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Naht ihr euch wieder… ?

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Die Machtergreifung Hitlers in Deutschland war noch keine zehn Tage vergangen, als sich die „Frankfurter Zeitung” zu der mutigen und prophetischen Warnung veranlaßt sah, daß diejenigen, die nicht bereit seien, die Freiheit gegen das Kabinett Hitler zu verteidigen, sich über kurz oder lang den Charakter verderben würden. An diese Prophezeiung wurde man unwillkürlich erinnert, als man in den letzten Wochen von dem Prozeß gegen den Präsidenten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), Prof. H a 11 s t e i n, und den deutschen Botschafter in Paris, Blankenhorn, las, der am vergangenen Mittwoch mit einem sensationellen Urteil endete. Hallstein wurde wegen Mangels an Beweisen freigesprochen, Blankenborn wegen vorsätzlicher falscher Anschuldigung in Tateinheit mit übler Nachrede zu vier Monaten Gefängnis mit zwei Jahren Bewährungsfrist verurteilt.

Gegenstand der Anklage war ein sieben Jahre zurückliegender Versuch des Auswärtigen Amtes, besser gesagt des Herrn Blankenhorn, gewesen, den Ministerialrat Strack vom Bundeswirtschaftsministerium „abzuschießen”, wie man das im politischen Jargon zu bezeichnen pflegt. Strack hatte gegen den von Blankenhorn mit allen Mitteln vorangetriebenen Vertrag mit Israel Bedenken erhoben, weil er ungünstige Rückwirkungen der nach dem Vertrag an Israel zu zahlenden hohen Entschädigungslieferungen fuf das deutsch-arabische Verhältnis befürchtete. Hierbei waren alte Rivalitäten zwischen den beiden Ministerien aufgebrochen, die ihren Ursprung darin hatten, daß das Bundeswirt- schäftsministerium vor der Gründung des Auswärtigen Amtes die deutschen Handelsinteressen im Ausland wahrgenommen hatte. Blankenhorn hatte sich gegen seinen alten Jahrgangskameraden Strack des „Kunstgriffs” bedient, diesen auf Grund mysteriöser und nie nachgeprüfter Anschuldigungen der Bestechlichkeit zu zeihen, und sein Vorgesetzter, Professor Hallstein, hatte diese „Unterlagen” mit dem ganzen Gewicht seiner Stellung an das Bundeswirtschaftsministerium weitergegeben. Im Prozeß meinte Hallstein ungerührt, solche Vorfälle, die das Gericht später schlicht und einfach falsche Anschuldigungen in Tateinheit mit übler Nachrede nannte, müsse ein Beamter eben hinnehmen können. Strack war anderer Meinung und ging, nachdem alle Möglichkeiten einer gütlichen Regelung erschöpft waren, zu Gericht, vor dem nun nach sieben Jahren der Prozeß einen für Hallstein und Blankenhorn bald recht peinlichen Verlauf nahm.

Nun könnte man sagen: „Typisch für die Praktiken des neuen Deutschlands”, und manche in Deutschland sagen mit etwas schadenfrohem Grinsen: „Da sieht man es wieder, wie es in einer Demokratie zugeht” — wenn solche Meinungen nicht am eigentlichen Problem zu sehr vorbeigingen. Denn einmal können Verfehlungen von führenden Beamten weder einer Staatsform noch einem Kabinett ohne weiteres aufgerechnet werden. Wenn dieser Prozeß fast zu einer Krise zwischen Staatsführung und Justiz wurde, so liegt das an den eigentümlichen Begleitumständen.

Es ist in Bonn schon kein offenes Geheimnis mehr, daß das Auswärtige Amt eine überwiegende Anzahl bereits unter Ribbentrop tätiger Beamter beschäftigt. Schon 1951 geißelte eine süddeutsche Zeitung diese Praktik mit den Worten: „Ihr naht euch wiederund ein parlamentarischer Ausschuß ging daran, die Stellenbesetzung des Auswärtigen Amtes einer Prüfung zu unterziehen. Aber diese Angriffe scheiterten an der einfachen Tatsache, daß selbst zur Nazizeit die Beamten des Auswärtigen Amtes keine Nazis waren, sofern man darunter Ränge in Parteiorganisationen verstand. Man mokierte sich dort gerne über die braunen Herren, aber man war bereitwillig und nicht ohne Arroganz deren routinierter Diener. Der frühere Generalsekretär des französischen Außenministeriums hat in seinen Memoiren einige Proben davon gegeben, was der vor jedem Entnazifizierungsverfahren untadelig dastehende Blankenhorn 1941 in Washington als junger Diplomat für snobistischen Naziunsinn zum besten gab.

