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Die Geschichte des Landes Tirol

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1. Band, Großoktav, 824 Seiten, mit 1 Karte. Tyrolia-Verlag, Innsbruck-Wien-München 1955. Ln. 196 S

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1. Band, Großoktav, 824 Seiten, mit 1 Karte. Tyrolia-Verlag, Innsbruck-Wien-München 1955. Ln. 196 S

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Die Landesgeschichte hatte für Tirol schon Jahrhunderte vor der jetzigen Zerreißung der historischen und politischen Einheit im Bewußtsein seiner Bevölkerung und ihrer im Verlaufe der Zeiten ausgeprägten Gemeinschaft mehr als in anderen Ländern bedeutet. Das geschichtliche Denken und Fühlen, die Einsicht in das Eigenwesen und die Freude an der Eigenart kamen in Sprache und Kleid, in Brauch, Bild Und Lied, im politischen Leben und in der Landesverteidigung schon seit vielen Jahrhunderten so vielfältig und kraftvoll zum Ausdruck, daß die Anrainer manchmal dadurch zu kurz kamen und tirolerisch oft alpenländisch und eigenständig gleichgesetzt wurde. Es ist auch kein Zufall, daß gerade die Innsbrucker Universität und mittelbar das dortige Staatsarchiv und die Staatsbibliothek so viele und bedeutsame Historiker und Bibliographen erlebt und fortgebildet haben, nicht zuletzt für Wien und Oesterreich überhaupt. Einer der unermüdlichsten vielseitigsten Historiker dieses Landes wurde Hofrat Dr. Otto Stolz, der frühere Innsbrucker Staatsarchivdirektor und Professor. Er kann auf ein fünfzigjähriges Wirken und Schaffen zurückblicken. Dieses wurde zur Vollendung seines 70. Lebensjahres in einer geradezu monumentalen Festschrift (1951) herausgehoben. Seine auf zwei Bände bemessene Geschichte des Landes Tirol erweist sich vor allem als die eindrucksvollste Zusammenfassung seiner vielseitigen Studien und Veröffentlichungen im Bereiche der Verfassungs-, Verwaltungs-, Rechts-, Wirtschaftsund am Rande auch der Kulturgeschichte Tirols auf breiter und praktischer Grundlage. Stolz war nämlich dem Lande mehr und mehr als Fachmann in den Ereignissen der letzten Jahrzehnte, vorab durch sein vielbändiges Werk über die „Ausbreitung des Deutschtums in Südtirol im Lichte der Urkunden“ und durch seine Rechtsgeschichte des Bauernstandes getreulich zur Seite gestanden und hat nochmals, wohl als letzter, einen universellen Blick und eine starke Gestaltungskraft für eine einheitliche und umfassende Landesgeschichte bewahrt.

Stolz erfaßt und gliedert die Geschichte des Landes dementsprechend weitausgreifend und vermerkt auch die bisherige Anteilnahme und Forschungsarbeit in weitem Ausmaße, so daß die beiden Bände nicht nur einer einmaligen und fortlaufenden

Lektüre und dem Lehrgebrauch, sondern auch dem Nachschlagen nach besonderen Fragen und Gesichtspunkten entsprechen. Stolz erweist sich auch in seinem Abschlußwerk als unentwegter Forscher, als Systematiker und als Lehrer, wie sich schon aus seiner Einführung in die Grundbegriffe und Ziele der Landesgeschichte ergibt. Eingehend kennzeichnet er die bisherige wissenschaftliche Forschung und geht erst dann auf den geschichtlichen Werdegang Tirols als eines eigenen Landes und Volkes und auf dessen politische Geschichte in zeitlicher Folge vom Altertum bis zur Gegenwart ein. Soweit der Inhalt seines ersten, 824 Seiten starken Bandes. Der zweite Band wird die Geschichte der Verfassung, der Verwaltung, der Wirtschaft und auch der geistigen Kultur umfassen.

