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Die exhumierte Leiche

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Genau vier Standen und 20 Minuten dauerte der vorletzte Akt im sogenannten Bauskandal. Schauplatz war das Parlament, wo am 19. November in der 155. Sitzung des Nationalrates die Berichte der Bundesregierung und des Bautenministers zu den „Vorfällen in der Bauwirtschaft“ debattiert wurden. Die Sozialisten hatten dazu außerdem noch einen Minderheitsbericht beigesteuert. Hochgespannte Erwartungen wurden indessen enttäuscht: Zwar bemühten sich die Oppositionsredner redlich, aus der eher abgestandenen Sache politisches Kapital zu schlagen, doch scheiterte dieser Versuch an den Tatsachen.

Denn was sich im Spätherbst 1966 einer entsetzten Öffentlichkeit als abgrundtiefer Skandal aufzutun schien, hat sich im Laufe der Jahre für Wirtschaftspolizei und Justizverwaltung zur nicht mehr abzuleugnenden „Pleite“ entwickelt. Genau vor drei Jahren wurde die Bevölkerung monatelang von keineswegs zurückhaltenden Untersu- chungsbeamten mit immer neuen Moritaten aus Bauwirtschaft und Bauverwaltung überschüttet, die man aufgedeckt haben wollte. Verhaftungswellen und Hausdurchsuchungsaktionen erfaßten nahezu alles, was mit dem Bauwesen zu tun hatte.

Inzwischen sind die Gerüchte von dreistelligen Millionenbeträgen, die Beamte kassiert haben sollten, längst einem betretenen Schweigen gewichen. Denn die Bilanz nach dreijährigen Untersuchungen ist für die Untensuchungsbehörden eher mager. Immerhin hatte man 825 Personen — durchwegs angesehene und unbescholtene Bürger — in Untersuchung gezogen, ihre Namen und angeblichen Straftaten der Öffentlichkeit preisgegeben. Ansehen und Ruf dieser Menschen war damit schwer geschädigt. Denn nur bei fünf Prozent (!) der in diese Affäre hineingezogenen Personen reichten die Verdachtsmomente überhaupt aus, um eine Anklage gegen sie zu erheben! Hingegen mußten in 93 Prozent aller Fälle die Erhebungen mangels konkreter Anhaltspunkte eingestellt werden.

Fast zur gleichen Zeit, da einige Abgeordnete im Parlament diesen Fakten zum Trotz aus dieser unrühmlichen Angelegenheit doch noch parteipolitisches Kapital herauszuschinden trachteten, ging im Schwurgerichtssaal von Innsbruck mit dem „Seidl-Prozeß“ auch der letzte Akt dieser Affäre in Szene. Und gerade dort zeigte sich bei der Behandlung eines einzigen Prozeßfaktums, wie die Erhebungen geführt worden waren. Da hatte die Wirtschaftspoli zei bei einem Bauunternehmen einen Rechnungsbeleg über 5000 Schilling gefunden, der mit „Seidl“ gezeichnet war und daraus geschlossen, daß gleichnamiger Sektionschef sohin der Bestechlichkeit überführt sei. Nun aber mußte sich der Staatsanwalt im Innsbrucker Prozeß vom zuständigen Firmenvertreter sagen lassen, daß es sich beim Quittieret dieses Beleges um einen Firmenangestellten gehandelt habe, der zufälligerweise ebenfalls Seidl heiße...

Des Pudels Kem getroffen hat in dem vier Stunden und 20 Minuten andauernden Geplänkel im Parlament der Abgeordnete Dr. Kohl- maier, der der Opposition vorwarf, sie habe eine politische Leiche exhumiert, um sie nun im Spukschloß der Koalitionsära beizusetzen.

Zum Opfer dieser Parlamentsdebatte wurde schließlich der frühere Staatssekretär Weikhart, der 3549 Tage im Handelsministerium für die SPÖ den „Aufpasser“ gepielt hatte und von diesen „Vorfällen" in all den Jahren nichts bemerkt hatte.

Weinerlich beklagte sich Weikhart über diese „Heckenschützenart“ und beteuerte, man habe ihn im Handelsministerium „von allem“ fern gehalten.

Vom Bautenminister Kotzina wurde schließlich der Abgeordnete van Ton-

gel attackiert, der den Schadensfall an der 4. Donaubrücke mit Spott angegriffen hatte. Ein solches Malheur sollte kein Anlaß sein, meinte der Minister, eine in der ganzen Welt angesehene Baufirma zu diskreditieren.

Dieser Satz steht aber gleichsam für den gesamten sogenannten Bauskandal, der einer Seifenblase gleicht. Geblieben ist freilich ein zwei Jahre dauernder Rückschlag in der bauwirtschaftiichen Entwicklung. Der Schaden geht zu Lasten der gesamten Volkswirtschaft.

Mit der Verkündung des Urteils im „Seidl-Prozeß“ wird am 2. Dezember auch das letzte Kapitel dieser Affäre geschlossen.

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