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Pluralismus unvermeidbar

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Dieser stattliche Sammelband hat einen aktuellen Anlaß: er ist Otto Karrer zu dessen 80. Geburtstag gewidmet, „dem frühen Förderer ökumenischer Spiritualität, dem unermüdlichen Mitarbeiter an der biblischen und theologischen Forschung im Dienste der Una Sancta“. Es ehrt die Herausgeber wie ihre 19 Mitarbeiter, daß sie zur Ehrung des Jubilars diese „Zwischenbilanz“ vorlegen: eine gemeinsame, (auch seibst-)kritische Besinnung von ökumenisch gesinnten und arbeitenden Theologen über den gegenwärtigen Stand jenes Weges, auf dem ihnen Karrer vorangeschritten war, worauf der Schlußabschnitt „Leben und Werk“ (481 ff.) noch besonders hinweist.

Diese „Bilanz“ informiert schon durch die bunte Auswahl von Autoren verschiedenster geistiger Herkunft und differenter Intentionalität. Der „Pluralismus“, als effektive Realität im Schoß der Christenheit schon im Neuen Testament bezeugt, seither mehr oder weniger geduldet, in der konfessionellen Epoche der letzten 400 Jahre allenthalben geächtet, im ökumenischen Aufbruch virulent geworden und heute in seiner Existenz als unvermeidbar nicht nur akzeptiert, sondern als außerordentliche Bereicherung verstanden, wird schon in der Anlage dieses Buches sichtbar und wirksam. Neben den (keineswegs grundlos)' sorgenvollen Überlegungen des „heilsgeschichtlichen“ Bibeltheologen Cull- mann hinsichtlich des biblischen Fundamentes der ökumenischen Zukunft (31 ff.) liest sich z. B. der Artikel des Taizebruders Emery „Konfusionismus?“ zunächst wie ein mehr geistreiches Geplauder, das sich jedoch als mutiges Plädoyer für „geistliche Intuition... Vorgriff ... Phantasie“ im Blick auf das „schon geeint“ enthüllt (429). Dem im Tenor, Terminologie und Sachproblematik die Spuren eines langjährigen Engagement verratenden Beitrag von Chavannes über „Evangelische Ka- tholizität“ (269 ff.) steht diejenige eines anderen Protestanten zur Seite, bzw. gegenüber, an dem man die nüchterne, knappe, allem Pathos abholde Sprache der jungen Generation studieren kannmit ihrer Fähigkeit, in systematischer Durchleuchtung die Gegenwartssituation unbeschönigt, aber gerade so auch voll Erwartung, zur Sprache zu bringen: Frieling. Die ökumenische Bewegung und die röm.-kath. Kirche (89 ff.). Anderseits wird die große Spannweite des gegenwärtigen Katholizismus durch zwei Gestalten nahezu exemplarisch versinnbildlicht: Welte führt in fast feierlicher Strenge in eine philosophisch-theologische Denkkultur ein, weiche ihm durch das Mittel einer „heterologen Analogik“ echte Freiheit in der Begegnung erschließt (21 ff.), während Stirnimann, die „Hoffnung“ als „Struktur der Kirche“ ausweisend, wesentlich auf dem Boden der bibel- theologischen Erneuerung steht und vor allem in geschichtlichen Kategorien denkt (247 ff.). Ihm treten wieder die Protestanten Ott (181 ff.) und heuha (165 ff.) mit einem je verschiedenen Geschichtsdenken gegenüber und ergänzen das in entscheidenden Tiefen geführte Grundsatzgespräch. Die bunte Mannigfaltigkeit der Persönlichkeiten, Denkmodelle und Intentionen wird aber wieder kontrastiert durch eine homogene Bewußtseinsstimmung, in der sich das Moment ökumenischer Solidarität unüberhörbar präsentiert. Die Vielfalt der Motive und die Buntheit der Traditionsströme sowie die damit verbundenen Intentionen werden eingefangen und gleichsam kanalisiert durch ein neues Bedenken und Erleben von Geschichte, das in besonderer Weise mit der geschieht*. liehen Situation der Kirche zusammenhängt; der Lutheraner Meinhold hat dies in seinem Beitrag „Kirchengeschichte in ökumenischer Sicht“ (43 ff.) klar herausgearbeitet: „Das Ergebnis dieser ökumenischen, nicht mehr typisch protestantisch oder katholisch orientierten Geschichtsbetrachtung liegt in der veränderten Stellung zur Gegenwart und der heutigen Aufgabe des Christentums", was u. a. darin zum Ausdruck kommen muß, daß „auch der Neuzeit eine andere Wertung" als bisher zuteil wird. Wie in dem schon erwähnten Artikel von Ott angedeutet, ist es das neue Geschichtsbewußtsein der Verantwortlichkeit für alle gegenwärtige und kommende Ge schichte, unter strengem Einschluß der Kirchengeschichte, das jene solidarisierende Homogenität gewirkt, in welcher nach neuen Wegen kirchlichen Miteinanders Ausschau gehalten wird und man sich nicht mehr damit zufrieden gibt, daß eine „Vorsehung“ eben die Kirchen in die Spaltung getrieben hätte. Das ist es letztlich, was — um die Herausgeber noch einmal hervorzuheben — den Calvinisten Leuba nicht bei seiner ehrlichen Bewunderung Karl Barths stehen, sondern nach einer vertief ten Deutung der Copula „und“ fragen läßt (172 ff.) sowie es das ist, was Stirnimann über den verehrten Kirchenlehrer Thomas hinaus nach den geschichtlichen und eschatologischen Perspektiven der „Hoffnung“ zu forschen zwingt (249 ff.). Hier liegen auch die Gründe, warum es als sach- notwendig zu bezeichnen ist, wenn in dem Band ein evangelischer (Beyerhaus, 433 ff.) und ein katholischer (Bühlmann, 453 ff.) Theologe die Problematik einer „Theologie der nichtehrisüichen Religionen“ aufgreift, weil beide mit einer Vielzahl von Christen heute von der Überzeugung erfüllt sind, daß das überlieferte Verhältnis zwischen nichtchristlicher Religion und christlichem Glauben auf Irrwege und in Sackgassen geführt hat und darum nach einer neuen Verhältnisbestimmung gesucht werden muß. Daß hier der Protestant zurückhaltender scheint als der katholische Gesprächspartner, dürfte kein Zufall sein, sondern entspricht weitgehend der allgemeinen Lage.