Die Praxis, die alten Routinebeamten wieder einzustellen, war vielleicht nicht zu umgehen, aber sie hat dem Auswärtigen Amt in den letzten Jahren schon einige Skandale eingetragen, deren neuester der ist, daß der deutsche Botschafter in Paris dem Gericht seinen Aufenthaltsort angeben muß und der Präsident der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft einige Spritzer auf seiner weißen Weste hat. Das eine ist aber die logische Folge des anderen, und man sollte sich hüten, diese Vorgänge der deutschen Demokratie anzukreiden.

Denn, wie sollten Herren, die in den zwölf Jahren der Hitler-Diktatur gewöhnt waren, daß Skandale unterdrückt werden und unbequeme Herren in der Versenkung verschwinden können. auf einmal begreifen, daß in einem Rechtsstaat die Höhe des Amtes nicht von dem bewiesenen Grad der Rücksichtslosigkeit abhängt und daß die Ehre eines wirklich freien Mannes darin besteht, sein Amt nicht zu mißbrauchen? Am Anfang der Epoche, in der es üblich wurde, daß unter dem Decknamen des Führerprinzips der Ober den Unter stach, warnte offenbar nicht umsonst die „Frankfurter Zeitung”, daß man sich im Schlepptau der Nationalsozialisten leicht den Charakter verderbe.

Wie gesagt, diesen Prozeß der deutschen Demokratie aufrechnen zu wollen, wäre ungerecht. Denn eine Demokratie kann sich die Menschen am allerwenigsten aussuchen; und daß nach zwölf Jahren Hitler-Diktatur sonst ehrenwerte und begabte Männer einige charakterliche Webfehler aufweisen, kann nur den verwundern, der das kompromittierende Wesen einer modernen Massendiktatur nicht kennt. Daß ichi ider,. wie., man -sagt , autokratischen. Neigungen huldigende Bundeskanzler Doktor Adenauer nicht ungern Beamte aus der nationalsozialistischen Zeit in seine Umgebung holte, mag in deren entwickelter Fähigkeit zu besonderer Fügsamkeit begründet sein. Die Kehrseite sind dann allerdings Prozesse, wie der eben erlebte oder der des Kanzlerreferenten K i 1 b, der im Juni wegen passiver Bestechung vor dem Kadi stehen wird. Diese Vorgänge werden allerdings auch auf das Ansehen des großen alten Mannes nicht ohne Einfluß bleiben, wenn er, wie bisher, fortfährt, sich vor seine an- geklagten Schäflein zu stellen. Denn, wenn irgend etwas, dann war die vom Bundeskabinett im Prozeß Blankenhorn betriebene Verzögerungstaktik ein Skandal, wie es auch einer ist, Herrn Blankenhorn nach dem Urteil „pflichtgemäßes Verhalten” zu bescheinigen. Es vorher getan zu haben, war ebenso schlechter Stil, wie es einer von Prof. Hallstein ist, vor dem Prozeß großspurig zu erklären, sich nur mit einem Freispruch wegen erwiesener Unschuld zufriedenzugeben, um darnach mit einem Freispruch wegen Mangels an Beweisen unversehens auf seinen Präsidentenstuhl in Brüssel zu entwischen.

Daß die Bundesregierung Beamte aus der vergangenen nationalsozialistischen Zeit wieder in führende Stellen beruft, wird ihr niemand verargen können, denn die Auswahl unter fähigen Leuten ist nicht unbegrenzt groß. Um so wichtiger ist hier die Aufgabe des Gerichts, den Ungeist des Hitler-Reiches, wo er in der Bürokratie zu fassen ist, in seine Schranken zu weisen. Um ihn, nicht um einen Ungeist der deutschen 1 “Demokratie,’giing w bei ‘diesem Diplomaten-’ prozeß. Das Wort, das Landgerichtsdirektor Quirini am Schluß seiner Urteilsbegründung sprach: „Staatsräson, die gegen das Recht steht, gibt es nicht”, beweist ebenso, wie die Tatsache des Prozesses als solchem, wie fest verankert Rechtsstaat und Demokratie im öffentlichen Deutschland heute sind. Das aber muß mehr hervorgehoben werden als die Ungeschicklichkeiten des Bundeskabinetts, die diesen Prozeß in die Niederungen des Parteigezänks zogen, wo er nichts verloren hat.

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