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Durch Eid verbunden

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Die Erwartungen, aie sien an qci 2. Band („Die Furche“, 9/1962) ge knüpft hatten, sind im 3. Band erfüllt Nun liegt das Gesamtwerk vor, fast 90^ Seiten, und, was den Wert ganz be sonders steigert, eine überreiche wissenschaftliche Bilddokumentation. Die Zei von 1792 bis 1815 zeigt die fast hoff nungslose Lage der Eidgenossenschaft, deren Truppen zuerst in den Tuilerien, danr in der Grande armee Napoleons und zu gleich in Spanien gegen Frankreicl kämpften: die „Helvetische Republik“ unc das Land als Kriegsschauplatz, bis schließlich die Wiedergeburt durch Metternicl Staatskunst erfolgte, die allerdings wenig freundlich (S. 96 f.) beurteilt wird. Di« Erinnerungen an die Drangsale fremde Besatzung wirken durchaus aktuell. Di« weitere Schilderung der Geschichte duref eineinhalb Jahrhunderte zeigt den Aufstieg, den die Schweiz genommen hat unc den dieser Staat durchaus eigenem Geisi und eigener Kraft verdankt. Sehr zu be wundern bleibt für jeden Geschichtsfreund die Fähigkeit der Eidgenossen, mil den verschiedensten trennenden Strömun gen durch Erhaltung eines gemeinsamer Geistes über sprachlicher, religiöser unc parteipolitischer Trennung fertig zu werden. „Die wahre Konstitution eines Volkei besteht aus seiner NWrur, seiner Bildungs-S zum geringsten Tci: aus seinen geschichtlichem Erinnerungen“ (Hilty). „Eidgenossen, das sind durch Eid gegen Gott verbundene Volksbrüder Wenn heute noch der offizielle Name unseres Staates .Schweizerische Eidgenossenschaft' heißt, dann sollten wir uns etwas mehr auf diesen eidgenössischen Brudergeist besinnen“ (S. 328).

Daß in der Schweiz die Demokratie mit den Geboten der Staatserhaltung vereinbar erachtet wird, das beweisen die entschlossenen Maßnahmen gegen die inneren Gefahren, denen mit Zensur, Verboten, Kerker, Todesstrafe und Truppeneinsatz immer begegnet wurde, sobald es unvermeidlich war. Auch in der religiösen Spaltung — der Sonderbundskrieg und der Kulturkampf waren die Folge — bleiben vermittelnde Stimmen nie ungehört, und Jeremias Gotthelfs Worte — er starb 1854! _ passen in unsere Folge: „Ich möchte Frieden mit jeder Konfession, aber ich hoffe, daß einmal vielleicht, aber wir erleben es jedenfalls nicht, die verschiedenen Wege zusammenlaufen, und zwar nicht erst im Himmel“ (S. 173). Einen breiten Raum nimmt natürlich das Ringen um die seit 1815 verbriefte Neutralität ein. Nicht nur europäische Nachbarn, sondern auch Amerika haben den Versuch unternommen, die Schweiz ihrer Neutralität wirtschaftlich, politisch oder militärisch zu berauben. Nur der ausgezeichneten Wehrbereitschaft war es zu verdanken, daß selbst das nationalsozialistische Deutsche Reich von einem gewaltsamen Einmarsch abstand. General G u i s a n, den die geschichtliche Darstellung nicht genug als Militär und Politiker loben kann, und der nicht, wie General Wille im ersten Weltkrieg, die nationale Einheit gefährdete, fand 1940, als 200 „Prominente“ vom Bundesrat die Kapitulation vor Hit-> ler forderten, das Wort: „Jeder Schweizer kann nur mit Schrecken an eine fremde Besetzung denken. Für jeden von uns: Bauer, Arbeiter, Gebildeter, würde sie die Bedingungen unserer Existenz über den Haufen werfen. Jeder Soldat weiß übrigens, warum er die Waffen ergriff“ (S. 313). Die Sozialdemokraten, vorher stets für Klassenkampf und gegen die Armee, bekannten sich erst 1943 „zur friedlichen Umgestaltung der schweizerischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und zu einer starken Volksarmee“ (S.324).

Emil S p i e s s hat seine Schweizer Geschichte mit dem sichtlichen Bestreben gestaltet, allen Richtungen die Für und Wider abzugewinnen. Vorherrschend bleibt die mutige Ablehnung zerstörender Elemente, die der Nation als Ganzes gefährlich werden könnten. Er übt scharfe Selbstkritik, wenn er zum Beispiel sagt: „Es ist kein ansprechendes Bild, das uns das politische Leben der Schweiz während des (zweiten) Weltkrieges bietet.“ Wie im 2. Band, sind auch im 3. Band die kulturellen und geistigen Leistungen der Schweizer gebührend hervorgehoben. Alle Leser werden anerkennen müssen, was das kleine Volk der Eidgenossen der Welt geschenkt hat, wie es hier bloß durch die Nennung einiger Namen angedeutet werden kann: Agassiz, Bachofen, Burckhardt, Forel, Bluntschli, Constant, Böcklin, Hod-ler, Dunant, Honegger, Dufuor, Hotze, Jomini, Gotthelf, Keller, Meyer, Bally, Nestle und viele andere. Für den Österreicher wird das sehr zu empfehlende Studium des schweizerischen Geschichtswerkes ebenso anregend wie belehrend sein.

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