Im allgemeinen zog Stolz sowohl die Archivbestände wie auch die reiche, oft sehr zerstreute Literatur bis 1953 in einem bisher unerreichten Um-, fange heran, was um so mehr hervorzuheben ist, als tirolische Bibliographien nur in Bruchstücken bestehen. In Einzelheiten trug er sogar noch neuere Veröffentlichungen nach, wodurch freilich besonders in seinen Autorenlisten einzelne Unbilligkeiten zustande kamen. Doch ist ihm auch einiges Aeltere, vorab aus Hilfswissenschaften, entgangen, was in seinem zweiten Bande nachgetragen werden dürfte, so in Nachschlagewerken ausländischer Herkunft oder in Fachblättern abseits der engeren Geschichtsschreibung, wie im Verfasserlexikon „Die deutsche Literatur des Mittelalters“ oder in Periodiken über Handschriften, Kalender, Buch- und Zeitungswesen.

Die meistgenannten Bände „Oesterreichische Geschichtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstel-limgen“ von Prof. Dr. Nikolaus Grass und andere „Schlern-Schriften“, etliche Bände der Reihe (nicht Zeitschrift) „Oesterreichs Volkskultur“ und sonstige neue Quellenwerke enthalten einschlägige Materialien. Auch an Ortsgeschichten, so von Axams, Erl, Telfs usw. wäre noch manches nachzuholen. Persönlichkeiten wie J. A. Jungmann, der als Tiroler Beachtliches aus Kult und Kirche zur Geistesgeschichte des Landes in seinen bahnbrechenden Werken erschlossen hat, oder Florian Nothegger, der Historiker der Franziskaner und ihrer Schulen oder Reinh. Rainalter, der zur schicksalsschweren Diözesanein-tcilung Tirols Stellung nahm, fehlen, wie überhaupt die Kirchen- und die Volkstumsgeschichte mehr vom Politischen und Nationalen her gesehen wird. Unter den ersten Dichtern, die im Vormärz mit der Geschichtlichkeit und Politik des Landes rangen, dürften Joh. Schuler, J. Chr. Senn, H. v. Gilm und Hans Obrist nicht unerwähnt bleiben, wie die Humoristen und Ironiker um 1900, so O. F. Luchner (P. Kasslatterer), C. Zangerle und ihr Nachfahre Franz Gruener, im Rahmen oder im Geiste der Münchener „Jugend“ die Oeffentlichkeit zu beeinflussen suchten. Die Südtiroler Monatsschrift „Der Schiern“ bietet eine zuwenig ausgenützte Fundgrube zur Volksgeschichte und Landesliteratur. Auch Zeitschriften wie die „Oesterreichische Zeitschrift für Volkskunde“, „Der Krippenfreund“ usw., vor allem die beiden großen Denkschriften über Südtirol und dessen Presseanwalt Kanonikus Gamper bieten zu Wertvolles zur Geistes- und Leidensgeschichte Tirols, als daß sie gerade in dieser Landesgeschichte nicht mehr nachgetragen werden sollten. K. v. Grabmayrs Anteil am ersten Werke über Südtirols verhängnisvolles Schicksal bestand darin, daß er ihm als Herausgeber seinen Namen lieh. Dadurch, daß die Autoren meist nur mit ihren Familiennamen angeführt sind, bleiben Verwechslungen nicht ausgeschlossen. Es gibt zwei Heimatschriftsteller Ludwig Weinold. Rucker ist ein heute etwas irreführender Deckname und dergleichen mehr.

Solche Randbemerkungen haben noch insoweit Wert, als der zweite Band die Möglichkeit bietet, ihnen gerecht zu werden. Schon der erste Band übersteigt die hohen Erwartungen, die seit Jahren an das Zustandekommen dieser neuen Landesgeschichte als abschließendes und doch noch vorbildliches Werk geknüpft wurden. Sein praktischer Wert wird schließlich noch in dem Orts-, Personen- und Sachregister deutlich. Der Verlag Tyrolia legte auf die Ausstattung große Sorgfalt. Das Land Tirol förderte sein Zustandekommen in großzügiger Weise.

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