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Mord der Zarenfamilie: Rasputins Richter

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Zu den außergewöhnlichen Menschen, deren Name in früheren Zeiten Weltbedeutung hatte, gehört die Prinzessin Romanowski, die vor dem ersten Weltkrieg als Grzesinskaja neben der Pawlowa und Kamssawina zu den ersten Tänzerinnen der Erde zählte. Die Prinzessin lebt jetzt zurückgezogen mit ihrem Sohn, dem Fürsten Romanoff — er ist ein entfernter Vetter des Zaren Nikolaus II. — in einer kleinen Villa in Auteuil. Aber trotz ihrer 92 Jahre hat sie erst vor wenigen Jahren ihre Memoiren veröffentlicht und empfängt noch heute an bestimmten Tagen ihre Freunde zum Tee.

Ein wahrer Philosoph mit salomonischer Weisheit ist Fürst Felix Jussupofl im Zenith seines Lebens geworden. Mit nahezu 80 Jahren empfindet er seine historische Rolle bei der Befreiung des Zarenhofs von einem satanischen Mystiker und falschen „Staretz“ wie einen Fluch. Fürst Jussupofl bereut nicht etwa seine Tat vom Dezember 1916, auch wenn er heute zugeben muß, daß sie zu spät erfolgte, um den Lauf der Geschichte zu ändern. Aber die zahllosen Bücher, die seither über ihn und sein Opfer geschrieben wurden, und die Legenden, die sich um das nächtliche Drama im Moika-Palais rankten, lassen ihn nicht zur Ruhe kommen. Bis in die Gegenwart hinein wird er vornehmlich in ereignisarmen Perioden das Opfer einer immer wieder auftauchenden „Jussupoff-Konjunktur“. Dann kommt sein Telephon nicht zur Ruhe, und Pressereporter der ganzen Welt versuchen, sein Haus einzurennen.

Dann hält es Prinzessin Irina — die Ehefrau des Fürsten ist eine Nichte des Zaren Nikolaus II. — in ihrem kleinen Haus unweit der Porte d'Auteuil nicht mehr aus und flüchtete sich für Monate an die Riviera, bis die Welle der Neugier wieder abgeebbt ist. Doch ist es mit der Flucht allein nicht immer getan. Aus reiner Sensationslust und unter Berücksichtigung des melodramatischen Geschmacks der Massen versuchen Filmgesellschaften immer wieder, das Privatleben des Fürsten in die Rasputin-Affäre hineinzuziehen, indem sie seine Tat nicht als einen „idealistischen Akt“, sondern als eine simple Eifersuchts- und Rachehandlung hinstellen.

In solchen Fällen pflegt der Fürst mit unterschiedlichem Erfolg zur Justiz Zuflucht zu nehmen. Erst im vergangenen Herbst verklagte er ein amerikanisches Filmunternehmen zur Zahlung von einer Million Dollar Schadenersatz, verlor jedoch seinen letzten Prozeß.

Herr im Museum

Es geht Jussupoff nicht darum, das Drama von 1916 in Vergessenheit geraten zu lassen, etwa weil er seine damalige Initiative bereute. Er ist nur allergisch gegenüber der Entstellung und Simplifizierung einer historischen Begebenheit aus billigen Motiven wie auch gegenüber dem Auftauchen aller möglichen durch Zeugen und Mitverschwörer beweiskräftig widerlegten Hypothesen. Dazu gehört die Unterstellung, daß er nur als Tarnung einer Tat gedient habe, die in Wirklichkeit vom britischen Geheimdienst begangen worden sei. So hat der Fürst kürzlich einer Reportage der British Broadcasting Company über das verhängnisvolle Wirken und den gewaltsamen Tod Rasputins ausdrücklich in allen Punkten zugestimmt, nachdem ihm die Sendegesellschaft das Drehbuch zur Prüfung überlassen hatte.

Als wir an einem Sonntagvormittag beim selbstgemachten Wodka saßen, war die stille Sackgasse, in der Jussupoffs Haus steht, von mehreren Aufnahmewagen einer ausländischen Fernsehgesellschaft blockiert. Auf der erhöht liegenden steinernen Mauer des Nachbarhauses waren Aufnahmegeräte und Scheinwerfer montiert, die auf den Vorgarten des Fürsten und die Passade seiner Wohnung gerichtet waren. Jussupoff spähte von Zeit zu Zeit halb amüsiert, halb verärgert durch den Vorhang und sagte lachend: „Ich bin wirklich gespannt, wie lange diese Belagerung noch andauert. Sie wollen unbedingt den 'Affen' sehen. Aber ich habe mir fest vorgenommen, ihnen dieses Vergnügen nicht zu bereiten.“ Und wir tranken weiter Wodka und kamen uns selbst wie Verschwörer vor.

Joseph Kessel sagt vom Fürsten Felix Jussupoff, daß er fraglos die außergewöhnlichste Erscheinung unter den illustren russischen Emigranten von Paris sei. Und wir haben ihn noch in einer Periode seines Exils gekannt, als gutes Aussehen, als unvergleichlich galt, die phantastische Höhe seines Vermögens in Rußland, die alle Besitztümer des Zaren in den Schatten stellte, den Zeitgenossen gegenwärtig war und man überall von seiner Herkunft sprach, die auf mongolische Khans zurückgeht, die einst Tamer-lan gedient hatten. .

Inzwischen sind Jahrzehnte vergangen. Heute ist Fürst Jussupoff ein alter Mann, der schlecht sieht und sich nur langsam, mit gemessener Würde bewegt. Das märchenhafte Vermögen, die Schätze und Juwelenberge von einst, die die Sowjets längst ausgegraben und in aller Welt veräußert haben? Er lächelt heute über die irdischen Güter. „Eitelkeit der Eitelkeiten“ sagt er und scheint sich vom Glanz der Vergangenheit, den er in seinem mehrbändigen Memoirenwerk vor vielen Jahren beschrieben hat, distanzieren zu wollen.

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