordinanum und III. Credo unverändert übernahm und gleichsam in den mehrstimmigen Raum hob, natürlich nicht im Sinne einer Choralbeglei- tu-ng; vielmehr erscheint die Choralweise in allen Stimmen gespiegelt, in Ober- und Untertonika, woraus sich bitonale und polytonale Wirkungen als selbstverständliche Konsequenz ergeben. David hat damit einen neuen Messetyp geschaffen, der den kirchlichen Forderungen von allen Werken der neuen Kirchenmusik am allernächsten zu kommen scheint. Eine gewisse kühle Verhaltenheit des Ausdrucks ist der romantischen „Andachtsmusik“ bewußt entgegengestellt.

Seinem Lehrer im kirchenmusikalischen Schaffen zeitlich vorauseilend, hat Joseph Kronsteiner eine Anzahl von Messen komponiert, darin sich die persönliche Eigenart bruchlos mit dem Chorerzieherischen verbindet, das hier übrigens weniger bewußt erzieht als seiner eigenen Natur entspricht, die vom unkomplizierten Gefühl im Grunde stärker inspiriert ist als vom Konstruktiven her. Mit seinem Bruder Hermann Krönst e i n e r nähern wir uns wieder dem Lech- thaler-Kreis. In seiner lateinischen Kirchenmusik werden die bestimmenden Anregungen Lechthalers auf eine wesentlich vereinfachte Art wirksam. Dennoch kommt seine Musik der

Leichtsingbarkeit im Sinne des Gewohnten keineswegs entgegen, will vielmehr aufgesucht sein. Indes hat Hermann Kronsteiner den größeren Teil seines Schaffens der Volksliturgie zugewendet und hierin auf österreichischem Boden zweifellos das Bedeutendste geleistet.

Ein apartes Künstlerprofil zeichnet sich in dem Schaffen Hans Bauernfeinds ab, der Würde des Ausdrucks mit kultivierter Satzweise und gemäßigt modernem Stil verbindet und im Gegensatz zur Verhaltenheit der beiden Kronsteiner verbindlich wirkt. Die Missa „Salve Regina" stellt den umweglos erreichten Höhepunkt seines bisherigen Schaffens dar, das in der „Marienmesse”, der „Familienmesse" und der „Missa brevis" nicht nur Dokumente seiner Entwicklung, sondern ebenso haltungsvolle, gern gesungene Messen aufweist.

Mit diesen wenigen Skizzen, die nicht viel mehr als Andeutungen sein können und wollen, soll nicht mehr versucht sein, als ein Blick in das vielgestaltige, im Fluß befindliche Leben der neuen Kirchenmusik in Oesterreich. Mit den Namen von einigen der jüngsten Generation: Karl Maria Brandstetter, Anton Pürin- ger, Kurt Lerperger und Erwin Migtgl, von denen Bedeutendes zu erwarten zu sein scheint, soll dieser Blick aus dem Heute ins Morgen weisen.

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