6643720-1958_11_06.jpg
Digital In Arbeit

Der unverwüstliche Lauro

Werbung
Werbung
Werbung

Wahrscheinlich hat der Großreeder, der Ende 1957 als Oberbürgermeister von Neapel zurückgetretene Achille Lauro, unrecht, wenn er dem christlich-demokratischen Innenminister Tam-broni vorwirft, er habe sich für die Enthüllungen über die Verwaltungstätigkeit und die Verschleuderung enormer, vom Staat zur Verfügung gestellter Gelder (53 Milliarden Lire) eigens die Zeit vor den Wahlen ausgesucht. Denn nicht nur war die Verschwendungssucht Lauros und seiner nicht gerade mit Umsicht ausgesuchten Mitarbeiter in der Neapeler Stadtverwaltung seit langem in der Oeffentlichkeit bekannt und schrie geradezu nach Abhilfe, sondern die kraft gesetzlicher Bestimmung dem Staat automatisch auferlegte Untersuchung und Abstellung der Mißwirtschaft waren längst im Gange, ja, die Auflösung des Stadtrates und die Abberufung Lauros standen bei seiner Niederlegung des Bürgermeistermandats unmittelbar bevor. In dem die Anordnung des zuständigen Innenministeriums erläuternden Begleittext heißt es u. a.: „Zum Schutz der fundamentalen Interessen der Stadt Neapel erweist sich nunmehr die Ergreifung der äußersten Maßnahme, der Auflösung der Stadtverwaltung, als unaufschiebbar.“

Ein eigens von der Zentralregierung in Rom eingesetzter Kommissär hütet nun die Interessen des Staates, Neapels und vor allem der Bewohner dieser Millionenstadt, die wegen der Jeeren Kassen der Kommunalverwaltung, das heißt wegen ihrer momentan und künftig stän'dig drohenden Zahlungsunfähigkeit schwer beeinträchtigt werden.

Für den Staat also war es höchste Zeit, einzugreifen. Ja, die Zahl derjenigen Pressestimmen, welche die staatliche Intervention schon vor Jahren gewünscht hätten, um die heutige Einbuße an Ansehen der drittgrößten Stadt Italiens zu verhindern, wiegen bei weitem über.

Der „Fall Lauro“, seit langem im Werden, ist nun das Tagesgespräch in ganz Italien. Er wird es noch lange sein. Denn die gegen einzelne schlecht beratene Stadtväter erhobenen Anschuldigungen, in denen unverblümt von „Amtsunterschleifen“ die Rede ist, dürften, nachdem die Tatsachen der breitesten Oeffentlichkeit dargelegt wurden, diese in ihren Folgewirkungen noch lange beschäftigen.

Gegenwärtig richtet sich das allgemeine Interesse auf einen einzigen Mann, eben auf den unermüdlichen „Commandante“, wie der größte Privatreeder Italiens in Neapel allgemein genannt wird. Die Wochenzeitung „II Punto“ irrte wohl, als sie in ihrer letzten Nummer sehr anzüglich von dem bevorstehenden „Schiffbruch“ des „maßlos ehrgeizigen, betriebsamen Mannes“ sprach — und unrecht hatten auch jene, die glaubten, der Siebziger werde nun, von Scham übermannt, in der Versenkung verschwinden. Die so schreiben, unterschätzen ihn arg. Der Tag und Nacht mit der Sonnenbrille bewehrte Mann, gerad- und hochgewachsen, gesund und robust, und deshalb gegen Strapazen und Aufregungen gefeit, der an einem der letzten Samstage mit seinem Luxuswagen nach Rom fuhr, abends, selbst den Wagen steuernd, nach Neapel zurückreiste, um Sonntag in aller Frühe eine Pressekonferenz abzuhalten, der dann wieder nordwärts in Richtung Caserta nach Maddaloni raste, stets von einem Troß von Mitläufern verfolgt, und der dort eine flammende Verteidigungs- und Angriffsrede hielt, um dann mittags wieder in Neapel zu sein, wo er, der eifrige Fußballsportler, im Stadion des Vomero weithin sichtbar am Rand des Spielplatzes auf seinem Schemel saß, ist nicht kleinzukriegen. Denn am Tage darauf war er wieder in Rom, wo er sich morgens mit den Behörden herumschlug und nachmittags im Grand Hotel den Journalisten der Hauptstadt den „Fall Lauro“ auf seine Art vortrug.

Der „Commandante“ war körperlich und geistig frisch. Kampfesfreude und Siegeszuversicht beseelten ihn wie stets. Siegeszuversicht, just zum Zeitpunkt seiner Niederlage in der Kommune in Neapel? Deren Folgen er für sich und seine ehemaligen Beigeordneten noch gar nicht absehen kann?

Aber nein! — Daran denkt er gar nicht mehr. Die Jahre, wo er Oberhaupt der süSichen Metropole war und mit reichlich zur Verfügung gestellten Staatsgeldern die Stadt verschönerte und dem modernen Verkehr erschloß, wo er Schulen, Waisenhäuser, Kleinleutewohnungen und vieles andere baute, sind vorüber, wie die Zeit vorüber ist, wo er die „Flotta Lauro“ gleichsam aus dem Boden zu stampfen verstand. Der vorrückende Siebziger schlägt sich, wie stets bisher, die Vergangenheit aus dem Kopf und lebt nun nur der Zukunft.

Die Zukunft aber lautet für ihn, den Menschenfänger: Eroberung Süd- und Inselitaliens für seine Partei, den Partito Monarchico Popolare. Wie er als Oberbürgermeister von Neapel die Masse der Besitzlosen, angefangen bei den „Lazzaröni“, für sich gewann, so rechnet er mit einem Großteil der rund 18 Millionen Süd- und Inselitaliener. Eine Probe hat er im vergangenen Sommer in Sardinien gemacht, wo er mit vielen Reden und noch mehr Geschenken an die Armen fast zehn Prozent der Stimmen seiner Partei zuführte, eine unerwartet hohe Zahl! Laurö weiß, daß erst recht die Nachkommen des ehemaligen Bourbonenreiches in Neapel-Sizilien königstreue Traditionen von Generation zu Generation fortpflanzen und daß deshalb seine Partei eine große Anziehungskraft ausübt. Dabei weiß er ganz genau, daß der Traum der Monarchisten, wieder ein Königreich Italien zu erleben, kaum in Erfüllung gehen dürfte. Aber er weiß, daß gerade die Süditaliener Ideale brauchen, daß sie, wie die Mißerfolge des Kommunismus in den südlichen Regionen erwiesen haben, einer volksnahen Partei, welche die Wiederherstellung der Monarchie anstrebt, großes Vertrauen schenken.

In Maddelone bei Caserta, wo Lauro sprach, hat er den eigentlichen Wahlkampf eröffnet. Das Volk, von weither gekommen, jubelte ihm zu. Alle seine Anhänger sind vom durchschlagenden Erfolg überzeugt. Die Frage ist nur, ob das von Lauro vergessene Fiasko der Stadtverwaltung von Neapel ihm keinen Strich durch die Rechnung macht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung