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DR. CARL MUELLER-GRAAF EIN REDLICHER MAKLER

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ln diesen Tagen verläßt ein Mann Österreich, der mit der Geschichte der Zweiten Rep.tblik in den entscheidungsschweren Jahren um die Schaffung des Staatsvertrages mehrfach verbunden ist: der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Österreich, Doktor Carl Hermann Mueller-Graaf. Er kam 1953 nach Wien als in der Öffentlichkeit wenig bekannter Leiter der Wirtschaftsdelegation der Bonner Regierung, und verläßt Wien als allseits bekannter Botschafter. Er kam nach Wien als Vertreter eines Staates, der international schwer um Anerkennung und Prestige zu ringen hatte, und verläßt uns als Repräsentant einer Macht, die wirtschaftlich und politisch schwer ihr Gewicht in die

Waagschale der westlichen Allianz legt. Dr. Carl Mueller-Graaf kam nach Wien, um hier schwere Schatten naher Vergangenheit zu überwinden: Sein letzter Vorgänger

— wenn man nicht die Reichsstatthalter und Gauletter der Besetzungszeit als solche ansprechen will — war ein Mann namens Papen gewesen, der alles getan hatte, was ihm möglich war, um den Staat Österreich anschlußreif zu machen. Sein vorletzter Vorgänger, Riehl, war im Bunde mit den Dollfuß-Mördern gewesen und fand, nach dem Attentat am Ballhausplatz eingelangt, nur das Wort: „Ne tolle Sache, das“

Der Leiter der Wirtschaftsdele- gation der Bundesrepublik Deutschland konnte sich bald informieren: Leute dieser Couleur rannten ihm bald genug die Tür ein. Zum anderen war nicht zu übersehen: Das Erscheinen der ersten Repräsentanten der um Aufstieg und internationales Auftreten ringenden jungen Bundesrepublik Deutschland auf dem Parkett in Wien wurde nicht nur von den Vertretern der Großmächte sorgfältig beobachtet. Es war, nach all dem, was in den letzten Dezennien vorgefallen war, fast selbstverständlich, daß man auch österreichischerseits aufmerksam auf den neuen Mann des neuen Staates Deutschland blickte. Nicht nur aus Ressentiment, das hier und da hörbar und fühlbar war. Nicht nur deshalb, weil der Kanzler des Bonner Staates, Doktor Adenauer, noch etliche Jahre recht kühl, um nicht zu sagen unfreundlich, auf Wien sah.

Der knappen Andeutungen ge

nug: Dr. Carl Hermann Mueller- Graaf trat eine schwierige, eine heikle Mission an, Es steht uns nicht an, darüber zu debattieren, wie sehr man nicht nur in Wien, sondern auch in Bonn sein Auftreten und Verhandeln beobachtete: Denn dieser Mann erschien ja nicht nur in Wien, sondern gerade auch in Bonn nicht wenigen Männern hinter und vor den Kulissen nicht unverdächtig. War er nicht zeitweise sogar ein Emigrant gewesen? Gewiß, damals wurde „Emigrant“ noch nicht zum mindestens offiziösen Schimpfwort erhoben, um jedermann zu diffamieren, der unbequem war. Zudem: Hatte dieser Mann, der unter anderem an Englands berühmtesten Hochschulen studiert hatte, nicht in seiner Schweizer Emigrationszeit unter dem Pseudonym „Constantin Silens“ ein Buch geschrieben, „Irrweg und Umkehr — Betrachtungen über das Schicksal Deutschlands“, das sich sehr unorthodox und tapfer mit einigen Tabus der nationalen deutschen Geschichte und Geschichtsschreibung auseinandersetzte, die eben wieder begann, sich auf neue Triumphe vorzubereiten?

Es wurde diesem Mann nicht leicht gemacht, in Wien seine Mission zu erfüllen: zunächst die wirtschaftliche Mission, die auf eine auch politisch hochbrisante Sache loszusteuern hatte, die Fragen um das „deutsche Eigentum“ und die Erfüllung des Staatsvertrages, soweit als Deutschland dadurch tangiert wurde. Dann die politische Mission im engeren Sinne: die Her

stellung guter, freundlicher, freundschaftlicher Beziehungen zwischen Deutschland und Österreich. Carl Mueller-Graaf hat mit Mut, Ausdauer und Zähigkeit die Interessen seines Landes und seiner Regierung vertreten und gleichzeitig die des Landes berücksichtigt, dem seine Mission galt.

Nun scheidet dieser ehrliche Makler von Österreich, das ihn nicht vergessen wird. Der erste Repräsentant des wiedererstandenen Deutschlands hat sich in Österreich nicht nur viele Freunde erworben, sondern ein Ansehen, das durch seine Integrität mehr Wert besitzt als schöne Reden und „Nachrufe“. Dr. Mueller-Graaf nahm nicht zuletzt sehr persönlich Anteil am Kulturleben unseres Landes: ln Wiens Oper und Theatern, bei den Salzburger Festspielen, in Alpbach und überall dort, wo ein Pulsschlag des geistigen und kulturellen Lebens zu verspüren war, war er als gern gesehener Gast zugegen, der im Gespräch und der Diskussion seine Kenntnis und sein persönliches Engagement bekundete. Nicht vergessen werden soll in diesem Zusammenhang seine charmante Gattin, eine deutsche Dame von Kultur und Herzensbildung. die so recht von Haus aus beste Qualifikation in dieser Hinsicht mit brachte: Sie stammt aus der berühmten Kunsthistorikerfamilie Justi. Der gebürtige Oberschlesier Mueller-Graaf und seine Berliner Gattin, zwei gute Deutsche, zwei gute Europäer, haben sich in Wien Heimatrecht und in Österreich Bürgerrecht erworben.

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