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Anonyme Helden

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SIE WÄHLEN IHREN KOMMANDANTEN SELBST. Und gehorchen ihm dann blindlings. Bei ihnen stehen Disziplin und Demokratie in keinem Widerspruch. Bei ihnen, den Männern von der freiwilligen Feuerwehr.

Überall in Österreich. Überall, wo es keine Berufsfeuerwehr gibt, riskieren sie ehrenamtlich ihr Leben. Allerdings, in Niederösterreich sind nun längst fällige gesetzliche Änderungen geplant, die dem Vernehmen nach in der vorliegenden Form die Bewegungsfreiheit der Feuerwehren allzusehr einzuschränken drohen.

DIE FREIWILLIGEN FEUERWEHRMÄNNER sind ein lebender Beweis dafür, daß Drill nicht seelenlos sein muß. Daß ein Mann auch in lebensgefährlichen Situationen freiwillig gehorchen kann.

Sie stecken zwar in Uniformen, aber so mancher erlaubt sich in Haltung und Adjustierung persönliche Abweichungen. Sie hören zwar auf Kommandoworte wie „Marsch!“ oder „Halt!“, aber der totale Gleichklang der Bewegungen, dieses stolze Produkt unermüdlichen militärischen Drills, steht bei ihnen nicht hoch im Kurs. Wenn sie bei lokalen Feierlichkeiten oder zur Entgegennahme sauer verdienter Auszeichnungen ausrücken, bieten sie ein recht ziviles Bild.

Sie sind Soldaten des Friedens. Soldaten, von denen man hoffen darf, daß es sie immer geben wird. Wie Soldaten des Krieges folgen sie blind jedem Befehl. Stürmen in brennende Gebäude, ohne zu fragen, ob das in Flammen stehende Strohdach bereits abzurutschen, ob der Dachstuhl jeden Augenblick einzustürzen droht, ob sie eine Rauchgasvergiftung riskieren. Sie verlassen sich voll und ganz auf das Urteilsvermögen ihres in geheimer Wahl demokratisch gewählten Vorgesetzten. Er muß wissen, was er verlangen darf, was er verlangen muß.

JEDER MANN WEISS IM SCHLAF, daß man beim Erklettern einer Leiter mit dem rechten Fuß und der linken Hand beginnt, um die Schwingungen zu dämpfen. Daß er seinen Körper eng an die Leiter anschmiegen, daß er den Schlauch zwischen die Beine nehmen und das Mundstück über die rechte Schulter hängen muß, er weiß im Schlaf, daß es gefährlich ist, nicht die Holme der Leiter, sondern deren Sprossen anzufassen, und „im Schlaf“, das ist hier absolut wörtlich aufzufassen.

Denn der freiwillige Feuerwehrmann wird oft genug von der Alarmsirene aus dem tiefsten Schlummer gerissen und stürzt schlaftrunken, aber innerhalb von Sekunden adjustiert, zum Löschfahrzeug. Erfahrene Kommandanten fürchten nichts so sehr wie einen Brand gleich um die Ecke. Eine Ausfahrt in den Nachbarort ist eine Kleinigkeit dagegen. Da hat man ein paar Minuten Zeit, sich innerlich auf das Kommende vorzubereiten. Der Gedanke, sechzig Sekunden nach dem Sprung aus dem Bett bereits die Lage beurteilen und Entscheidungen fällen zu müssen, von denen nicht nur Millionenwerte, sondern auch Menschenleben abhängen können, läßt selbst dem besten Feuerwehrmann die Knie zittern.

Und Filme, in denen Feuerwehrleute Vorkommen, die im Nachthemd zum Fahrzeug laufen und mit undichten Schläuchen, die nach allen Seiten, nur nicht nach vorne spritzen, auf das Feuer losgehen, solche Filme findet er ' absolut nicht komisch.

ER IST GEPRÜFTER SPRENGMEISTER oder Spezialist für Strahlenschutz, denn seit in immer mehr Fabriken mit Isotopen gearbeitet wird, gibt es auch mit der

Strahlengefahr vertraute Männer in den Reihen der freiwilligen Feuerwehr. Ein guter Feuerwehrmann kann mit der Hochdruckspritze ebensogut umgehen wie mit der Seilwinde, mit der er einen umgestürzten Traktor wieder auf die Räder stellt. Wenn seine Ortschaft an der Donau liegt, hat er möglicherweise in der Niederösterreichischen Landes-Feuerwehrschule in Tulln in einem Sonderlehrgang alle Finessen der Wasserrettung kennengelernt.

Wenn die Feuerwehr, der er angehört, Pech hat, ist sie vielleicht für ein Stück Autobahn zuständig. Dann muß sie nicht nur zu brennenden Scheunen und Wohnhäusern, sondern möglicherweise auch zu brennenden Fahrzeugen äusrücken. Selbstverständlich, wie immer, kostenlos.