Den evangelischen Rezensenten beeindruckt nicht zuletzt der Mut zu einem Weg „kleiner Schritte“, der sich über jeden Spalt einer neuen möglichen Öffnung zu einem neuen ökumenischen Weg beglückt zeigt und alle Mühe daran wendet, diesen Spalt zu erweitern. So Böckle (343 ff.) und Stadelmann (335 ff.) in Verantwortung für ökumenische Seelsorge, aber auch auf das Kirchenrecht hinsichtlich des dornigen Problems der Mischehe, Ahlbrecht im Blick auf das nicht minder schwierige Problem der „Kommunionsgemeinschaft“ (297 ff.) und vor allem Mühlen, der sich mit dogmatischer Gründlichkeit der Konzdls- lehre von der „hierarchia veritatum" annimmt und nach der „Bedeutung der Differenz zwischen Zentral- dogmen und Randdogmen für den ökumenischen Dialog“ fragt (191 ff.), (auf die auch Höf er in ihrem mario- logischen Beitrag zu sprechen kommt) (398 ff.). Mühlen will nur die trini- tarischen Grunddogmen als „Wahrheiten in sich selbst“ mit dem Ana- them bleibend verbunden wissen, was zur Folge hätte, daß die päpstliche Infabilität wie die Mariendogmen von 1854 und 1950 als „Randdogmen“ nicht mehr unabdingbare Bedingnis für eine „com- municatio in sacris“ darstellen würde (214 ff.). Hier trifft es sich mit Ahlbrecht, der die bisherige katholische, aber auch spezifisch lutherische Auffassung in Frage stellt, wonach die communicatio in sacris, und speziell die Eucharistiefeier, einen vollen Lehrkonsensus zur Voraussetzung haben müsse. Die Interkommunion als „Mittel auf dem Wege zur korporativen Einigung“ (303), eine calvinistisch-katholische Front hinsichtlich des Abendmahlsverständnisses (305/07), verweisen auf Möglichkeiten eines phantasdevollen Vorgriffes auf eine schon gelebte (jedenfalls lebensmögliche) Gemein- mkeit der Konfessionen, die miteinander auf dem Wege sind.

FREIHEIT IN DER BEGEGNUNG, Zwischenbilanz des ökumenischen Dialoges. Von Jean-Louis Leuba und Heinrich Stirnimann. Verlag Josef Knecht, Frankfurt am Main, und Evangelisches Verlagswerk, Stuttgart, 1969. 510 Seiten, DM 11.80.

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