Wie in die Luft GEWORFEN

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Der deutsche Schriftsteller Hans Joachim Schädlich, ein Fallensteller verfälschter Sprachmittel, feiert am 8. Oktober seinen 80. Geburtstag.

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Der deutsche Schriftsteller Hans Joachim Schädlich, ein Fallensteller verfälschter Sprachmittel, feiert am 8. Oktober seinen 80. Geburtstag.

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Wie sehr uns Hofnarren abgehen, zeigt die Konjunktur von bizarren Geldmagnaten auf dem Politikparkett. Holen sie bei ihren schrillen Tiraden wie einst Bramarbas nur weit genug aus, ist ihnen der Applaus zahlloser schenkelklopfender Anhänger sicher. Sie sind die Clowns in der Manege der Medien ebenso wie vor dem Thron des Souveräns, wo sie Volkes Stimme unweigerlich nur imitieren.

Wie es Hofnarren früher, in ihrer Abhängigkeit vom feudalen Herrschaftssystem, ergangen ist, kann man anschaulich und detailgenau aus dem Roman "Narrenleben" des deutschen Schriftstellers Hans Joachim Schädlich erfahren. Es ist eine Prosastudie, wie sie typisch geworden ist für den ursprünglich aus der DDR stammenden Autor: spröde, sachlich, die Historie als Folie für die exemplarische Darstellung eines Machtgefüges nutzend.

Collage aus Innen und Außen

Im ersten Teil führt der schmale Band den Leser auf die lebensgeschichtlichen Spuren des aus Altaussee stammenden Narren Joseph Fröhlich (1694-1757), der, ursprünglich Müller und Jahrmarktgaukler, es auf Umwegen über den markgräflichen Hof von Bayreuth bis an den Dresdner Hof Augusts des Starken schafft. Dort darf Fröhlich als "Lustiger Rat" den sächsischen Kurfürsten und polnischen König als einziger duzen, muss ihm aber auf Abruf mit seinen Bizarrerien stets Vergnügen bereiten.

Was für eine harte Arbeit das sein kann, illustriert Schädlich am Beispiel des "Fuchsprellens", bei dem junge Füchse in die Luft geworfen und je nach Laune in Tüchern aufgefangen oder eben fallengelassen werden. Dieselbe Tortur verlangt August von seinem Hofnarren. Zwar wird Fröhlich aufgefangen, doch die Blessuren der Schmach sind schlimmer als die des Körpers. Immerhin, das Monatsgehalt von dreißig Talern hilft. Auf verschiedenen Märkten verdient der Hof-Taschen-Spieler zusätzlich Geld. Er hat ein auskömmliches Dasein.

Aber dank der raffinierten Collagetechnik des Autors, die Innen-und Außenansichten der historischen Figur fugendicht ineinanderschiebt, erfahren wir mehr. Der Siebenjährige Krieg beginnt, der preußische Eroberungsfeldzug trifft Sachsen gänzlich unvorbereitet. Joseph Fröhlich, inzwischen Hausbesitzer in Dresden, befürchtet Einquartierungen. Schließlich muss er nach Warschau entweichen, wo ihn der Tod findet, "der bösartige Raubvogel der Menschen".

Im zweiten Teil erleben wir das Narrenleben aus der Sicht des Tirolers Peter Prosch (1744-1804) aus Ried im Zillertal. Aus ärmlichsten Verhältnissen brachte er es mit schlitzohriger Gutmütigkeit bis an den Hof Maria Theresias, von wo er an den längst verstorbenen Kollegen Fröhlich in Dresden ein treuherziges Narren-Memorandum schreibt, in dem es heißt: "Ich dachte mir: Es ist doch eine harte Sache, mit großen Herrschaften umzugehen. Man zieht immer den Kürzeren." Ein bitteres Resümee für ein "Narrenleben". Kein "Lache Bajazzo".

Verfolgte Wahrheitsschreiber

Immer wieder hat Schädlich in seinen Büchern authentische Lebensläufe dokumentiert, um sie in der ihm eigenen dichterischen Verknappung und Zuspitzung als beispielhaft für geschundene Existenzen vorzuführen. Schon im Prosaerstling "Versuchte Nähe", mit dem er 1977 spektakulär seinen Eintritt in die deutsche Literatur vollzog, findet sich die Geschichte des gelehrten Dichters Nikodemus Frischlin aus dem 16. Jahrhundert, der gegen die Privilegien des Adels aufbegehrte und dafür in den Kerker geworfen wurde. Diesem historischen Stellvertreter der verfolgten Wahrheitsschreiber legte der Autor die Worte in den Mund: "Das ist ja der Poeten Amt, dass sie das Üble mit Bitterkeit verfolgen".