Wasser, wird da mancher sagen, kostet ja nichts. Und der freiwillige Feuerwehrmann bekommt ja nicht einmal seinen Verdienstentgang ersetzt. Trotzdem lautet ein geflügeltes Wort der Feuerwehrleute: „Helfen ist teuer!“

Helfen kann sogar sehr teuer sein. Da ist zum Beispiel ein Lastwagenzug in Brand geraten. Der Lenker ist im Führerhaus eingeklemmt. Um ihn zu retten, müssen die Flammen schnellstens erstickt werden. Wasser genügt da nicht, aber zum Glück ist lie Feuerwehr mit einem Trocken- öschgerät ausgerüstet. Innerhalb i/on Sekunden wägt der Kommandant Kosten und Risiko ab und entschließt sich, auf Nummer Sicher zu liehen. Er ordnet einen sogenannten .Pulverschlag“ an, Treibgas preßt innerhalb von kürzester Zeit 250 Kilogramm Löschpulver aus dem kleinen, roten, kesselförmigen Anhänger. Auf die gleiche Weise löscht man auf Flughäfen brennende Maschinen. Die Flammen sinken zusammen, der Fahrer wird aus seiner Kabine befreit.

Ob die Versicherung bereit ist, die 250 Kilogramm Löschpulver zu bezahlen, ist eine große Frage. Nach der heutigen Gesetzeslage kann man sie nicht dazu zwingen. Und 250 Kilogramm Löschpulver kosten nun einmal 10.000 Schilling.

DIE FEUERWEHR ALS TRINK- UND SANGESFREUDIGER MÄNNERVEREIN existiert heute nur noch in drittklassigen Romanen und billigen Lustspielfilmen. Früher mag es da und dort nicht besonders ernst zugegangen sein. Heute kann sich auch der kleinste Ort keine solche Lustspielfeuerwehr mehr leisten. Natürlich können sich arme Gemeinden kein modernes Löschfahrzeug halten, sondern nur das absolute Minimum, das aus 15 Mann und einer auf einem Anhänger montier ten, vom Traktor gezogenen Motorspritze besteht. Gerade in den kritischen ersten Minuten eines Brandes, zwischen dem Alarm und dem Eintreffen der Verstärkung aus den benachbarten Dörfern, kann man auch mit einer so kleinen Ausrüstung sehr viel retten.

Nicht umsonst lernt ja der angehende Feuerwehrmann mit 15 oder 16 Jahren: So schnell wie möglich die erste Schlauchleitung legen! Alle Kräfte darauf konzentrieren, daß sie sofort in Betrieb gesetzt wird! Erst dann weitere Schlauchleitungen auslegen! Es ist falsch, um einer wirksameren Brandbekämpfung willen deren Beginn auch nur um wenige Minuten hinauszuzögern.

ES GENÜGT NICHT, ALL DAS ZU wissen. Der freiwillige Feuerwehrmann hat im Ernstfall keine Zeit, zu überlegen, sich des Gelernten zu besinnen. Es muß ihm in Fleisch und Blut übergegangen sein. Richtiges Verhalten muß zum Reflex geworden sein.

Daher muß er nicht nur lernen und noch einmal lernen, sondern auch üben und noch einmal üben.

Auf jede Stunde, die die freiwilligen Feuerwehrmänner im Einsatz stehen, um einen Brand zu löschen, einen Ertrunkenen zu bergen, einen überschwemmten' Keller auszupumpen und so weiter und so fort, kommen im Durchschnitt zehn Übungsstunden. Im Jahr 1964, das in dieser Hinsicht ein durchschnittliches Jahr war, wurden von den freiwilligen Feuerwehrmännern Niederösterreichs 220.000 unbezahlte Arbeitsstunden geleistet. Das bedeutet knapp viereinhalb Stunden pro Mann. Dazu aber das Zehnfache an Übungszeit.

Überschwemmungen bedeuten lebensgefährliche Einsätze. Und oft gleich zwei oder drei verlorene Arbeitstage. Nicht jeder Unternehmer bezahlt diese verlorene Zeit und niemand kann ihn dazu zwingen, doch keiner zögert, die Ortsfeuerwehr zu rufen, wenn er sie braucht.

DIE FINANZIELLE LAGE der freiwilligen Feuerwehr ist meistens alles andere als schön. Die tatsächlichen Löschkosten sind gering, Pulverschläge werden selten gebraucht, und der Mut der 49.000 aktiven Feuerwehrmänner und der

11.000 Reservisten kostet genau so viel wie ihre Arbeitskraft, nämlich nichts. Doch der Übungsbetrieb und das Stehen in der Garage setzt den Geräten mehr zu als die eigentlichen Einsätze. Durchschnittliche Lebensdauer der Fahrzeuge: zehn Jahre. Niederösterreich gewährt für Neuanschaffungen eine Subvention von 20 bis 25 Prozent.

