Schlagobers am Hausdach

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Moderne Architektur gibt es durchaus in Österreich. Häuslbauerträume, Antel, Adlmüller, Hundertwasser und die Monarchie aber genauso.

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Moderne Architektur gibt es durchaus in Österreich. Häuslbauerträume, Antel, Adlmüller, Hundertwasser und die Monarchie aber genauso.

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Viel wird debattiert über Wohnungsbau. Von Finanzierungsmodellen, Förderungsstrategien, und innovativer Architektur ist die Rede. Fast schon amüsiert verfolgt man die zyklisch wiederkehrenden Wellen, wo einmal die Stadterweiterung der Stadterneuerung vorgezogen wird und umgekehrt.

Unabhängig davon, daß in der Realität immer beides gleichzeitig stattgefunden hat und auch stattfinden mußte. Experten debattieren, Architekten konzipieren, Politiker propagieren, Bauträger investieren, nur die Betroffenen selbst, ihre Wünsche Träume und Hoffnungen, kommen derzeit in der Wohnbaudiskussion nicht vor. Die emanzipatorischen Anliegen der Partizipation, in den siebziger Jahren in Wien besonders vom Architekten Ottokar Uhl engagiert propagiert, sind heute von konsumentenfreundlichen Änderungsmöglichkeiten alltäglich assimiliert worden. Und dennoch hat in den letzten Jahren eine schleichende Veränderung am Wiener Wohnungsmarkt stattgefunden. Er hat sich, von den Wünschen und Bedürfnissen her gesehen, europäisiert.

Der "Gemeindebau" marginalisiert sich zu einer fast folkloristischen Anekdote, Stichwort: Kaisermühlen-Blues, im Neubau ist er vom genossenschaftlichen Wohnbau nicht mehr unterscheidbar. Die früher einmal vielfältig gebastelte Schrebergartenidylle wurde durch wiederholte Novellierung zu einem dauerhaften Wohngebiet mit baumeisterlich blöd standardisierten Mini-Villen, die keinem Bedürfnis mehr dienen, sondern bloß noch durch Ausreizen der Bau-Bestimmungen einem bösartigen Reflex gegen "die da oben" folgen.

Das Klischee der einsamen Hofratswitwe, die zum Friedenszins in der Großwohnung im Gründerzeitpalais wohnt, ist hingegen verschwunden. Heute gibt es in Wien elegante, großstädtische Lofts, ausgebaute Dachbödenund einen modernen zeitgenössischen Wohnungsneubau, der jedem internationalen Vergleich standhält. Alle anderen, vom urbanen Lebensgefühl abweichenden, Wohnwünsche aber wurden und werden heute im Umland von Wien erfüllt.

Von Gänserndorf im Norden bis zum amerikanisierten Fortuna-Wohnpark im Süden ziehen sich die Einfamilienhaus-Wüsten deren Leitbild perfekt und professionell in der Blauen Lagune thematisiert und präsentiert wird. Das überwiegend jenseits der Stadtgrenze realisierbare Häuschen im Grünen blendet zwar die dadurch entstehenden Eigenheimwüsteneien aus, realisiert aber doch ein massenhaftes Bedürfnis.

Der Traum vom Häuslbauen wird weitergeträumt und ist nicht auszuräumen. Es ist ein zutiefst österreichisches Bedürfnis. Es reicht vom seligen Schrebergarten, über das historische Foto mit Adolf Loos und Peter Altenberg in der Lobau, zur Siedlerbewegung der Zwischenkriegszeit, und wird heute vornehmlich jenseits der Wiener Stadtgrenzen ausgelebt.

Deshalb gibt es auch ein zutiefst städtisches Begehren nach einem Haus mit Garten. Das kann, Roland Rainers lebenslanger Doktrin folgend, durchaus mit Reihen- und Atriumhäusern erfüllt werden. Nicht jeder will seine eigene Burg Kreuzenstein, und sicher ist hier im letzten Jahrzehnt der programmatischen Stadterweiterung zu wenig dafür auf Wiener Grund und Boden geschehen. Zur Gänze aber wäre damit die fürchterliche Grunddisposition der ostösterreichischen Gesinnung nicht zu befriedigen gewesen.

Es ist ja nur eine Hypothese, aber ich bin überzeugt davon, daß eine bis heute nicht bewältigte Vergangenheit hierorts einen besonderen Hang zu einer dynastischen Vulgarität bestimmt hat.

Nicht bewältigt wurde in diesem kulturellen Zusammenhang nicht nur der Nationalsozialismus, sondern vor allem die Monarchie. Die immer noch monarchischen Räume der heutig Regierenden tragen dazu ebenso bei, wie ein Denkmalamt, das bis vor kurzem das schützenswerte Erbe mit dem Datum 1918 für beendet erklärte.

Das ist der Boden, von dem sich bis heute eine kulturell mehrheitsfähige "Triple-A"-Kultur nährte. Es ist der Geschmacksraum aus Antel-Adlmüller-Adabei, der die kulturellen Standards vorgibt.

Meister100wasser ist dabei nur typisch das touristisch schäumende Schlagobers auf dieser Sacher-Torte. All das schlägt auf das Wohnen und seine Kultur durch.

Auch anderswo in Europa hat man's mehrheitlich gerne gemütlich, verkitscht und vertraut. Aber nirgendwo sonst vollzieht man diese ästhetische Peinlichkeit mit derartiger selbstgefälliger Niedertracht wie in unserer Gegend. Solange ein sogenannt phantastisch-realistischer Maler ein simples Fertighaus bemalen kann, und dieses auch noch einfach so seinen Weg in die Medien findet, ist die kulturelle Schamgrenze nicht hinreichend definiert.

Da denke ich manchmal, mein Gott wo leben wir, wenn wir glauben, so wohnen zu müssen.

Der Autor ist Leiter des Architekturzentrums im Wiener Museumsquartier.

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