Zur Kritik des reaktionären Katholizismus III: heute die ritualistische Perversion der Liturgie. Im Vorfeld des letzten Konklaves stieß ich auf eine Internetseite, auf der mögliche Papstkandidaten während ihrer Zelebrationen beobachtet und klassifiziert wurden. Da hatte einer eine Kniebeuge zu wenig gemacht, ein anderer gar die Hostie zu Boden fallen lassen, ein dritter wurde ob seiner exaktesten Befolgung der Vorschriften und seiner barocken Gewänder gelobt. Auch die Lektüre einschlägiger jüngerer römischer Instruktionen macht nicht wirklich froh: da wimmelt es von Verboten und Vorschriften, von Ängsten, dass Laien zu viel Raum in der Liturgie bekommen, und wird das Volk zur Meldung von liturgischen Abweichungen bei der kirchlichen Obrigkeit aufgerufen.
Wie kann man sich der Liturgie, jenem Ort und jene Zeit, in der sich das Volk Gottes von der Menschenfreundlichkeit Gottes anstecken, formen und zu neuem Handeln inspirieren lässt (Peter Ebenbauer), wie kann man sich diesem verletzlichen Raum der Nähe, ja Hingabe und Solidarität Gottes mit uns, so nähern? So legalistisch, so machtfixiert, so von außen?
Sicher: Der liturgische Raum braucht Ehrfurcht und Respekt, auch vor den alten Formen, schließlich haben sie unsere Väter und Mütter im Glauben gefunden und ihr Leben getragen. Er braucht tatsächlich auch hier so etwas wie "Qualitätssicherung“. Aber so?
Als meine Mutter vor Jahren nach langer Krankheit starb, hat mich nichts mehr getröstet als die Liturgie ihres Requiems und ihrer Beerdigung. Dafür bin ich meiner Kirche und meinem Bruder, der das Requiem leitete, dankbar. Er und viele andere haben den Mut, auf die alten Worte und Zeichen zu vertrauen und zugleich neue Worte und Zeichen für dieses eine Geheimnis der Nähe Gottes zu suchen. Die liturgischen Rechthaber haben damit nichts zu tun.
Der Autor ist katholischer Pastoraltheologe an der Universität Graz
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