Allein für die Erneuerung der Schläuche 800.000 Schilling im Jahr. Die 1800 selbständigen Ortsfeuerwehren und die 118 nach dem gleichen Prinzip organisierten Betriebsfeuerwehren des Landes besitzen insgesamt 200 Tanklöschfahrzeuge,

also müssen jährlich 20 neue gekauft werden — macht zwei Millionen Schilling für die Subventionen. 700 leichte Löschfahrzeuge, 70 Neuanschaffungen im Jahr — weitere 2,8 Millionen Subvention. Der Betrieb der Landesfeuerwehrschule in Tulln, der größten in Österreich, kostet weitere zwei Millionen.

Allerdings bringt die Feuerschutzsteuer jährlich zwölf Millionen Schilling ein, aber da es in Österreich keine Zweckbindung für Steuern gibt, werden nur neun Millionen wirklich für die Feuerwehren ausgegeben. Der Rest verschwindet im großen Topf. Budgetäre Schwierigkeiten lassen Subventionsrückstände von jeweils eineinhalb bis zwei Jahren entstehen.

DOCH AN SOLCHE DINGE

DENKT ER NICHT, der Feuerwehrmann, wenn er am Sonntag um sieben Uhr früh zur Übung geht. Er denkt daran, ob seine Gruppe nächstens das silberne oder das bronzene Feuerwehrleistungsabzeichen erringen wird oder nicht. Entweder bekommen es alle oder bekommt es keiner. Löschen ist nun einmal

Teamarbeit. Und jede Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied.

Die Löschgruppe besteht normalerweise aus neun Mann. Einem Kommandanten, einem Maschinisten, der die Pumpe bedient und das Fahrzeug steuert, einem Melder und sechs Feuerwehrmännern, die jeweils zu zweit vorgehen. Zwei bilden den Angriffstrupp, zwei den Wassertrupp, zwei den Schlauchtrupp, und jeder

Handgriff ist in der Freizeit tausendmal geübt.

Die Zusammensetzung wechselt von Fall zu Fall, denn nicht jeder ist jedesmal zur Stelle. Wer da ist, springt auf das Fahrzeug. Der Feuerwehrmann steht jedesmal neben einem anderen Kameraden.

Daher: silbernes Leistungsabzeichen für die Mitglieder von Gruppen, die in einer vorher festgelegten Aufstellung zum Wettbewerb antre- ten. Goldenes Leistungsabzeichen, wenn die einzelnen Tätigkeiten unmittelbar vor dem Wettkampf ausgelost werden.

Das Goldene Abzeichen wird für besondere Einzelleistungen verliehen, und wer es trägt, ist nicht nur ein guter Feuerwehrmann, sondern auch ein Leistungssportler. Wer es erringen will, muß nicht nur eine lange Folge kniffliger Fragen beantworten, sondern auch körperliche Hochform beweisen.

Der Hindernislauf zum Beispiel ist eigens nach den Erfordernissen der Brandbekämpfung ausgetüftelt: Überklettern von Planken, Überspringen von Gräben, Balancieren auf Schwebebalken, Kriechen durch Betonröhren und über Lattenrosten. Laufen mit dem Schlauch. Und so fort.

Ebenso lustig — für die Zuschauer — ist das Zielspritzen gegen eine mit Löchern versehene Bretterwand. Hinter den Brettern sind Kübel aufgehängt, und es wird genau gemessen, wieviel Wasser der Kandidat durch die Löcher in den Kübel befördert hat.

Wenn er danebenspritzt, lachen die Leute, und sie lachen mit Recht

— geht der Wasserstrahl im Ernstfall zu oft daneben, ist es weniger lustig. Im Ernstfall hängt Rettung oder Vernichtung einer Scheune, einer Stallung, eines Wohnhauses von der Geschicklichkeit des Angriffstrupps ab.

DIESE AUSBILDUNG KOSTET GELD. Doch im Jahre 1964 verursachten 8665 Brände in Österreich einen Schaden von 415 Millionen Schilling. 57 Menschen kamen ums Leben, darunter ein Feuerwehrmann. 402 wurden verletzt — darunter 199 Männer von der Feuerwehr. Von der Berufsfeuerwehr in den Städten und von der freiwilligen Feuerwehr auf dem Land.

Dort gibt es einfach keine andere Vorkehrung gegen den „roten Hahn" als den ehrenamtlichen Einsatz.

Das Ansehen, das ein Mitglied der Ortsfeuerwehr genießt, und das Recht, sich „freiwilliger Feuerwehrmann“ nennen zu dürfen, ist sein einziger Lohn.

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