Das Üble, das der vor 80 Jahren, am 8. Oktober 1935, im sächsischen Reichenbach geborene Autor in seinen ersten vier Lebensjahrzehnten erfahren musste, waren zwei deutsche Diktaturen. Als Knabe erlebte er den Zwang der Nazi-Herrschaft, zu der sein frühverstorbener Vater nach anfänglicher Begeisterung eine kritische Distanz gewann. Dann kam der deutsche "Arbeiter- und Bauernstaat" mit der Überwachung und Freiheitsberaubung seiner Bürger, die sich 1961 im Bau der Mauer offenbarte. Nach dessen Untergang vor nunmehr 25 Jahren erhielt Schädlich von der Gauck-Behörde Einsicht in seine Stasi-Akte und musste feststellen, dass er nicht nur durch seinen Bruder, sondern bereits als Schüler bespitzelt wurde. Es wurde vermerkt, dass seine "politische Haltung und gesellschaftliche Mitarbeit undurchsichtig" seien. Erschwerend aus Parteisicht kam hinzu, dass der 18-Jährige sich nach dem Tod Stalins 1953 beharrlich weigerte, in die SED einzutreten. Heimlich hörte er den Westberliner "Feindsender" RIAS, um die Wahrheit über den Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 zu erfahren.

Als promovierter Germanist arbeitete Schädlich an der Ostberliner Akademie der Wissenschaften an sprachwissenschaftlichen Studien. Literarisch zu schreiben begann er spät, erst im August 1968, als die Warschauer Truppen mit ihrem Einmarsch in die Tschechoslowakei dem "Prager Frühling" ein jähes Ende bereiteten. Schädlich bemerkte damals: "Ich bin es leid, über die Sprache zu reflektieren. Ich will mich der Sprache bedienen, um über andere Dinge zu reden." Aus dem Dialektforscher wurde ein Fallensteller verfälschter Sprachmittel. In einem wieder aufgetauchten und nun publizierten Erzählfragment "Catt" über eine Autorin, die sich als Taxifahrerin verdingt, lässt sich ablesen, wie lakonisch verschlüsselt er bereits in den frühen 70er-Jahren seine literarische Flaschenpost abfasste.

"Meister des parabolischen Erzählens"

Schädlich berichtete über "das Leben der andern" noch aus der Verbotszone, lange bevor die Freiheit kam. Mit seiner Geschichtensammlung "Versuchte Nähe" riskierte er 1977 Kopf und Kragen. Nach der West-Veröffentlichung dieser Machtentlarvung in Form sprachkritischer Erzählmedaillons wurden er und seine Familie prompt aus der DDR ausgewiesen. Was er vier Jahre zuvor über den Poeten Frischlin geschrieben hatte, galt nun für ihn: "Fremdling im eigenen Land, zum öffentlichen Widerruf angehalten, doch trotzig, genährt vom Brot des Jammers und Wasser der Bekümmernis, brach er auf in kalter Nacht."

Der Neuanfang im Westen musste erst mühsam erlernt werden. Schädlich machte es sich nicht leicht und auch jenen nicht, die das Modell des ostdeutschen Obrigkeitsstaats schönredeten: "Ich habe einfach keine Lust mehr, mir von Seidenschal- und Champagner-Linken, die nie unter der kommunistischen Diktatur gelebt haben, etwas vorschwärmen zu lassen von den Zukunfts-Vorzügen des Kommunismus", räsonierte er.

"Wahrheit gegen Freund und Feind", Schillers Parole, gilt auch für Schädlich. Einen "Meister parabolischen Erzählens" nennt ihn sein Biograph Theo Buck in seiner profunden Studie treffend. Im Werk des Autors, vor allem auch im Roman "Tallhover" oder in der Erzählung "Die Sache mit B.", blickt man noch einmal in die Innenwelt der DDR, mitten in deren "Bewusstseinsdrangsalierung".

"In der seelischen Wirklichkeit dieses Mannes gibt es keine Grenze zwischen Vergangenheit und Gegenwart", schrieb Schädlich über eine seiner Figuren, ebenfalls einen Vertriebenen. Der Satz trifft auch für den Autor selbst zu.

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