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Viele Bücher sind über den unheilvollen Einfluß des Pseudo-mönchs Rasputin am Zarenhof geschrieben worden. Das meiste ist Kolportage. Die Riographie von Elisabeth Heresch geht das Thema auf Grund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und bisher unbeachteter russischer und deutscher Akten an. Das überraschendste Ergebnis: Rasputin hat, ohne es zu wissen, während des Ersten Weltkrieges für Deutschland gearbeitet.

Der primitive sibirische Rauer, der kaum lesen und schreiben, aber große Teile des Neuen Testaments auswendig konnte, drang mit seinen stechenden Augen und dem Ruf eines frommen Wunderheilers an den Zarenhof vor, als dieser sich in größter Not befand: Der Krieg von 1905 gegen Japan löste eine erste Revolution aus, die Macht des Zaren mußte zugunsten der Volksvertretung (Duma) eingeschränkt werden. Der lange ersehnte Thronfolger kam zur Welt, war aber bluterkrank. Die Veranlagung zu diesem Leiden, die von der Mutter auf den Sohn vererbt wird, breitete sich damals, ausgehend von der britischen Königin Victoria, über Europas Herrscherhäuser aus. Alix von Hessen-Darmstadt hatte den Zaren geheiratet, obwohl sie von der Krankheit wußte. Ihre Sorge um den Sohn und dessen künftige ungeteilte Macht sah in Rasputin den Nothelfer.

Sein Einfluß wuchs beträchtlich, als nach Kriegsausbruch 1914 der Zar meist in seinem Hauptquartier weilte, die Zarin unangemessene Befugnisse bekam und sich von Rasputin ihre Entscheidungen soufflieren ließ. Dadurch wurden an der Spitze von Staat und Kirche loyale Männer gegen fragwürdige Figuren ausgetauscht, „Freunde” von Rasputin. Seine Ausschweifungen und Orgien, die Zarin hielt alles für Verleumdung, waren längst an die Öffentlichkeit gedrungen. Die Staatsautorität wurde durch verhängnisvolle Personalentscheidungen weiter untergraben. In den großen Kreis der

„Freunde” und Bittsteller, die den „frommen Mann” ständig umlagerten, konnten sich leicht Spione einschleichen.

Rasputin erfuhr zuviele Kriegsgeheimnisse und war besonders unter Alkohol viel zu gesprächig. In seinen Kreis gelangten auch jene dunklen Existenzen, die viel Geld damit verdienten, daß sie die beträchtlichen Mittel ins Land schleusten, die die deutsche Führung zur Unterminierung des Zarenreiches bereitstellte. Seit klar war, daß man den Zweifrontenkrieg militärisch nicht gewinnen konnte, setzte die deutsche Oberste Heeresleitung alles daran, Rußland auszuschalten. Hatte man schon vor dem Krieg begonnen, etwa eine ukrainische Unabhängigkeitsbewegung zu unterstützen, so flössen nun Gelder zu den Linksparteien, vor allem zu Lenins Bolschewiki. Als der. Revolutions-Führer in dem berühmten „plombierten” (was er gar nicht war!) Eisenbahnzug nach Rußland heimkehrte, war schon viel zur Vorbereitung der Revolution geschehen.

Rasputin ahnte nicht, daß die Kautschuk-Aktien, mit denen man ihn beschenkte, Teil einer großen Transaktion zugunsten Lenins waren. Er konnte sogar geplante militärische Aktionen vorhersagen und damit Freunden bei der Bodenspekulation in der angegebenen Gegend helfen. Es ist bezeichnend, daß republikanisch gesinnte Politiker jedes Interesse verloren, Rasputin zu beseitigen. Einen besseren Verbündeten konnten sie sich nicht wünschen. Auch als das Mordkomplott zustande kam, dem nach vergeblichen Attentaten Rasputin endlich zum Opfer fiel, hielten sich die Linken heraus.

Es waren russische Patrioten, die - etwas ungeschickt - im Dezember 1916 den „Dämon” zur Strecke brachten. Zunächst schien Rasputin allen Attacken von Gift und Kugel zu widerstehen. Elisabeth Heresch konnte klären, warum. Sie hat die originalen Obduktionsberichte mit Gerichtsmedizinern durchgesprochen. Das Gift hatte durch lange Lagerung an Wirksamkeit verloren und war daher zu schwach dosiert. Die Kugeln aber trafen keine lebenswichtigen Organe. Der Tod ist durch Ertrinken eingetreten, nachdem man ihn durch ein Loch im Eis der Newa versenkt hatte.

Es gibt auch zu denken, daß der wortgewaltige Pazifist allmählich am Krieg Geschmack fand. Eines der Mordkomplotte war für genau jenen 28. Juni 1914 geplant, an dem auch der österreichische Thronfolger erschossen wurde. Offenbar waren der allslawischen Kriegspartei diese beiden Männer im Wege. Als dann aber Rasputin während des Krieges immer mehr Einfluß gewann, als die Restechungsgelder unzähliger Bittsteller seine Taschen füllten, als sich sogar die Frau des Kriegsministers, der wegen schwerer Verfehlungen vor Gericht sollte, dem „Heiligen” hingab und dadurch ihren Mann retten konnte - da war er auch nicht mehr durch viel Geld dazu zu bringen, den Zarenhof zu verlassen. Er konnte die Macht nicht mehr entbehren.

Die Autorin schildert mit vielen Details den Werdegang Rasputins, seine weiten Wallfahrten, seine Begegnung mit sibirischen Schamanen und mit der Sekte der Chylisten, die religiöse Andacht mit sexueller Ausgelassenheit praktizierten. Das war die Lösung für seinen inneren Zwiespalt zwischen Frömmigkeit und Ausschweifung. Die suggestive Wirkung dieses Mannes kann man sich heute, da wieder viele Sektenprediger unterwegs sind, gut vorstellen. Auch zu einem österreichischen Prominentenfreund, der mit Phantastereien führende Politiker Österreichs aufs Glatteis führte und mittlerweile im Kerker sitzt und zu Filmruhm kam, ergeben sich - für unsere Zeit nicht, gerade besonders schmeichelhafte - Parallelen.

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